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Maurice Ravels "Gaspard de la nuit" Sieben Aufnahmen im Vergleich

Bezaubernd und hochvirtuos: Der dreiteilige Zyklus "Gaspard de la nuit" gehört zu den bedeutendsten Werken von Maurice Ravel. Welcher Pianist, welche Pianistin überzeugt hier besonders? Martha Argerich, oder doch eher Marc-André Hamelin? Ein Aufnahmen-Vergleich.

Maurice Ravel | Bildquelle: picture-alliance/dpa

Bildquelle: picture-alliance/dpa

Maurice Ravel (ca. 1925)

Vom Komponisten selbst gibt es keine vollständige Aufnahme, aber, immerhin, einen Satz: "Le Gibet", aufgezeichnet mit Hilfe von Klavierrollen. 1912 hat Ravel für die Firma Welte & Söhne erstmals eigene Werke aufgenommen, schließlich für ein anderes Unternehmen Mitte der 1920er Jahre unter anderem den Mittelsatz aus "Gaspard de la nuit". Zwar darf man diesen Klavierrollen-Aufnahmen nicht zu viel Wert beimessen, doch liefern sie mehr als eine Ahnung, wie ein Komponist seine eigene Musik gespielt wissen wollte. Wir hören Ravel, wie er auf fast stoische Weise die Monotonie dieses Satzes herausarbeitet: ein unerbittliches Pochen, schematisch im Rhythmus und im Ganzen ein akkurates Klavierspiel, das jedoch nicht gerade ein Höchstmaß an Empathie vermittelt. Außerdem galt Ravel nicht gerade als brillanter Pianist.

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Ravel plays Ravel Le Gibet (Gaspard de la Nuit)

Vlado Perlemuter (1991)

Der 1904 in Litauen geborene Vlado Perlemuter, später französischer Staatsbürger, verdient in jeder Ravel-Diskographie einen besonderen Status, weil er 1927 für sechs Monate intensiv mit dem rund 30 Jahre älteren Komponisten zusammengearbeitet hat. 1929 präsentierte Perlemuter als erster Pianist Ravels komplettes Klavier-Œuvre im Konzertsaal. Mitte der 1950er Jahre erfolgt dann seine erste Gesamtaufnahme dieser Werke, 1973 eine weitere. In einer Video-Produktion von 1991 erleben wir den bereits betagten Pianisten sicher nicht mehr in der Höchstform früherer Jahre, doch erleben wir ihn, wie er "Gaspard de la nuit" immer noch mit staunenswerter Leichtigkeit und Souveränität bewältigt, ohne jede Geste sportiver Virtuosität. Von malmendem Minenspiel begleitet, ist sein Vortrag geprägt von Transparenz und zugleich von der Erkenntnis, dass es nie ein Mehr an Zutaten braucht, um diese Musik eindringlich zu vermitteln.

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Vlado Perlemuter - Ravel Gaspard de la Nuit

Gaspard de la nuit

Der Titel "Gaspard de la nuit" bezieht sich auf die Dichtung des romantischen Dichters Aloysius Bertrand, der sich in der Nachfolge des deutschen Schriftstellers E.T.A. Hoffmann gesehen hat. Das erste Stück "Ondine" erzählt die Geschichte vom mythologischen Wassergeist, jenem nymphenhaften Zauber- oder Elementarwesen, das erst dann eine Seele erhält, wenn es sich mit einem Mann vermählt. "Le Gibet“ bedeutet übersetzt "Der Galgen", eine Schauer-Szene im umfassenden Sinne. Der hochvirtuose Satz "Scarbo" an dritter Stelle bezieht sich auf einen kecken, unberechenbaren Kobold. Uraufgeführt wurde Ravels "Gaspard de la nuit" 1909 in Paris.

Martha Argerich (1980)

Angeblich hat sie dieses hochkomplexe Werk in nur einer Woche gelernt. Mag das stimmen oder nicht, Martha Argerich zählt zu den herausragenden Interpretinnen von "Gaspard de la nuit". Mitschnitte und Studio-Aufnahmen aus verschiedenen Phasen ihrer langen Karriere dokumentieren die Vertrautheit mit dieser Musik. Leider gibt es bislang kein zusammenhängendes Video. Man findet "Le Gibet" einzeln und in schlechter Bild-Auflösung. Etwas besser ist es um "Scabro" bestellt, der in einer Aufzeichnung von 1980 verfügbar ist. Anfangs wundert man sich, wie "La Martha" bei den ersten Tönen in die Kamera schaut, nach dem Motto: Was willst du denn? Doch nach wenigen Tönen erleben wir Argerich in Hochform. Ähnlich wie in ihrer Studio-Produktion von 1974 erleben wir, wie sie "Scarbo" als große Wahnvorstellung deutet. Eine Unterscheidung zwischen Traum und Wirklichkeit soll uns nicht möglich sein: die leisen klopfartigen Geräusche, die rasenden Figuren, das Prasseln von Akkorden, die dynamische Spannweite – all das sind wesentliche Merkmale einer expressiven Darstellung.

