Martin Stadtfeld wurde vor allem durch seine unkonventionellen Bach-Interpretationen bekannt. Aktuell ist er jedoch vierhändig unterwegs – mit dem Pianisten Markus Kreu. Im Interview spricht Stadtfeld über seine noch recht neue Leidenschaft: das Bearbeiten von Werken und das eigene Komponieren.
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BR-KLASSIK: Sie sind schon jemand, der gerne auch über Musik und über seine Arbeit spricht, oder?
Martin Stadtfeld: Im Grunde mache ich das gerne, ja. Ich spüre ein gewisses vermittelndes Element in mir, deswegen besuche ich Schulen und mache CDs für Kinder. Das habe ich allerdings lange von meiner Konzerttätigkeit getrennt. Da habe ich immer nur gespielt und nicht geredet. Aber in der Corona-Zeit ist das etwas aufgebrochen und inzwischen genieße ich es, zum Publikum zu sprechen und ein paar persönliche Worte zu den Stücken zu erzählen. Es ist auch eine tolle Möglichkeit für das Publikum. Außerdem entspricht es sehr dem Trend, den Künstler etwas intensiver erleben und erfahren zu können.
BR-KLASSIK: Ein Satz in der Ankündigung der Veranstaltung hat mich ein bisschen stutzig gemacht, da heißt es: „Stadtfeld sieht den Zwang des Musikers, bekannten Werken als Interpret etwas Neues hinzuzufügen, um die eigene Arbeit zu rechtfertigen.“ Wie ist das gemeint?
Martin Stadtfeld: Ich habe das mal in einem anderen Zusammenhang gesagt. Die Aussage war, dass mir das Komponieren und das freie Arrangieren geholfen hat, diesem Zwang zu entfliehen. Also wenn man eine Möglichkeit gefunden hat, in seiner eigenen kompletten Freiheit unterwegs zu sein, dann empfindet man nicht mehr die Notwendigkeit, um jeden Preis etwas Neues hinzuzufügen. Natürlich sind es Werke, die vielfach aufgenommen und im Konzert gespielt wurden. Man muss sich schon fragen, wenn man solche Werke spielt oder aufnimmt: Was ist die Legitimation dafür? Umso schöner ist jetzt das Gefühl, sich gerade im Konzert wieder ganz dem Werk hinzugeben, sich fallen zu lassen, fast an die Hand nehmen zu lassen von den Komponisten, die wir lieben und diesen wunderbaren Werken.
BR-KLASSIK: Das heißt, der Zwang originell zu sein, ist ein bisschen zurückgetreten seit Sie selbst komponieren und Stücke bearbeiten?
Martin Stadtfeld: Ja, so kann man das sagen. Es begann nach der Geburt meines Sohnes vor elf Jahren. Da habe ich in den vielen Stunden, die ich mit meinem Kind verbracht habe, meine Musik im Kopf entwickelt statt auf dem Klavier zu spielen. Ich habe einen ganzen Zyklus im Kopf komponiert und ihn dann aufgeschrieben. Damals konnte ich das noch nicht mit dem Computer machen. Beim Spielen habe ich gemerkt: Das ist ein Weg, den du gehen kannst. Erst die abstrakte Idee, dann die Musik und dann das Klavier. Das hat mich sehr befreit. Die Bearbeitungen, die ich mache, sind in dem Sinne keine Bearbeitungen mehr. Ich nehme ein Stück oder ein kleines Element von Musikstücken, die ich liebe, und spiele damit. Es sind sehr subjektive Auseinandersetzungen und das ist wunderschön.
BR-KLASSIK: Das sind ja wahrscheinlich alles Werke, die Sie besonders mögen oder schätzen. Versuchen Sie dann auch in diesem Stil zu bleiben? Wie weit entfernen Sie sich von der Vorlage?
