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Wolfgang Sawallisch zum 100. Geburtstag Ein meisterhafter Diener der Musik

Wolfgang Sawallisch war ein Operndirigent von Weltrang. Unvergessen bleibt vor allem seine gut 20-jährige Ära als Generalmusikdirektor der Bayerischen Staatsoper. Diesen Posten empfand Sawallisch, der gebürtiger Münchner war, als "große Verpflichtung". Dabei dirigierte er in der ganzen Welt. Jetzt wäre er 100 Jahre alt geworden.

Wolfgang Sawallisch 1968 | Bildquelle: picture alliance / CTK | Jovan Dezort

Bildquelle: picture alliance / CTK | Jovan Dezort

Ein Leben lang hat sich Sawallisch als Kapellmeister verstanden, als ein Meister – das schon –, der seiner Kapelle vorsteht und ihr zeigt, wo's langgeht. Sawallisch war ein Arbeitstier, ein Probenfanatiker, ein Orchestererzieher alter Schule und ein Verfechter von uneitler Werktreue. Ein Dirigent, der für genaue Partituranalyse stand, für klare Schlagtechnik und ausgefeilte Interpretationen.

Dirigent als Diener der Komponisten

Sein Selbstverständnis als Dirigent hat Sawallisch in einem Interview mit BR-KLASSIK mal so formuliert: "Ich glaube – wenn man das als Credo bezeichnen will –, dass Dirigieren grundsätzlich kein unmittelbar schöpferischer Beruf ist, sondern ein nachschöpfender, um dem Werk und dem Komponisten zu dienen. Dass dabei in der Interpretation immer ein subjektiver Gedanke mitspielen wird, ist ganz selbstverständlich. Dafür ist man selbst als Persönlichkeit – in dem Fall als Dirigent, der seine Ideen auf andere übertragen muss – viel zu selbstständig." Dass man in diesen Beruf am besten mit einer Kapellmeister-Laufbahn am Theater starten sollte, davon war Sawallisch zeitlebens überzeugt. Er hat es vorgemacht, seine weltweite Karriere hat ihm recht gegeben.

Dirigieren ist ein nachschöpfender Beruf, um dem Werk und dem Komponisten zu dienen.
Wolfgang Sawallisch

Sawallischs erste Erfolge als Pianist

Wolfgang Sawallisch war ein urbayerisches Gewächs. Als Sohn eines Versicherungsdirektors am 26. August 1923 in München geboren, macht er mitten im Krieg 1942 am Wittelsbacher Gymnasium Abitur. Direkt danach wird der junge Sawallisch zum Kriegsdienst eingezogen, nach Kriegsende kommt er in britische Kriegsgefangenschaft. 1946 legt er nach nur einem Semester Studium beim Komponisten und Musikpädagogen Joseph Haas in seiner Heimatstadt sein Staatsexamen ab. Mit seinem Jugendfreund, dem Geiger Gerhard Seitz, der beim Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks später Konzertmeister wurde, gründet der versierte Pianist Sawallisch ein Duo – und gewinnt beim Internationalen Musikwettbewerb 1949 in Genf den ersten Preis! Unter "abenteuerlichen Umständen", wie Harald Eggebrecht in seinem Nachruf auf Seitz berichtet: "Sie tauschten die harten Franken des Preisgeldes in D-Mark schon in der Schweiz um. Das war verboten, der deutsche Zoll beschlagnahmte das Geld." Sein Klavierspiel hat Sawallisch übrigens auch neben seiner Dirigentenkarriere weiterverfolgt, vor allem als leidenschaftlicher Kammermusiker und hochgeschätzter Liedbegleiter von Sängerstars wie Elisabeth Schwarzkopf, Margaret Price, Lucia Popp, Dietrich Fischer-Dieskau oder Hermann Prey.

