Seit 30 Jahren musiziert das Henschel Quartett auf der ganzen Welt. Was ist das Geheimnis dieser jahrzehntelangen erfolgreichen Zusammenarbeit? Die Geschwister Monika und Christoph Henschel verraten im Interview, worauf es ankommt. Außerdem erzählen sie, was das Publikum beim Konzert am Freitag in der Pinakothek der Moderne in München erwartet. Da verschmelzen nämlich Klang und visuelles Erleben miteinander.
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BR-KLASSIK: Christoph und Monika Henschel, bei "Mensch – Raum – Klang – Moderne" geht es auch um ein Miteinander von verschiedenen Künsten. Es ist ein gewisser Baustein von zeitgenössischer Auseinandersetzungen mit Kunst und Kultur. Das hat viele Vorteile. Aber man könnte es auch umdrehen und ein bisschen spitzer formulieren: Warum eigentlich? Wirkt die Musik nicht auch für sich?
Monika Henschel: Uns geht es um das Erleben des Ganzen, das eben mehr ist als die Summe seiner Teile. Wie kostbar ist ein gewachsener Klangkörper – diese Frage stellen wir und adressieren damit die Gesellschaft. Das erste "Mensch – Raum – Klang – Moderne" vor zwei Jahren stand deshalb auch unter diesem Titel: "Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile." Eine wunderbare Videokünstlerin hat damals genau diesen Gedanken gefasst. Alle Wände, Decken und Treppen waren passend zur Musik in Licht und Videokunst getaucht. Da musste dann nicht mehr viel über über Sachinformation laufen. Die Menschen sind nah ans Ensemble herangekommen – ganz unter dem Eindruck der Kunst – und haben erlebt, was es bedeutet, wenn ein Klangkörper über Jahrzehnte zusammengewachsen ist. Das ist die Zielsetzung dort in der Pinakothek der Moderne.
Es geht um das Erleben des Ganzen.
Christoph Henschel: Und ich fand es hochinteressant, wie sich die Videodarstellung und die Musik damals gegenseitig befruchtet haben.
Monika Henschel: Da hast Du Recht, das war ein Gesamtkunstwerk.
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MENSCH KLANG – RAUM – MODERNE
BR-KLASSIK: Nichtsdestotrotz spielt die Musik eine ganz entscheidende Rolle. Und Sie haben jetzt bei dem Konzert eine Komponistin dabei, Freda Swain, die mir bisher noch nichts gesagt hat. Vielen im Publikum sicherlich auch nicht. Was ist das für Musik?
Monika Henschel: Ehrlich gesagt hat sie uns vor einem Jahr auch noch nichts gesagt. Freda Swain, 1902 geboren, 1985 verstorben, war eine englische Komponistin, die sich zurückgezogen hatte. Das hatte persönliche Gründe. Sie war sehr früh als großes Talent am Royal College Music in London erkannt worden, hat dort Klavier studiert und Komposition, musste dann aber für ihre jüngeren Geschwister sorgen ...
Christoph Henschel: ... aber ist damals schon Professorin gewesen am Royal College!
Monika Henschel: Ja, schon kurz nach ihrem Studium! Wir kennen heute weit über 400 Werke von ihr. Und wir sind der Meinung, sie war ein Genie.
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Die Musik wogt wie im Meer.
BR-KLASSIK: In welche Richtung geht denn Swains Musik?
Monika Henschel: Wenn man so will, hört man mitunter Schostakowitsch in ihrer Musik. Aber das ist jetzt zu platt ausgedrückt. Sie hat wirklich ihre eigene Tonsprache. Vielleicht beschreibt es am allerbesten das Bild des Meeres, weil sie sehr inspiriert war von der Landschaft, vom Meer, vom Wind. Wir haben auch ein Klavierquartett mit dem Titel "The Sea" von ihr gespielt. Und Swains Musik lässt keine der vier Stimmen jemals irgendwie nur begleiten, sondern alles wogt wie im Meer.
Christoph Henschel: Was sehr herausfordernd ist für jeden Interpreten.
