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Patricia Kopatchinskaja im Interview Geigerin und auch Komponistin

Sie ist ein Wildfang, ein Bühnentier, getrieben von einer unbändigen Neugier und einem radikalen Ausdrucksbedürfnis: Die Geigerin Patricia Kopatchinskaja schert sich nicht um Konventionen. In letzter Zeit komponiert sie mehr. Ein Gespräch über Vertrauen, Offenheit und neue Horizonte.

Patricia Kopatchinskaja | Bildquelle: Marco Borggreve

Bildquelle: Marco Borggreve

BR-KLASSIK: Mit Wien verbindet Sie ja einiges. Sie wurden 1977 in Chişinău geboren, der Hauptstadt der Republik Moldau, und 1989 – da waren Sie zwölf – sind Sie mit Ihrer Familie nach Wien emigriert. Moldawien war damals noch Sowjetrepublik. Was war der Grund für Ihre Familie auszureisen?

Patricia Kopatchinskaja: Es waren die Aufbruchsjahre, alles hat sich verändert, niemand wusste, was uns erwartet, auch wirtschaftlich und politisch. Viele gingen einfach ins Ausland, um sich irgendein Studium zu sichern, den Kindern etwas zu bieten. Viele Freunde sind dort geblieben, die man dann später irgendwie wiedergesehen hat. Zum Beispiel Leute im Alter meiner Eltern, die hatten dann einfach keine Medikamente, keine Krankenversicherung – nichts hat funktioniert. Der Staat ist einfach zerfallen. Und als wir nach Wien kamen, war das natürlich eine völlig neue Welt. Da war die Musikhochschule, da war das Kompositionsstudium, da war die Zweite Wiener Schule, die ich so intensiv studiert habe und die mir sehr wichtige Grundlagen geschenkt hat, um neue Musiksprachen zu verstehen, um selber zu komponieren.

PIERROT ALS IDENTIFIKATIONSFIGUR

BR-KLASSIK: Und Sie sind eben mit Schönbergs Musik in Kontakt gekommen. Das Resultat ist auch Ihr faszinierendes Album rund um Schönberg. Hauptwerk ist der Melodramenzyklus "Pierrot Lunaire" nach Gedichten des belgischen Symbolisten Albert Giraud in der deutschen Nachdichtung von Otto Erich Hartleben. Aber anders, als man vielleicht erwartet hätte, spielen Sie da nicht Geige, sondern übernehmen die Rezitation dieser Texte. Wie sind Sie denn darauf gekommen?

Patricia Kopatchinskaja: Ich habe im "Pierrot Lunaire" ja oft die Geige gespielt als Studentin in Wien und war jedes Mal völlig mitgenommen, total fasziniert von diesem Stück. Und irgendwann ertappte ich mich dabei, dass ich den Text schon mitgesprochen, ja mitgesungen habe – und viele Jahre später bekam ich eine Sehnenscheidenentzündung in meinem rechten Arm, sodass ich nicht mehr Geige spielen konnte. Ich musste einen Monat aussetzen, und da überlegte ich mir: Möchte ich jetzt eine Depression haben oder möchte ich etwas machen, was ich vielleicht nie gewagt hätte – wenn ich nicht gerade Zeit gehabt hätte und ein bisschen Frechheit dazu. Ich habe dann eine wunderbare Lehrerin gefunden, die mich gecoacht und eine gute Aussprache bei mir entwickelt hat. Und so kam es dazu: Ich hab's einfach so wahnsinnig gerne gehört, gespielt – und dann gesprochen.

Es ist für mich kein interessantes Leben, als Musikerin immer das Gleiche zu spielen.
Patricia Kopatchinskaja

BR-KLASSIK: Das alte Problem beim "Pierrot Lunaire" von Schönberg ist ja eben dieser Sprechgesang. Die Darstellerin soll nicht singen, sie soll aber auch nicht sprechen. Wie haben Sie selbst dieses Problem für sich gelöst?

