Sie sind Brüder – und beide berühmte Dirigenten: Ádám und Iván Fischer, geboren 1949 und 1951 in Budapest. Ein Anruf bringt die beiden zum Gespräch zusammen: Am Abend dirigiert Ádám Fischer in Kopenhagen, Iván Fischer in München.
Bildquelle: Marco Borggreve/Nikolaj Lund/BR-Montage
BR-KLASSIK: Ádám Fischer und Iván Fischer, sehen Sie sich eigentlich manchmal, treffen Sie sich oder telefonieren Sie miteinander? Haben Sie Kontakt?
Ádám Fischer: Es ist nicht so oft, wie es sein sollte. Es ist halt so, dass wir oft weg sind. Und ich sage immer: Dirigenten sind Einzeltiere. Wir können miteinander beruflich nichts machen, und wir sprechen viel seltener miteinander, als wir sollten. Natürlich wissen wir alles voneinander. Ich habe Iván das letzte Mal vor zehn Tagen getroffen, und wir telefonieren auch. Aber ich gebe zu, dass ich meine Schwester einfacher erreiche als meinen Bruder (lacht).
Die Wellenlänge bei Musikgeschwistern – sie dürfte passen, haben sie doch die gleiche große Liebe: die Musik. Aber wie gehen sie sonst miteinander um? Konkurrenz oder Unterstützung? Oder beides? Erfahren Sie mehr in unserer BR-KLASSIK-Reihe.
Iván Fischer: Ja, wir treffen uns, wenn möglich, wirklich gerne. Das ist dann immer eine große Freude.
BR-KLASSIK: Wie war das eigentlich zuhause bei Ihnen mit dem Üben? Sie haben ja beide Klavierspielen gelernt. Wahrscheinlich gab es aber nur ein Klavier?
Iván Fischer: Ich war der Cellist, Ádám der Pianist, und unsere jüngere Schwester Esther hat Violine studiert. Der Traum unserer Eltern war, dass wir miteinander Klaviertrio spielen. Aber mit dem Üben war es kein Problem. Ich habe nur ein Jahr, als ich fünf war, Klavierunterricht gehabt. Und dann bin ich oft auf die Streichinstrumente Geige und Cello umgestiegen. Da musste man eben in zwei verschiedenen Zimmern üben.
Ádám Fischer
*9. September 1949 in Budapest
studierte Klavier und Dirigieren bei Hans Swarowsky
1987 gründete die Österreich-Ungarische Haydn Philharmonie
1998 Künstlerischer Leiter des Danish Chamber Orchestra
2006 gründete die Budapester Wagner Tage
2015 Principal Conductor der Düsseldorfer Symphoniker
2017 Ehrenmitglied der Wiener Staatsoper
2022 Internationaler Classical Music Award
Iván Fischer
*20. Januar 1951 in Budapest
studierte Klavier, Violine, Violoncello und Komposition
Dirigierklasse von Hans Swarowsky an der Wiener Musikakademie
1976 Dirigentenwettbewerb der Rupert Foundation in London gewonnen
1983 gründete das Budapest Festival Orchester
2012 Chefdirigent des Konzerthausorchesters Berlin
Ádám Fischer: Naja, das ist klar. Der Iván hat sich wahrscheinlich öfters geärgert, denn Cello zu üben ist schwieriger, wenn jemand nebenan Klavier spielt, als umgekehrt. Aber wir haben oft versucht, Kammermusik zu machen – mit unterschiedlichem Erfolg. Zuerst ist unsere Schwester ausgestiegen …
BR-KLASSIK: Ihr Vater Sándor Fischer war ja auch Dirigent. Hat er Sie motiviert oder war er skeptisch, als Sie beide Musiker werden wollten?