BR-KLASSIK: Und ist ihre Musik dann spätromantisch? Oder schon atonal?
Christoph Henschel: Als atonal würde ich sie nicht bezeichnen. Ich glaube, spätromantisch trifft es ganz gut.
Monika Henschel: Wir haben Freda Swain jetzt mit auf Tour genommen zum Jubiläum. Und weder das Publikum in Japan noch in Deutschland oder Skandinavien kannte diese Komponistin. Aber sie hat überall Jubelstürme ausgelöst.
Christoph Henschel: Gerade das japanische Publikum ist ja sehr konservativ. Aber das kam fantastisch an. Mit Jubelstürmen und Bravo-Rufen, was man auch nicht so häufig erlebt beim disziplinierten japanischen Publikum.
Henschel Quartett | Bildquelle: wildundleise.de BR-KLASSIK: Das Henschel-Quartett feiert jetzt 30-jähriges Jubiläum. Das ist schon echt eine Hausnummer. Was ist Ihr Geheimrezept? Dass man so lange so international auf diesem Level zusammenbleibt, ist ja doch sehr selten.
Christoph Henschel: Man muss für die Kammermusik und für die Meisterwerke brennen. Und es ist wichtig, dass man nie ausgelaugt ist oder nur Routine abliefert. Und das Repertoire ist einfach phänomenal. Da sucht man seinesgleichen.
Man muss für die Kammermusik und für die Meisterwerke brennen.
BR-KLASSIK: Aber gab es das nie bei Ihnen, dass Sie an einen Moment gekommen sind, wo Sie gesagt haben: Hier komme ich nicht mehr weiter – wie in einer Sackgasse?
Monika Henschel: Ich finde, Christoph, Du hast es richtig auf den Punkt gebracht. In dem Moment, wo man sich selber mal hinten anstellt und sich wirklich auf die Musik fokussiert, das hat eine solche Kraft, die ist so übermenschlich. Da gibt es keine Sackgasse.
Christoph Henschel: Nein, Sackgassen nicht. Aber es gab schon manchmal Schwierigkeiten, Hürden. Aber das ist ja auch Sinn der Sache, dass man dann gemeinsam Lösungen findet. Und wenn man sich gut versteht, was wir tun, dann finden wir auch immer Lösungen – in diese oder jene Richtung.
Monika Henschel: Wir wissen ja auch alle: Jede Hürde, die wir überwinden, macht uns so viel stärker. Das ist das, was wir im Ensemble natürlich auch erlebt haben.
Jede Hürde, die wir überwinden, macht uns stärker.
BR-KLASSIK: Okay, das klingt schon sehr harmonisch. Wie schauen denn die nächsten 30 Jahre aus?
Christoph Henschel: Das ist eine gute Frage. Wenn die Gesundheit mitspielt, das weiß man ja nie ...
Monika Henschel: Dazu muss ich eine witzige Geschichte erzählen. Wir haben 1998 oder '99 ein Fax bekommen ...
Christoph Henschel: ... das war kurz nach dem Gewinn des Osaka Wettbewerbs. Das war eine Dame, die hatte uns gehört und gleich gesagt, die interessieren mich. Noch bevor klar war, dass wir den ersten Preis kriegen, hat sie Touren organisiert.
Monika Henschel: Jedenfalls kam dieses Fax aus dem Gerät und man fängt ja schon an zu lesen, während das noch rausrollt: "Please give me your ability for the next 2.000 years." Da haben wir uns angeschaut, tief in die Augen geblickt und gesagt: Okay, wir werden uns bemühen.
Freitag, 13. Dezember 2024 um 19.30 Uhr
Pinakothek der Moderne, München
Audio-visuelles Livekonzert in der Pinakothek der Moderne auf verschiedenen Bühnen
Musik und Kunstinstallation: HONO QUARTET Tokio und HENSCHEL & FRIENDS ENSEMBLE München
Installationen: Mechthild Ackermann
Sendung: "Allegro" am 11. Dezember 2024 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK
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