Patricia Kopatchinskaja, Geigerin | Bildquelle: Julia Wesely Sie mag die Inszenierung und die Verkleidung: Geigerin Patricia Kopatchinskaja | Bildquelle: Julia Wesely Patricia Kopatchinskaja: Ich sehe das nicht als Problem, sondern als eine Befreiung. Ich musste also keine Sängerin sein, keine Schauspielerin, sondern einfach ich selbst. Und irgendwie befinde ich mich immer wieder in so einem Zustand wie eben dieser Clown, dieser Pierrot – ein Narr auch als Geiger, als Musiker, als Mensch in dieser Gesellschaft. Er ist halt ein Außenseiter, der die Welt auf seine eigene Weise betrachtet. Diese Rolle habe ich ganz natürlich eingenommen, wie wenn ich Geige spielen würde. Das war Musik – viel mehr Musik eigentlich, als wenn ich ein Instrument benutzen würde. Und ich war eben als eine Stimme Teil von diesem Ensemble.

ALTE ROLLENMUSTER HABEN AUSGEDIENT

BR-KLASSIK: Ihr Ensemble, das Sie bei diesem Projekt dabei haben, das sind ja befreundete Musikerinnen und Musiker. Wie wichtig ist Ihnen die Zusammenarbeit mit Menschen, denen Sie voll und ganz vertrauen können?

Patricia Kopatchinskaja: Hier absolut entscheidend. Früher hatte ich eine andere Prioritätenliste. Als erstes war für mich das Wichtigste, was ich mache – und dann erst, mit wem ich das mache. Und jetzt ist es genau andersrum: Entscheidend ist, mit wem ich auf der Bühne bin – dann kann man eigentlich alles machen. Auch etwas eher Schwaches kann zu Gold werden, wenn ich interessante Partner habe.

BR-KLASSIK: Ich stelle mir das mit Dirigenten eben manchmal auch schwierig vor, wenn da so eine unkonventionelle Geigerin wie Sie daherkommt. Ist es Ihnen schon passiert, dass man als Frau manchmal belächelt oder sogar blöd angemacht wird?

Patricia Kopatchinskaja: Ich denke nicht, dass ich belächelt wurde, weil ich eine Frau bin. Aber ich glaube schon, dass man ein bisschen mehr Respekt bekommt, wenn man ein Mann ist. Die älteren Männer im Orchester haben automatisch mehr Respekt vor einem Mann, wenn der vor ihnen steht. Ein junges Mädchen, wie ich es vor 20 Jahren war, hatte da weniger Chancen mit innovativen Ideen oder eigenen Vorstellungen. Das war wirklich schwierig. Aber ich habe trotzdem Leute gefunden, die mit mir diesen Weg gegangen sind. Und heutzutage habe ich überhaupt keine Schwierigkeiten, jemanden zu überzeugen. Ich denke, Leute, die mich einladen, wissen schon, auf was sie sich einlassen. Und die meisten von ihnen sind auch frei von irgendwelchen Vorurteilen. Das Allerschönste ist eigentlich, ein Territorium zu schaffen, wo alles möglich ist. Ich komme nicht mit fertigen Visionen. Etwas entsteht in dem Moment, wenn alle Musikerinnen und Musiker an das Gleiche glauben und das Gleiche wollen – mit diesem Publikum auf dieser Bühne in diesem Moment.

Sendung "KlassikPlus" mit Patricia Kopatchinskaja

Die Geigerin Patricia Kopatchinskaja mischt den Klassikbetrieb auf indem sie zum Beispiel neue Konzertformate entwickelt, sich der historischen Aufführungspraxis öffnet und unzählige Uraufführungen realisiert. Am Freitag, 22. Dezember, ist sie zu Gast in KlassikPlus, ab 19:05 Uhr auf BR-KLASSIK. Die Wiederholung der Sendung gibt es am Samstag, 23. Dezember, ab 14:05 Uhr.

Kopatchinskajas HOMEBASE SCHWEIZ

BR-KLASSIK: Beim Thema Vertrauen muss man aber auch Ihr enges Verhältnis zur Camerata Bern erwähnen, mit der Sie ja einige spannende Konzeptalben eingespielt haben.