Ádám Fischer: Ich glaube, er wollte unbedingt, dass wir Musiker werden. Das hat mehrere Gründe gehabt. Ich denke, es war für ihn persönlich wichtig. Denn er hat in einer sehr schwierigen Zeit gelebt, die Geschichte hat ihn sozusagen erwischt: Als Jude konnte er nicht studieren, dann hat er keine Stellung bekommen und geglaubt, die Söhne sollten den Traum verwirklichen, den er sich nicht erfüllen konnte. Deshalb war es für ihn so wichtig, dass wir Musik machen. Andererseits sollten wir, das hat er immer gesagt, einen Beruf erlernen, der nicht mit der Sprache verbunden ist, damit wir später die Möglichkeit hätten, Ungarn zu verlassen. Das war für ihn sehr wichtig. Also das heißt: Arzt hätte ich werden können, Anwalt nicht (lacht).
Arzt hätte ich werden können, Anwalt nicht.
BR-KLASSIK: Aber es ist doch eigentlich erstaunlich, dass Sie dann beide Dirigenten geworden sind?
Iván Fischer: Ja, aber das kommt manchmal vor, wenn ich ähnliche Geschwister-Konstellationen betrachte, dann steht da meistens ein Vater mit einem starken Willen und Wunsch, mit einer starken Ausstrahlung und Persönlichkeit dahinter. Ich denke jetzt zum Beispiel an die Schach spielenden Polgár-Schwestern, da ist der Vater das eigentliche Genie, den ich gut kenne. Und in unserem Fall fand unser Vater eben Kultur und Musik sehr wichtig. So hat er gelebt, das war sozusagen seine Religion. Und er hat uns weitergegeben, dass wir uns für die Kultur einsetzen und das als unser Lebensziel ansehen. Ich bin ihm wirklich sehr dankbar dafür.
BR-KLASSIK: Mir ist aufgefallen, dass Sie ja beide im Chor der Ungarischen Staatsoper gesungen haben. Wie war diese Zeit für Sie?
Ádám Fischer: Wir haben im Kinderchor des ungarischen Rundfunks gesungen. Damals wurde der Kinderchor für verschiedene Produktionen in die Staatsoper eingeladen. Wir haben sehr viel Spaß gehabt. Für mich war das so prägend, als wir das erste Mal in der Oper gesungen haben, dass ich beschlossen habe: Die Oper wird meine Welt sein. Hinter der Bühne die "Zauberflöte" zu erleben, das war unglaublich. Iván war der zweite Knabe in der "Zauberflöte", ich der dritte.
Iván Fischer: Im Chor zu singen, ist das Schönste für ein Kind. Kann ich allen Kindern nur empfehlen. Vor allem erinnere ich mich an "Boris Godunow", weil wir da zwei Szenen gehabt haben. Am Anfang waren wir bei der Krönung dabei – dann große Pause, und dann haben wir diesen Irren im letzten Akt wiedergetroffen. Und in der Zwischenzeit konnten wir in Kostümen nach Hause gehen.
Ádám Fischer: Wir wohnten gegenüber der Oper, und das war verboten. Aber wir haben es trotzdem gemacht (lacht).
Im Chor zu singen, ist das Schönste für ein Kind.
BR-KLASSIK: Sie haben ja beide bei Hans Swarowsky studiert. Das war natürlich der große Dirigierlehrer für ganz viele Dirigenten. Wie haben Sie zusammen diese Zeit erlebt? Haben Sie sich ausgetauscht? Oder waren sie in verschiedenen Klassen?
Ádám Fischer: Insofern war er ein ganz großartiger Lehrer, als dass er seine musikalischen Auffassungen nicht weitergeben wollte. Er hat darauf bestanden, dass wir die Technik des Dirigierens lernen. Da war er unerbittlich in der Hinsicht, dass wir den richtigen Einsatz geben können – aber das Musikalische hat er uns überlassen. Das ist selten. Ich habe immer wieder erlebt, dass große Dirigenten, wenn sie unterrichten, versuchen, ihre Schüler dazu zu bringen, den Dirigenten nachzumachen. Und das ist das Schlimmste, was einem Dirigenten passieren kann.
BR-KLASSIK: Iván Fischer, waren Sie damals in derselben Klasse bei Swarowsky wie Ádám?