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DER DIRIGENT WOLGANG SAWALLISCH ALS PIANIST - LUDWIG VAN BEETHOVEN | Bildquelle: berlinzerberus (via YouTube)

DER DIRIGENT WOLGANG SAWALLISCH ALS PIANIST - LUDWIG VAN BEETHOVEN

Sprung nach Salzburg, Berlin und Bayreuth

Wolfgang Sawallisch 1957 | Bildquelle: picture-alliance / dpa | Fotoreport Festspielleitung Bayreuth Wolfgang Sawallisch als junger Dirigent 1957 | Bildquelle: picture-alliance / dpa | Fotoreport Festspielleitung Bayreuth Zuvor schon hat Sawallisch Dirigierunterricht bei Hans Rosbaud genommen und Igor Markevitch bei den Salzburger Festspielen assistiert. 1947 startet Sawallisch seine Karriere als Kapellmeister am Stadttheater Augsburg, dann in Aachen und lernt das Opernmetier von der Pike auf. Sein spektakuläres Debüt bei den Berliner Philharmonikern 1953 öffnet dem 30-Jährigen Türen: Die großen deutschen Opernhäuser in Wiesbaden, Köln und Hamburg reißen sich um Sawallisch als Generalmusikdirektor. Wieland Wagner holt ihn 1957 für die "Tristan"-Neuinszenierung seines Bruders Wolfgang Wagner nach Bayreuth. In den Folgejahren leitet Sawallisch "Lohengrin", "Holländer" und "Tannhäuser" auf dem Grünen Hügel. Wagner bleibt hinfort eine Säule im Repertoire des Operndirigenten Sawallisch.

100. Geburtstag von Wolfgang Sawallisch – Sondersendungen auf BR-KLASSIK

Mittwoch, 23.8., 22.30 Uhr: Der Chor des Bayerischen Rundfunks
Samstag, 26.8., 13.05 Uhr: Cantabile
Sonntag, 27.8., 10.05 Uhr: Symphonische Matinée mit dem BRSO
Sonntag, 27.8., 13.05 Uhr: Après-midi

Berufung an die Bayerische Staatsoper

Wolfgang Sawallisch 1968 | Bildquelle: picture alliance / CTK | Jovan Dezort Wolfgang Sawallisch wurde 1971 GMD an der Bayerischen Staatsoper. | Bildquelle: picture alliance / CTK | Jovan Dezort Schon seine frühen Opernaufnahmen mit den Stars der Zeit zeigen Sawallischs eminentes Talent für den Orchestergraben. Da konnte er nicht widerstehen, als das verlockende Angebot aus seiner Heimatstadt kam, als Nachfolger von Joseph Keilberth 1971 Generalmusikdirektor der Bayerischen Staatsoper zu werden – drei Jahre zuvor war Keilberth während einer Festspielaufführung von "Tristan und Isolde" am Pult des Bayerischen Staatsorchesters tot zusammengebrochen. Für Sawallisch war diese Berufung eine Heimkehr, wie er zu Amtsantritt in einem historischen Rundfunk-Interview bekannte: "Als geborener Münchner war es für mich schon eine große Verpflichtung, hier ans Pult zurückzukehren, wo ich Clemens Krauss und Hans Knappertsbusch in den großen Vorstellungen erlebt habe und wo ich selbst auch schon nach dem Krieg – zwar nicht im Nationaltheater, sondern draußen im Prinzregententheater – Vorstellungen dirigiert habe."

Als geborener Münchner war es für mich schon eine große Verpflichtung, hier ans Pult zurückzukehren.
Wolfgang Sawallisch über seine Berufung zum GMD an die Bayerische Staatsoper