Patricia Kopatchinskaja: Ja, das ist wie die Verlängerung einer Familie. Wenn man lange zusammenarbeitet, geht man durch verschiedene Phasen. Auch Streiten gehört dazu, Missverständnisse, Diskussionen – und doch eine größere Freundschaft und Liebe, die dann über alles gewinnt. Und im Lauf der Jahre etabliert sich ein derartiges Vertrauen, dass man wirklich alles machen kann, sogar improvisieren, unkonventionelle Programmgestaltung, ein gemeinsames, sehr offenes Denken. Und diese unglaubliche Gelegenheit habe ich mit der Camerata Bern schon seit einigen Jahren. Diese Leute sind mir sehr, sehr wichtig. Wir haben so viele schwierige Programme zusammen bewältigt, wo wir noch einige Stunden vor dem Konzert Änderungen vornehmen mussten. Programmatisch ist das eine wunderbare Zukunft – auch für uns.

BR-KLASSIK: Sie leben ja auch in Bern. Ist das ein Rückzugsort für Sie, wenn Sie so viel on Tour sind, und überhaupt ein Ort zum Durchatmen?

Geigerin Patricia Kopatchinskaja | Bildquelle: Marco Borggreve Geigerin Patricia Kopatchinskaja | Bildquelle: Marco Borggreve Patricia Kopatchinskaja: Ich würde sagen, ich lebe aus dem Koffer. Mein Leben spielt sich zwischen den Konzerten und einem sehr kurzen Ausatmen ab, wo auch immer. Es kann auch Wien sein, da lebt meine Tochter. Bern ist ein sehr hübsches, kleines Städtchen, das auch noch die Hauptstadt der Schweiz ist. Es sind sehr liebe, bescheidene Menschen dort. Ich genieße eine Anonymität und auch einen gewissen Luxus, würde ich sagen. Denn in der Schweiz funktioniert einfach alles, angefangen von den Zügen bis zum Installateur. Es ist ein wunderbares Land.

Komponieren unter dem Pseudonym PatKop

BR-KLASSIK: Es gibt zwei Pole in Ihrem Repertoire, neben dem klassischen natürlich: die historische Aufführungspraxis und die zeitgenössische Musik. Inzwischen komponieren Sie immer mehr, Sie hatten ja damals in Wien auch Komposition studiert.

Patricia Kopatchinskaja: Ja, das stimmt. Ich habe immer schon komponiert, auch als Kind in Moldawien. Das war für mich ein Teil dieser gesamten Tätigkeit. Ich kann mir nicht vorstellen, ein Musiker zu sein, ohne auch selbst zu komponieren. Ob es gut oder schlecht ist, ist dann eine andere Frage. Aber man muss die Hände in diesem Teig drin haben, um zu verstehen, was es eigentlich ist. Man hat doch einen direkteren Draht zu den Stücken, die man spielt. Man hat weniger Ehrfurcht, man ist einfach glücklich, so ein Laboratoriums-Mitglied zu sein, man macht einfach mit.

BR-KLASSIK: Wenn Sie komponieren, tun Sie das unter dem Pseudonym PatKop. Sind Sie da eine andere Person oder in einer anderen Rolle?

Patricia Kopatchinskaja: Ich glaube, mein Geigenspiel wurde so oft kritisiert, dass ich schon immun dagegen bin. Ich kann es gut aushalten. Aber wenn ich jetzt als Komponistin auch noch zusammengeschlagen werde, würde ich das nicht mehr so gut aushalten. Deswegen muss ich eine andere Person werden, und da investiere ich jetzt eine Riesenenergie hinein. Und es ist gut, verschiedene Persönlichkeiten in sich zu haben. Ich habe gehört, in Japan gebe es eine Tradition, dass der Mensch mitten im Leben Namen und Beruf ändern kann – und sich wie eine Schlange von seiner alten Haut befreien und etwas völlig Neues erleben kann. Das möchte ich eigentlich auch in meinem Leben. Jetzt, mit dem Komponieren, ist das etwas völlig Neues. Und da bin ich noch ein Kind. Und dann gibt es noch andere Pläne. Ich möchte sehr gerne viel mehr inszenieren. Ich möchte an die Opernhäuser gehen, mit den Orchestern arbeiten, möchte die Orchester auf die Bühne stellen und auch visuell mit ihnen arbeiten, mit den technischen Möglichkeiten eines Opernhauses. Ich möchte auch Dirigieren lernen. Und deswegen sind mehrere Namen eigentlich ganz gut. Man würde mich jetzt nicht mit mir als Geigerin assoziieren, sondern wie eine andere, eine neutrale Person beurteilen.

