Maurizio Pollini war einer der aufregendsten Pianisten der letzten fünfzig Jahre. Eine technisch beinahe konkurrenzlose Perfektion verbunden mit klassizistischer Klarheit prägten das besondere Profil des Italieners. Im Zentrum seines Repertoires stand die Musik Chopins, Beethovens und Schuberts. Leidenschaftlich engagierte er sich aber auch für die Moderne des 20. Jahrhunderts. Nun ist Pollini im Alter von 82 Jahren gestorben.
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Mit gerade erst 18 Jahren gewann Maurizio Pollini den Chopin-Wettbewerb 1960 in Warschau. Unmittelbar darauf erhielt er zahlreiche internationale Konzertangebote, die der junge Pianist allerdings zunächst ablehnte, um sich dem Studium – unter anderem bei Arturo Benedetti Michelangeli – zu widmen. Doch schon bald danach machte Pollini als einer der weltweit gefragtesten Konzertpianisten Karriere.
Maurizio Pollini kam am 5. Januar 1942 in Mailand als Sohn eines Architekten zur Welt. Und etwas beseelt Architektonisches charakterisiert sein Klavierspiel. Er war ein Apolliniker, der die Details wohl proportionierte und sie zugleich mit tief lotendem Ausdruck füllte. Die nüchterne Intensität seines Klavierspiels wurde zum Markenzeichen, ja stilbildend für eine ganze Pianisten-Generation. Zudem konzertierte Pollini mit allen großen Orchestern der Welt – darunter das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, mit dem er 2006 unter der Leitung von Mariss Jansons das 2. Klavierkonzert von Johannes Brahms aufnahm.
Maurizio Pollini im Jahr 1960 in Warschau nach dem Gewinn des Chopin-Wettbewerbs. | Bildquelle: picture-alliance/dpa
Pollini überzeugte nicht nur als Interpret klassischer Werke, sondern auch als Avantgarde-Pianist. Bereits in den 1970er Jahren begann er damit, ungewöhnliche Orte wie Fabriken oder Sporthallen für seine Konzerte zu wählen und sein Publikum mit Mischprogrammen aus Klassik und Moderne zu konfrontieren.
Zum 100. Geburtstag von Arnold Schönberg im Jahr 1974 widmete er sich in Konzerten und Schallplattenaufnahmen dem gesamten Klavierwerk des Komponisten. Ähnlich wie Arnold Schönberg legte Pollini besonderen Wert darauf, die Fortschrittlichkeit etwa eines Johannes Brahms zu verdeutlichen und zugleich die Notwendigkeit zu betonen, sich als Interpret wie als Hörer immer wieder mit Neuem auseinanderzusetzen.
Ab 1994 stellte er seine kreativ grenzüberschreitenden Konzertprogramme bei den Salzburger Festspielen unter dem Namen "Progetto Pollini" zusammen. Über mehrere Jahre entstanden so aufsehenerregende Zyklen mit moderner und alter Musik, in denen er Epochen und Stile, Komponisten und Stücke neu und oft überraschend mischte. "Romantik und Moderne sind kein Widerspruch. Schönberg war auch ein romantischer Komponist", sagte Pollini einmal im Gespräch mit BR-KLASSIK.
Der Pianist Maurizio Pollini im Gespräch mit BR-KLASSIK-Redakteur Bernhard Neuhoff über sein politisches Engagement gegen den Vietnam-Krieg und die Zukunft des klassischen Konzerts. Lesen Sie hier das Interview.
Für Maurizio Pollini war Musik nicht nur Form und Konstruktion. Als im Geiste des Humanismus verwurzeltem Künstler war sie ihm zutiefst auch menschlicher Ausdruck von Befindlichkeiten, gesellschaftlichen Widersprüchen, Hoffnungen oder Träumen. 1972 verursachte der italienische Pianist bei einem Mailänder Konzert einen Skandal, weil er vor dem Publikum eine Protestnote gegen die Bombardierung Nordvietnams durch die Amerikaner verlas.
Pollini war mehr als ein Musiker und Klaviervirtuose. Er fühlte sich als politisch denkender und handelnder Bürger, der engagiert für seine Überzeugungen eintrat. Gemeinsam mit Künstlerfreunden wie Claudio Abbado protestierte er nicht nur gegen den Vietnamkrieg, sondern auch gegen Diktaturen in Südamerika. Zuletzt empörte er sich - ebenfalls zusammen mit Abbado - über den kulturellen Raubbau der italienischen Politik unter Silvio Berlusconi.