Iván Fischer: Nein, Ádám war vor mir dort, er ist früher nach Wien gefahren als ich und hat sein Diplom auch früher gemacht. Er wurde dann schon Korrepetitor und Kapellmeister in verschiedenen Theatern. Ich habe dafür noch die letzten Jahre von Swarowsky in Wien erlebt. Ich erinnere mich an Swarowsky vielleicht etwas anders, denn er hat uns sehr starke musikalische Ideen vermittelt im Sinne einer puritanischen Haltung. Für ihn war die Struktur der Musik, waren die Noten selbst das Wichtigste. Er wollte nichts interpretieren und nichts interpretieren lassen, nur das Stück aufführen, ziemlich trocken. Er kam aus der Generation der Neuen Sachlichkeit, und da war er ein ganz Großer.
BR-KLASSIK: Ist es nicht eigentlich erstaunlich, dass Sie beide eigene Orchester gegründet haben, also Sie, Ádám Fischer, die Österreichisch-Ungarische Haydn-Philharmonie und Sie, Iván Fischer, das Budapest Festival Orchestra? Wie kam das, dass Sie beide ein eigenes Orchester gegründet haben? Haben Sie sich darüber ausgetauscht?
Ádám Fischer: Damit hat der Iván angefangen, weil er unzufrieden war mit den anderen Orchestern, die er dirigieren konnte. Er hat daraus den Schluss gezogen, er müsse ein eigenes Orchester gründen. Das war fantastisch – das war ein ganz, ganz großer Erfolg. Und dann habe ich versucht, ihm das nachzumachen, aber erst später.
Iván Fischer: Wir haben sehr oft Gedanken ausgetauscht, über alles. Da gehört natürlich auch die menschliche Seite des Berufs dazu, wie man mit einem Orchester umgeht. Aber es gab auch viele Gespräche über musikalische Details, über Sänger oder über praktische Lösungen, wie man sich als Dirigent im Konzertsaal oder in der Oper rettet. Wir haben über alles gesprochen.
BR-KLASSIK: Bei Brüdern ist es ja oft so, gerade wenn beide Karriere machen und dann noch beide Dirigenten werden: Gab es mal Konkurrenzgefühle von Ihrer Seite dem anderen gegenüber? Haben Sie sich manchmal auch als Rivalen empfunden?
Ádám Fischer: Da müssen Sie unsere Schwester fragen, die ist Psychologin. Mir ist das so nicht direkt bewusst. Aber sie würde sicherlich sagen, dass wir das unterbewusst hatten. Andererseits haben wir beide bis jetzt ein wunderbares Berufsleben gehabt, und ich habe nichts zu beneiden. Es ist leider so, dass wir beruflich zu wenig miteinander machen konnten. Es gibt sehr, sehr wenige Stücke in der Musikliteratur für zwei Dirigenten, wir waren eben diese Einzeltiere.
Iván Fischer: Ich kenne das Gefühl von Rivalität überhaupt nicht. Die Welt ist groß genug. Und dass ich einen Bruder habe, der ein sehr großer Dirigent ist, ist für mich ein Geschenk.
Ádám Fischer: Danke!
BR-KLASSIK: Hatten Sie mal Krisen in Ihrer Karriere? Dass Sie mal nicht so genau wussten: Wie mache ich jetzt weiter? Soll ich diese Stelle annehmen oder nicht? Haben Sie sich da unterstützt oder auch mal ausgetauscht?
Iván Fischer: Krisen hat man immer mit sich selber. Also wir haben unterschiedliche Geschichten: Ádám wusste schon ganz früh, dass er Dirigent werden wollte, seit der Kindheit schon. Ich war absolut unsicher und habe mit verschiedenen Sachen geflirtet. Ich habe alles Mögliche gemacht: komponiert, dirigiert, Theaterregie, Cello gespielt, auch Alte Musik. Und eigentlich hat sich das dann so ergeben. Manchmal fragen mich Journalisten: Wann haben Sie sich eigentlich dafür entschieden, Dirigent zu werden? Und jetzt, in den letzten Jahrzehnten, habe ich die echte Antwort gefunden: Ich habe mich noch nicht entschieden …
Krisen hat man immer mit sich selber.
BR-KLASSIK: Haben Sie eigentlich beide noch einen Wohnsitz in Budapest? Und welche Haltung haben Sie zur Regierung von Viktor Orbán?