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Martha Argerich | Ravel –Gaspard de la nuit: Scarbo (1980)

Ivo Pogorelich (1980er)

Ivo Pogorelich hat "Gaspard de la nuit" im Jahr 1982 im Studio aufgenommen, nur wenig später dürfte die nicht datierte Video-Produktion entstanden sein. Im Vergleich zur Studioaufnahme entwirft der Pianist mit intensiverem Pedalgebrauch nicht nur im mittleren Satz impressionistische Klanggemälde, bei denen allerdings viele Töne auf befremdliche Weise verwischen. Ravel indes war ein Freund der Klarheit. Pogorelich lehnt sich hier mutig aus dem Fenster. Freunde der Wischtechnik werden sich daran erfreuen.

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Ivo Pogorelich - Ravel - Gaspar de la Nuit - (Full)

Lucas Debargues (2016)

Der französische Pianist Lucas Debargue hat sich 2015 mit einer bravourösen Darstellung von Ravels "Gaspard de la nuit" in die zweite Runde beim Moskauer Tschaikowsky-Wettbewerb gespielt. Zwar stand Debargue am Ende nicht auf dem Podium - er wurde Vierter -, dennoch bedeutete dieser Erfolg den Beginn seiner internationalen Karriere. Aus dem Jahr 2016 stammen zwei Video-Aufzeichnungen: die eine, in stimmungsvollem Ambiente aus Tours, die andere aus dem amerikanischen Tippet Rise Art Center in Montana. Dass der dortige Flügel einen sehr eigenen, nie stählernen, im Bassbereich sehr warmen Klang besitzt, hängt weniger mit der Aufnahmetechnik zusammen als vielmehr mit der Tatsache, dass es sich um einen älteren Steinway handelt, wie allein der Schriftzug auf dem Inneren des Tastendeckels verrät. Debargue ist hier ein noch junger Poet, der den Notentext akribisch studiert hat und dabei zu durchaus eigenen Ansichten gelangt, was Übergänge und Klang-Relationen betrifft. Das frühe Dokument eines Pianisten, der sich – Stand heute – nicht von der Hektik des Musikbetriebs vereinnahmen lässt.

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Lucas Debargue plays Ravel: Gaspard de la nuit

Khatia Buniatishvili (2019)

Als Studio-Album hat Khatia Buniatishvili Ravels Zyklus bis zum Ravel-Jahr 2025 (noch) nicht veröffentlicht. Wohl aber gibt es einen Video-Konzertmitschnitt aus der Selle Pleyel von 2019. Wie leise sie die schwierig zu realisierenden Tremoli in "Ondine" spielt und dazu ebenso gesanglich wie zart die Melodie, das zeugt von hohen pianistischen Qualitäten. Die Monotonie von "Le Gibet" fängt sie durch ein moderates Zeitmaß ein. Die unterschiedlichen Harmonien versieht sie mit stets wechselnden Farben. In "Scarbo" schließlich erweist sie sich als energetische, rhythmisch prägnante Interpretin, ein wenig in der Nachfolge von Martha Argerich. Eine in sich schlüssige Aufnahme, reich an Ausdrucksformen und nie manieriert.

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Khatia Buniatishvili - Ravel - Gaspard de la nuit

Marc-André Hamelin (2021)

Er kommt meist mit der Unverbindlichkeit eines Buchhalters auf die Bühne, setzt sich an den Flügel wie andere an einen Kaffeetisch und spielt ohne jede erkennbare Schwierigkeit die kompliziertesten Werke, die es für Klavier gibt. Marc-André Hamelin fühlt sich an den Grenzen zur Unspielbarkeit pudelwohl. Seine reichhaltige Diskographie allerdings schlägt bislang um den Komponisten Ravel einen auffallenden Bogen, obwohl Hamelins sonstiges Repertoire sehr, sehr weit gefasst ist. Eine Video-veröffentlichung von 2021 zeigt ihn jedoch als Interpreten von "Gaspard de la nuit". Die Beleuchtung setzt vor allem auf Schwarztöne, so dass man nur die Ränder des Instruments erahnen sowie Hamelins Kopf und seine Hände gut erkennen kann. Er spielt mit einer in dieser Selbstverständlichkeit seltenen Geläufigkeit, er verbindet Griffsicherheit und Feinheiten auf betörende Weise. Die Mühelosigkeit des Vortrags macht den physischen Aspekt von Ravels Musik beinahe vergessen.

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Ravel – Gaspard de la Nuit | Marc André Hamelin

Sendung: "Interpretationen im Vergleich. Maurice Ravel: Gaspard de la nuit", am 6. März 2025 ab 20:03 Uhr auf BR-KLASSIK

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