Rivalität mit Everding

Ganz spannungsfrei verläuft Sawallischs 22-jährige Ära an der Bayerischen Staatsoper freilich nicht. Bis 1976 hat er einen erfahrenen Opernregisseur wie Günther Rennert als Intendanten an seiner Seite. In der nächsten Spielzeit leitet Sawallisch das Haus dann kommissarisch – bis ihm mit dem umtriebigen August Everding 1977 ein Macher mit eigenen Ambitionen und innovativen Ideen vor die Nase gesetzt wird. Das geht nicht gut, zwei Alphatiere treffen da aufeinander. Sawallisch ist eben ein konservativer Opernchef, der viel auf die Tradition des Ensemble- und Repertoiretheaters hält – und dem das Regietheater ein Graus ist. Ein streitbarer Kopf, der seine Positionen stets in staatstragendem Ton vertritt. Es kommt vonseiten Sawallischs sogar zu einer Rücktrittsdrohung. Das Kultusministerium findet 1982 zu einer sibyllinischen Lösung des Konflikts, indem man Everding zum Generalintendanten der Bayerischen Staatstheater ernennt und Sawallisch zusätzlich zur GMD-Position noch den Titel eines Staatsoperndirektors verleiht. Damit fühlt sich Sawallisch wieder als "Herr im eigenen Haus". Die Rivalitäten bleiben trotzdem bestehen.

CD-Tipps

Lesen Sie die Empfehlungen von BR-KLASSIK zu CD-Produktionen mit Wolfgang Sawallisch und der Bayerischen Staatsoper: Mozarts "Don Giovanni" und "Così fan tutte".

Große Verdienste auf der Habenseite

In den zwei Jahrzehnten seiner Amtszeit hat Sawallisch dem Münchner Publikum mit dem traditionsreichen Bayerischen Staatsorchester unvergessliche Opernaufführungen von Mozart bis Henze beschert. Vieles ist auf Tonträgern konserviert wie sein "Ring des Nibelungen" mit Hildegard Behrens, Julia Varady, Waltraud Meier, Marjana Lipovšek, René Kollo, Kurt Moll oder Matti Salminen – Besetzungen, von denen wir heute nur träumen können. Und natürlich die "Meistersinger von Nürnberg", mit denen Sawallisch traditionell die Münchner Opernfestspiele beschlossen hat. In aller Welt bewunderte Kraftakte sind seine zyklischen Gesamtaufführungen aller Bühnenwerke des Münchners Richard Strauss und des anderen Hausgotts Richard Wagner. Wer kennt schon Wagners "Liebesverbot" oder "Die Feen", "Guntram" oder "Friedenstag" von Strauss? Die fünf Japan-Gastspiele der Bayerischen Staatsoper unter Sawallisch, der in Tokio eine jahrzehntelange Arbeitsbeziehung zum NHK-Sinfonieorchester entwickelt und dort Ehrendirigent wird, sind besondere Glanzpunkte in der Geschichte des Hauses.

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Beethoven Symphony No 3 in E♭ „Eroica“ Wolfgang Sawallisch Bavarian State Orchestra | Bildquelle: Sonorum Concentus Beethoven (via YouTube)

Beethoven Symphony No 3 in E♭ „Eroica“ Wolfgang Sawallisch Bavarian State Orchestra

Auf nach Amerika

Wolfgang Sawallisch 2000 | Bildquelle: picture-alliance / dpa | Hermann Wöstmann Wolfgang Sawallisch im Jahr 2000 bei einem Auftritt mit dem Philharmonia Orchestra. | Bildquelle: picture-alliance / dpa | Hermann Wöstmann Denn das symphonische Repertoire vernachlässigt der Allrounder Sawallisch bei seiner zeitintensiven Opernarbeit keineswegs, wie Chefpositionen etwa bei den Wiener Symphonikern, beim Orchestre de la Suisse Romande und spät noch beim Philadelphia Orchestra bezeugen. Sawallisch ist 70, als er nach seinem Abschied von der Bayerischen Staatsoper 1993 die Nachfolge Riccardo Mutis bei dem amerikanischen Toporchester antritt. In seinem letzten Interview 2013 im Fachmagazin Opernwelt resümiert er sein Jahrzehnt in Philadelphia: "Ich dachte mir: Das brauche ich noch! Und es wurden auch die Jahre mit den persönlich größten und schönsten Aufgaben für mich. Denn das Philadelphia Orchestra besaß damals eine Klangfarbe, wie sie eben Chicago und New York nicht bieten. Das kam durch Eugene Ormandy und Leopold Stokowski. Darauf zu bauen, war genau das, was ich mir gewünscht hatte."