Martin Stadtfeld | Bildquelle: © Yvonne Zemke Martin Stadtfeld: Der Name des jeweiligen Komponisten bleibt erhalten. Ich sage nicht, dass das Kompositionen von mir sind. Es begann vielleicht mit einer Händel-CD. Ich liebe Händel, habe ihn immer geliebt. Aber seine Klaviersuiten haben mich jetzt nicht so begeistert. Ich liebe aber, wie wir alle, die wunderbaren Arien. Dann habe ich irgendwann beschlossen, einen Weg zu suchen, diese Arien auf dem Klavier zu spielen. Das funktioniert nicht, wenn man einfach den Klavierauszug nachspielt – dann klingt es oft starr und es geht eben das Besondere verloren. Also habe ich pianistische Wege gefunden, die Arien auf das Klavier zu übertragen. Und diesen Weg gehe ich jetzt immer weiter. Natürlich steht der Komponist des Originals immer im Zentrum: der ist benannt und ich trete dahinter zurück – ich verneige mich sozusagen vor dem Original und erlaube mir, auf subjektive und emotionale Art damit zu spielen. Den Gedanken, dass man immer alles neu machen muss, finde ich falsch: Musik ist eine Fortsetzungsgeschichte.
BR-KLASSIK: Jetzt noch ein Satz aus der Ausschreibung des Konzerts, der mich auch beschäftigt hat: „Gelegentlich komponiert der gebürtige Koblenzer auf Rastplätzen, würde gern mal den Ring in Bayreuth dirigieren und denkt vor einem Konzert regelmäßig über berufliche Alternativen nach.“ Was gäbe es denn für berufliche Alternativen? Sie sind ja gerade erst Professor geworden ...
Martin Stadtfeld: Das mit den beruflichen Alternativen war ein bisschen scherzhaft gemeint. Es ging darum, wie man sich vor einem Konzert fühlt. Man ist so nervös, dass man gerne die beruflichen Alternativen durchgeht. Es gibt aber keine. Von daher muss man raus. Offen gesprochen: Wir alle haben immer wieder Phasen, wo wir mit Ängsten zu tun haben. Aber auch davon kann man sich befreien, wenn man sich klar macht: Niemand will einem was Böses oder gar, dass man scheitert. Die meisten Leute freuen sich, dass man rausgeht und diese wunderbare Musik spielt - und mit diesem Bewusstsein sollte man es tun und sich daran erfreuen.
Vorbereitung ist alles, und wenn doch ein Fehler passiert, dann ist das so.
BR-KLASSIK: Bleibt ja dann immerhin noch der Ring.
Martin Stadtfeld: Wenn es eine Sache gibt, die ich manchmal bedauere, dann ist es, dass ich nicht früher mit dem Dirigieren angefangen habe. Es ist etwas Wunderschönes, aber man muss im Grunde früh damit anfangen. Wenn man Leute wie Thielemann sieht, die das ganz früh aufgesogen haben, das kann man in meinem Alter nicht mehr. Deswegen bleibt es ein Traum und wahrscheinlich einer, der sich nicht erfüllen wird. Aber es muss ja auch nicht jeder Traum eingelöst werden im Leben. Ich habe so ein Glück: Ich kann wirklich zu einem ganz großen Teil das, was ich denke, fühle und mache auch sofort beruflich umsetzen. Wer hat das schon? Man sollte nicht auf zu hohem Niveau klagen. Den Ring überlasse ich wahrscheinlich dann doch anderen.
"Die Kraft der Musik" - so heißt eine Gesprächs- und Konzertreihe im Münchner Künstlerhaus am Lenbachplatz. Am 12. November spielt Martin Stadtfeld mit dem Pianisten Markus Kreul ab 19 Uhr unter anderem eigene Bearbeitungen von Volksliedern und Werke von Georg Friedrich Händel und Frédéric Chopin.
Hier finden Sie weitere Informationen zum Konzert.
Sendung: "Leporello" am 12. November 2024 ab 16:05 Uhr auf BR-KLASSIK
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