Unsere Artikel zum BR-KLASSIK Instrumentenwissen gehören für unsere Leserinnen und Leser zu den beliebstesten auf br-klassik.de. Deshalb bekommen sie in diesem Sommer einen besonderen Platz auf unserer Seite. In diesem Artikel stellen wir das Klavier vor. Von außen sehen Flügel und Klavier robust und kräftig aus. Doch der Schein trügt. Jede kleinste Bewegung wirkt sich auf den Klang und die Stimmung dies Pianos aus: Feingefühl ist daher gefragt. Hier gibt es Tipps von Klavierbaumeisterin Romina Tobar.
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Instrumentenwissen
Das Klavier
In den unterirdischen Gängen des BR-Funkhauses in München eröffnet sich eine Welt, die sogar für die meisten Mitarbeitenden überraschend ist: Hier befindet sich die Klavierreparaturwerkstatt des Bayerischen Rundfunks. Drei Flügel passen dort Raum nebeneinander, einer davon ist derzeit in seine Einzelteile zerlegt. Auf einem Regal an der Wand ruht die ausgebaute Klaviatur, daneben wartet die Mechanik mit den Filzhämmerchen darauf, wieder eingesetzt zu werden. Verantwortlich dafür ist Klavierbaumeisterin Romina Tobar. In ihrer Werkstatt achtet sie darauf, dass die Instrumente des BR im bestmöglichen Zustand auf die Bühne kommen. Gerade kümmert sie sich um einen Flügel, der komplett überholt werden soll. Sie erneuert die Saiten, tauscht die Hämmerchen aus und schleift den Resonanzboden ab. Nach so einer Überholung sagen die Musikerinnen und Musiker in der Regel: Wow – der klingt wie neu!
So ähnlich Flügel und Klavier auch sind, es gibt Unterschiede - besonders fasziniert Romina Tobar die Mechanik. Und die ist eigentlich schnell erklärt: Der Spieler drückt eine Taste, daraufhin bewegt ein Hebel das Hebeglied, das wiederum ein Filzhämmerchen an die Saite stößt. Die Saite vibriert, und der Steg überträgt diese Vibration auf den Resonanzboden: ein Klang entsteht. Beim Klavier ist diese Mechanik vertikal aufgebaut.
Saiten und Hämmerchen eines Konzertflügels | Bildquelle: Bibica/istockphoto.com Beim Flügel hingegen verlaufen die Saiten horizontal zum Boden, sodass die Hämmerchen durch die Schwerkraft schneller wieder zurück auf ihre Ausgangsposition fallen. Der Spieler kann sie also in höherem Tempo betätigen - Flügel sind deshalb besonders für virtuose Passagen geeignet. Die Flügel-Mechanik hat sich bewährt. Seit rund 140 Jahren ist sie entwickelt und nicht grundlegend verändert worden. Alles aufgebaut auf Mathematik, so Klavierbaumeisterin Romina Tobar: "Diese ganzen Hebelverhältnisse, die gleich-schwebend temperierte Stimmung ist auch nur ein mathematisches Verhältnis und dass sich schon so lange Menschen darüber Gedanken gemacht haben, wie können wir dieses Instrument perfektionieren – das fasziniert mich."
Ob heller Streicherklang oder tiefes Blech, ob gezupft oder geschlagen: Wir stellen Ihnen verschiedene Instrumente vor – und räumen mit so machen Mythen und Klischees auf. Alle bisher vorgestellten Instrumente im Überblick
Der Blick in die Geschichte zeigt, dass das Wort Klavier erstmal für sehr viele unterschiedliche Instrumente verwendet wurde. Hauptsache Tasten war die Devise. Denn das Wort "Klavier" kommt vom Lateinischen "clavis", bedeutet so viel wie Riegel oder Holzstück. Es wurde als Bezeichnung für "Taste" eingesetzt und hat erstmal jedes Instrument mit Klaviatur beschrieben. Der eigentliche Vorläufer des Klaviers, wie wir es heute kennen, ist wohl das Cembalo, dessen Saiten durch einen Federkiel angerissen werden und einen eher schmetternden Ton hervorbringen. Schnell hat sich das Cembalo bzw. später das Tafelklavier als Hausmusikinstrument etabliert. Und auch heute noch zählt das Klavier zum beliebtesten Instrument und ist in jedem zwanzigsten Haushalt in Gebrauch. Parallel dazu hat sich für den großen Konzertsaal der Flügel entwickelt. Er ist zwar etwas unhandlicher, besteht aber aus einem größeren Resonanzkörper. Der ermöglicht Pianistinnen und Pianisten, sich auch mit Orchester klanglich durchzusetzen.
Für alle Klavier- bzw. Flügelbesitzer hat Klavierbaumeisterin Romina Tobar einen Tipp: regelmäßig stimmen lassen. Das würde viel zu oft unterschätzt, betont sie. In einem Flügel zum Beispiel stecke unheimlich viel Spannung und Bewegung. Das Holz dehnt und streckt sich, etwa die Heizung im Raum angestellt wird und die Luftfeuchtigkeit steigt.
Tischtennisbälle auf den Saiten des Flügels: Pianist und Komponist Hauschka spielt auf einem präparierten Instrument. | Bildquelle: BR/BR Gleichzeitig hängen bis zu 20 Tonnen Zugkraft an den Saiten eines Flügels. Jedes kleinste Ruckeln am Instrument wirkt sich auf das Material aus – und damit auf die Stimmung. Fazit: Der Flügel ist eigentlich wie ein lebendiges Wesen und sollte regelmäßig kontrolliert werden. Romina Tobar empfiehlt, das Instrument zweimal im Jahr stimmen zu lassen. Was dann auch gleich den Nachteil von Flügel und Klavier benennt: Im Gegensatz zu Streichinstrumenten, wo jede Musikerin ihr eigenes Instrument stimmen kann, sind die Pianistinnen und Pianisten von einem Profi abhängig. Also Finger weg von den Saiten und die Klavierbauwerkstatt anrufen.
Romina Tobars Herz schlägt für die Mechanik der Flügel und Klaviere. Doch seit einiger Zeit setzt sie sich hin und wieder auf den Klavierhocker und spielt ein paar Töne. Und wenn sie etwas empfehlen kann, dann das: Einfach losklimpern: "Spielen Sie, lassen Sie auch die Kinder spielen. Noch kein Klavier ist kaputt gegangen, weil die Kinder drauf geklimpert haben. Die haben viel weniger Kraft beim Spielen als ich beim Stimmen. Und das Klavier hat einen Vorteil: Man drückt eine Taste und es entsteht ein Ton. Und zwar der, der vom Klavierstimmer eingestellt worden ist. Von daher: Entdecken Sie was und gucken Sie, ob das tatsächlich Spaß machen könnte…"
Sendung: "Allegro" am 20. Dezember 2023 ab 06:05 Uhr auf BR-KLASSIK
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