1778 vollendete Mozart in Paris eine stilistische Revolution: seine "erste tragische Sonate". Hintergrund der Entstehung war ein persönlicher Schicksalsschlag für den damals 22-jährigen Komponisten. Welche Pianistinnen und Pianisten interpretieren Mozarts Klaviersonate KV 310 besonders überzeugend? Fünf Aufnahmen im Vergleich.
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Die Sonate KV 310 ist eines der herausragenden Werke in Mozarts Kompositionen für Klavier. Sie ist seine erste Sonate in einer Moll-Tonart und in ihrem leidenschaftlichen, ja dramatischen Charakter einzigartig. Der 22-Jährige hat sie mit enormer kompositorischer Stringenz, Klarheit im Notentext und vielen innovativen Klangeffekten während seiner Reise nach Paris 1778 komponiert. Oft wird die Entstehung des dreisätzigen Werkes in Verbindung mit dem Tod von Mozarts Mutter gebracht, die auf dieser Reise in Paris starb.
Doch die Klaviersonate a-Moll KV 310 ist mehr als ein Spiegel der Ereignisse, der all dies expressiv-vibrierend reflektiert, in einem Mix aus zorniger Enttäuschung, Trauer, Verlust, Einsamkeit, Stolz und liebevollem Andenken. Mehr Raffinesse liegt darin, dem Pianisten Mozart zu folgen, der unbedingt auf seiner Bewerbungstour in Paris reüssieren wollte und eine rassige, stilistisch überraschende Sonate als ein Zeichen, vielmehr ein Ausrufezeichen gut gebrauchen konnte.
Mehr Ausrufezeichen geht (fast) nicht. Glenn Goulds Einspielung kann mühelos das klassisch konditionierte Gemüt der Zuhörenden aufwühlen. Seine rasant irrlichternde Tour de force appelliert an die Freiheit der Interpretation. Dabei hat der exzentrische Pianist alle Mozartsonaten aufgenommen. Er hat es also sehr ernst gemeint mit dem Wiener Klassiker. Doch Glenn Gould und Mozart? Da stehen heute vielen die Haare zu Berge. Es steckt aber ungemein Beeindruckendes in seinem markanten, unerbittlichen Turbospiel. Zum Beispiel der Drive am Ende der Exposition im ersten Satz und das federnde Abphrasieren der letzten drei C-Dur Akkorde – von keiner Pianistin, keinem Pianisten wurde es so geschmeidig und brillant gespielt. Glenn Gould als jagender Kugelblitz in Mozarts Klavierkosmos – ein teuflisch guter Spuk!
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Glenn Gould - Mozart Piano Sonata No.8 K.310 A minor Movement 1 - Allegro Maestoso
Kann man Mozart wie Brahms spielen? Hélène Grimaud scheint das zu testen und lotst mit großen romantischen Gesten und etwas Pathos durch alle drei Sätze. Zeit und Tempo sind dabei Begriffe, die sich in üppigen Klangräumen des modernen Konzertflügels ziemlich unklassisch ausdehnen. Grimaud versucht das Raffinierte übers Rubato zu erreichen. Ihr weich sonorer Ton klingt manchmal wie durch Watte, ihre Interpretation ist dynamisch individuell – man könnte auch sagen: ungenau – gestaltet, und man fragt sich: Auf welcher Wolke schwebend träumt die französische Pianistin?
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Mozart: Piano Sonata No. 8 in A Minor, K. 310 - I. Allegro maestoso
Alfred Brendel verleiht dem Kopfsatz Allegro Maestoso durch ein gemäßigtes Tempo Würde und Ernsthaftigkeit. Das gedrosselte Temperament gestattet es dem österreichischen Pianisten, die Dynamik und die Phrasierung legatobogen und staccatipunktgenau anzulegen. Es macht schon Sinn, sich daran zu halten. Aber hat die Musik Leben? Brendel, bekannt als versierter Fuchs in Sachen Mozart, führt ab und zu beeindruckende Klangeffekte vor, lässt Momente der Magie aufflackern. Doch das war es dann auch schon. Biedere Betulichkeit schleicht sich in seinem eingeschnürten Mozartspiel ein. Alles richtig machen ist wenig prickelnd.
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Mozart: Piano Sonata No. 8 in A Minor, K. 310 - 1. Allegro maestoso
Von allem nicht zu viel und nicht zu wenig. Die Japanerin Mitsuko Uchida setzt auf metrische Genauigkeit bei ausgewogener Ausdruckskraft. Ihr Tempo und ihre Passion erscheinen als die unaufgeregte Balance von Allegro und maestoso. Uchida kann ihre respektvolle Werktreue einwandfrei umsetzen und intim im Ton mit Leben füllen. Nicht emotional überbordend, dafür empfindsam-sinnierend. Den zweiten Satz verzaubert sie in ein kunstvolles Rokokotischchen mit vielen Intarsien: wertvoll und handwerklich makellos gestaltet.
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Mozart: Piano Sonata No.8 in A minor, K.310 - 1. Allegro maestoso
Die ersten Akkorde, und schon befindet man sich auf einer Zeitreise. Der niederländische Pianist Ronald Brautigam wählt für seine Aufnahme einen historischen Nachbau eines Walterflügels von 1795. Er bahnt sich einen sonoren Weg durch die Hammerflügellandschaften. Wärme und noble Cantabilität bestimmen den Charakter des 1. Satzes, auch wenn dafür das ein oder andere Rubato leider herhalten muss. Viel Gelungenes scheint hier selbstverständlich, die geschmeidigen Vorhalte und Triller, das Spiel mit der Dynamik, gewitzte Akzente, ein zartes Frage-und-Antwort-Spiel im Andante. Besonders in den harmonisch wie rhythmisch packenden Passagen zeigt sich die feurige Klangwelt des Instruments. In den vielen schnellen kleinen Sekundreibungen hat man das Gefühl, ein schillernder Drache springt einen an. Aus den Bassfiguren faucht und glüht es. Das kontrastreiche dynamische Spektrum des Hammerflügels scheint wie für diese Sonate gemacht – und umgekehrt. Hat die unmittelbare Ausdruckskraft, ja explosive Wildheit des Instruments Mozart beflügelt? Eine Frage, die Ronald Brautigam immer wieder begeisternd bejaht.
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Piano Sonata No. 8 in A Minor, K. 310: I. Allegro maestoso
Sendung: "Interpretationen im Vergleich" am 19. April 2022 ab 20:05 Uhr auf BR-KLASSIK. Die Sendung können Sie anschließend 7 Tage online nachhören.
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