Es wurden die Jahre mit den persönlich größten und schönsten Aufgaben für mich.
Wolfgang Sawallisch über seine Zeit beim Philadelphia Orchestra

 Denkmal in Grassau für den Dirigenten Wolfgang Sawallisch | Bildquelle: © Tamara Eder Wolfgang Sawallisch wurde nach seinem Tod zum Ehrenbürger von Grassau ernannt, wo er über 50 Jahre lang wohnte. | Bildquelle: © Tamara Eder Immer an seiner Seite: seine Münchner Jugendfreundin Mechthild Schmid, die Sawallisch 1952 heiratet. Die Sängerin hat ihre Laufbahn aufgegeben, um sich als seine einflussreiche Managerin ganz der Karriere ihres Mannes zu widmen. Bei allen Entscheidungen hat sie ein gewichtiges Wörtchen mitzureden. Ihr Krebstod 1998 war ein schwerer Schlag für Sawallisch. 2013 ist Wolfgang Sawallisch selbst gestorben, mit 89 Jahren in seinem langjährigen Wohnort Grassau im Chiemgau. Zehn Jahre zuvor hatte er dort bereits seine Stiftung mit eigener Musikakademie zur Förderung der musikalischen Bildung gegründet, der Sawallisch nach seinem Tod seine Villa als Stammsitz vermachte, sein Vermögen und seinen gesamten Nachlass – zu dem auch Briefe von Brahms, Liszt, Wagner und Strauss gehörten.

Das musikalische Erbe zum Nachhören

Zu seinem 100. Geburtstag am 26. August 2023 richtet die Wolfgang-Sawallisch-Stiftung ihrem Gründer gleich vier Festkonzerte im Kammermusiksaal seiner Villa und im Grassauer Veranstaltungssaal aus. Uns bleibt das musikalische Erbe Sawallischs, seine schier unerschöpfliche Diskografie. Darunter auch die Gesamteinspielung des geistlichen und weltlichen Chorwerks von Franz Schubert auf 11 CDs – mit Chor und Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, bei dem Sawallisch seit 1954 während seiner gesamten Laufbahn bis 2001 regelmäßig zu Gast war. Die Bayerische Staatsoper bringt zu Ehren ihres Jubilars auf ihrem hauseigenen CD-Label ein besonderes Juwel heraus: 1984 leitete Sawallisch im Münchner Nationaltheater eine denkwürdige Aufführung von Mendelssohns Oratorium "Elias" – mit seiner Elitetruppe, mit Dietrich Fischer-Dieskau in der Titelrolle, mit Margaret Price und Brigitte Fassbaender, Peter Schreier und Kurt Moll. Ein pointierter Spruch von Sawallisch auf der Homepage seiner Stiftung macht Hoffnung: "Solange man sich dessen bewusst ist, dass es die Musik ist, die den Abend zu einem Ereignis werden lässt, ist noch nicht aller Tage Abend."

Sendung: "Piazza" am 26. August 2023 ab 8:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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Dienstag, 22.August, 12:50 Uhr

Dr. Michael Strobel

Wolfgang Sawallisch

Sawallisch war ein grosser Dirigent und eine herausragende Persönlichkeit, ein "Herr", wie man früher sagte. Vielleicht ist er zu lange in München geblieben, seine Tätigkeit in Philadelphia entsprach voll und ganz seinem Rang. Der BR hat sicher in seinem Archiv noch Schätze von ihm, die es zu heben lohnend wäre. Dies als Wunsch und Anregung an die Verantwortlichen. Veröffentlicht doch bitte noch weitere CDs.

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