Ádám Fischer: Ich habe in Budapest noch mein Haus, aber wir sind nicht oft genug dort. Ich bin seit vielen Jahrzehnten in verschiedenen Menschenrechtsorganisationen tätig, und das, was die Regierung Orbán tut, ist – sagen wir es ganz offen – schrecklich. Aber die Welt geht in diese Richtung. Und ich würde jetzt nicht nur wegen Orbán verzweifeln, sondern wegen all dem, was gerade in der Welt passiert. Ich habe viele Freunde in Ungarn und bin sehr gerne dort. Ich gehöre eigentlich dort hin – die Sprache, die Kultur, die Küche, das alles verbindet mich immer noch mit Ungarn.
BR-KLASSIK: Wie ist das bei Ihnen, Iván Fischer? Sie haben ja auch Ihr Orchester dort.
Iván Fischer: Ja, das hält mich auch in Ungarn, ich bin durch ähnliche emotionale Beziehungen mit dem Land verbunden und auch ähnlich kritisch. Ich glaube, Ádám und ich sind uns, was Gesellschaft oder Politik betrifft, sehr einig. Man muss diese Ideologie der Orbán-Epoche in Ungarn in einem anderen Licht sehen: Jetzt leben wir international in der Zeit der Populisten. Und in Ungarn ist das früher gekommen als in anderen Ländern. Meine Antwort, warum das dort früher stattfand, ist: weil das eine unterentwickelte Demokratie war. Die ungarische Demokratie konnte sich nicht schützen. Aber jetzt sehen wir langsam überall eine ähnliche Schutzlosigkeit – von Amerika bis Frankreich.
BR-KLASSIK: Haben Sie beide untereinander oder auch mit Ihrer Schwester je über Ihr Judentum gesprochen und über diesen jetzt überall aufflammenden Antisemitismus diskutiert? Machen Sie sich Sorgen – oder haben Sie dieses Thema einfach ignoriert?
Ádám Fischer: Das ist ein weites Thema. Antisemitismus und Israelfeindlichkeit sollten eigentlich zwei verschiedene Dinge sein, aber mittlerweile vermischt sich das – das ist ein sehr, sehr komplexes Problem. Ich gebe zu, dass sich meine Meinung dazu immer wieder ändert. Und ich kann nur inständig hoffen, dass dieser Krieg irgendwann zu Ende geht – und dass dann auch der aufflammende Antisemitismus ausbleibt.
Iván Fischer: Wir kommen aus einer jüdischen Familie, die nicht mehr religiös war. Das heißt, wir haben nicht mal Hebräisch gelernt. Wir wussten nichts von der Religion oder nur minimal wenig. In unserer Familie hat die Kultur die Rolle der Religion übernommen. Wir haben für die Kultur gelebt. Aber: Es gibt trotzdem eine jüdische Identität in unserer Familie. Ich bin total einverstanden mit dem, was Ádám sagt: Wenn man Kritik an der israelischen Regierung übt, sollte man das nie Antisemitismus nennen. Das ist ein totales Missverständnis. Echtem Antisemitismus begegne ich dagegen fast nie.
BR-KLASSIK: Was bedeutet Ihnen der brüderliche oder auch geschwisterliche Zusammenhalt?
Ádám Fischer: Das ist Teil meines Lebens. Ich sage sowieso: Familie ist der Sinn des Lebens. Und ich bin natürlich sehr glücklich, weil ich zwei Kinder habe und sogar drei Enkelkinder. Das ist der Sinn des Lebens.
Iván Fischer: Ich glaube, wenn mein Vater noch leben würde, wäre er glücklich und stolz auf uns, weil wir seine Prinzipien weiterführen. Damit meine ich Humanismus, Toleranz und einen unbedingten Einsatz für Frieden, Menschlichkeit und Kultur. Diese Dinge waren ihm wichtig. Wir beide, Ádám und ich sind an der Front – ebenso wie Esther, unsere Schwester, auf andere Weise – und kämpfen für diese Prinzipien.
Sendung: "Allegro" am 11. Februar 2025 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK
Kommentare (1)
Sonntag, 09.Februar, 16:37 Uhr
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Ivan Fischer dirigierte die 6. Mahler in Berlin!!
Bussl