Ich glaube schon, dass man ein bisschen mehr Respekt bekommt, wenn man ein Mann ist.
Patricia Kopatchinskaja

Arbeiten bis zum Zusammenbruch

BR-KLASSIK: Auf Ihrer Homepage schreiben Sie: "Komponistin – seit jungen Jahren, soweit die Zeit erlaubt." Wieviel erlaubt denn Ihre Zeit? Man staunt sowieso über Ihren Output. Auch Uraufführungen einzustudieren, kostet ja viel Zeit. Wo nehmen Sie Ihre ganze Energie, Ihre Kraft her?

Patricia Kopatchinskaja: Ich bin schon 46, und ich merke, dass es nicht mehr so viel Kraft gibt und immer weniger Zeit. Damit habe ich wirklich ein großes Problem. Das heißt, ich werde in Zukunft weniger Geige spielen, hoffentlich – und mehr komponieren. Das ist mein Plan. Aber bis jetzt hat das noch nicht funktioniert.

BR-KLASSIK: Manchmal kommen Sie mir vor wie eine Kerze, die an beiden Enden brennt. Da ist dann die Gefahr eines Burnouts nicht weit. Wie nimmt das denn Ihre Umwelt auf? Fängt die das auf? Wie steht‘s mit Ihrer Familie?

Patricia Kopatchinskaja: Ja, ich habe zum Glück sehr liebe Menschen um mich, auch was die Agentur betrifft. Auch die Veranstalter haben Verständnis, auch die Camerata Bern. Unlängst musste ich – ich bin wirklich zusammengebrochen – auf einige Konzerte verzichten. Es war ein Riesenproblem, aber man hat dann doch eine Lösung gefunden. Man ist schon sehr auf Freunde angewiesen, auch auf Vertrauen. Und man weiß, dass ich ein Konzert erst dann absage, wenn ich wirklich halbtot bin (lacht).

DIE FENSTER WEIT ÖFFNEN

BR-KLASSIK: Wo nehmen Sie all Ihren Mut her, Ihre ganzen Ideen umzusetzen, und auch Leute davon zu überzeugen? Wo nehmen Sie den Mut her, sich auch gegen diese "normale" Konzert-Konvention zu stellen, wo man immer nur Beethoven, Brahms und Bruch hört?

Patricia Kopatchinskaja beim Klimakonzert 2012 | Bildquelle: Peter Böhnel Geigerin Patricia Kopatchinskaja setzt sich für den Naturschutz ein: 2012 spielte sie beim "Klimakonzert". | Bildquelle: Peter Böhnel Patricia Kopatchinskaja: Es hat mit Mut weniger zu tun. Es ist die Langeweile, die mich langweilt. Und es ist für mich kein interessantes Leben, als Musikerin immer das Gleiche zu spielen und auf die immer gleiche Weise – denn sonst wird man ja hart kritisiert. Ich glaube, es geht darum, sich zu bewegen, neue Sachen zu erfahren, etwas zu spüren. Das ist wie in einer Beziehung: Wenn man immer das Gleiche macht, spürt man ja nichts mehr! Zum Beispiel, wenn man in einer Ausstellung Bilder in einer neuen Gegenüberstellung sieht – was einem da alles einfällt. Oder man hat etwas in der Zeitung gelesen. Man hat etwas Neues erlebt, auf der Straße etwas Neues gerochen, gehört, gesehen. Das sind alles wichtige Dinge für die Wahrnehmung. Und darum geht es in der Kunst: um die Spiegelung – oder das zu zeigen, was man empfindet. Hier und jetzt, verbunden mit dem, was gerade passiert in der Welt. Und da passiert so wahnsinnig viel und leider nichts besonders Gutes derzeit. Da gibt es genug Emotionen, aus denen man schöpfen kann. Man muss offen sein für alles und damit spielen wie in einem offenen Kinderzimmer, da gibt es genug Material, und damit neue Geschichten erfinden, Konstrukte, Gebilde. Darin wohnen, sich Neues überlegen, neue Fenster öffnen, weit schauen, sich etwas vorstellen, fantasieren. Da gibt es so viel, was uns Menschen weiterbringt, in der Wissenschaft, in der Kunst, in allem.

Sendung: "KlassikPlus" am 22. Dezember ab 19:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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