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Maurizio Pollini plays Schönberg's op.11 and Beethoven's Hammerklavier (LIVE in Paris 2009)
Verantwortungsgefühl und Ernsthaftigkeit prägten das politische wie das musikalische Tun und Denken Maurizio Pollinis. Die Wertschätzung für seine künstlerische Offenheit und Konsequenz zeigte sich nicht zuletzt in der Vergabe des Siemens-Musikpreises 1996 an den Pianisten. In seiner Laudatio schrieb der Muskkritiker Joachim Kaiser: "Pollini weiß ja, wie bedeutsam in der Musik gerade die Ruhe ist, die Stille, das Schweigen."
Klassische Schönheit und Moderne schlossen sich für Pollini nicht aus. Sein Klavierspiel strebte nach Balance und Klarheit auch in der Interpretation zeitgenössischer Musik. Die Aufnahme der Chopin-Etüden aus dem Jahr 1972 fasziniert wegen dieses klassischen Verständnisses von Schönheit noch heute. Und das mit einer so unmittelbarer Frische, dass sich gar nicht genau festmachen lässt, was daran stärker begeistert: der schnörkellos durchsichtige Klavierton, die brillante Virtuosität, die emotionale Sensibilität oder die strukturelle Logik.
Klassik-Stars in memoriam Maurizio Pollini am Montag, 25. März, 18:05 Uhr auf BR-KLASSIK.
Kommentare (5)
Montag, 25.März, 14:45 Uhr
Robert Werner Stammsen, Lyriker, Kalkar
Zum Tod von Maurizio Pollini
Ich bin am 10. März 60 Jahre alt
worden und meine Erinnerungen an Maurizio Pollini
gehen in das Jahr 1988 zurück. Damals kaufte ich eine Musiccassette mit Chopins Preludes op. 28, live 1960 mit ihm. Sie wurde meine Lieblingsaufnahme dieser grandiosen Preludes. Diese Cassette besitze ich heute noch, leider ohne Abspielmöglichkeit, da der passende Recorder fehlt. Im November vergangenen Jahres erstand ich, das kann kein Zufall sein, gerade "diese Aufnahme" in einer noch in Schutzfolie verschweissten 3- Lp-Box mit einem reinen Chopin-Live- Programm mit Pollini. Ich habe die Box bis heute noch nicht ausgepackt und gehört, das werde ich jetzt " nachholen" müssen. Als ich von seinem Tod erfuhr, lag die Musiccassette
schon wochenlang auf dem Küchenschrank, immer wenn ich sie anschaute, dachte ich an Pollini. Ganz intensiv in den Tagen vor seinem Tod am 23. März. Ich habe es geahnt, und die Preludes werden wohl beim Anhören jetzt ganz "Maurizio" werden, dafür danke ich dir, Grande Pianiste !
Sonntag, 24.März, 14:03 Uhr
Publikum
MAURIZIO POLLINI
... Trauer, dass er nicht mehr lebt -
stilles Glück, ihn unsterblich zu wissen
durch seine Musik ...
Sonntag, 24.März, 11:04 Uhr
Adrian Leverkuehn
Zum Tode Maurizio Pollinis
Das letzte Mal, an dem ich ihn live erleben durfte, war vor knapp zwei Jahren in der Alten Oper in Frankfurt. Hier spielte er als Zugabe Chopins g-moll Ballade op. 23. Beim Hinausgehen suchte er den Bühnenausgang. Ich dachte mir damals schon, dass ich ihn nicht mehr hören werde. Es war sein Requiem. Grazie mille, Maurizio! RIP
Samstag, 23.März, 23:09 Uhr
Tuotilo
Im Jahr des 100. Geburtstags von Luigi Nono sollte auch dessen besondere Freundschaft mit Pollini erwähnt werden. Der verstorbene Pianist hat mehrere Werke Nonos uraufgeführt, und im Bunde mit Claudio Abbado haben die drei, vor allem in den 1970er Jahren, legendäre Konzerte inklusive anschließender Diskussionsrunden in Fabriken und für Arbeiter gegeben.
Samstag, 23.März, 17:16 Uhr
Johannes
Grazie Maestro!
Er war einer der ganz Großen. Seine Aufnahmen haben mich ein Leben lang begleitet: Schuberts Wandererfantasie, Schumanns fis-Moll-Sonate und die C-Dur-Fantasie, die Chopin-Etüden und die späten Beethoven-Sonaten. Referenzaufnahnen bis heute. Grazie Maestro!