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Kritik Münchner Opernfestspiele Stille Katastrophen bei "Pelléas et Mélisande"

Nicht jede Oper ist opernhaft. In "Pelléas et Mélisande" von Claude Debussy gibt es keine Arien und wenig Action. Ein stilles Stück, das gerade deshalb besonders unter die Haut geht – wenn es gut gemacht wird. Am 9. Juli hatte eine Neuinszenierung bei den Münchner Opernfestspielen Premiere. Prominent besetzt war die Produktion der Bayerischen Staatsoper mit Christian Gerhaher als Golaud.

"Pelléas et Mélisande" bei den Münchner Opernfestspielen | Bildquelle: Wilfried Hösl

Bildquelle: Wilfried Hösl

Kritik zum Anhören

In allen Familien wird geredet. In vielen Familien wird geschwiegen. Und in manchen Familien ist das Reden und Schweigen nicht das, was verbindet, sondern das, was trennt. Schlimmer noch: verstrickt. Übereinander reden und aneinander vorbei, das klappt bestens. Doch miteinander reden, das funktioniert einfach nicht. Im Clan von König Arkel geht es verlogener zu als bei den Royals. "Pelléas et Mélisande" spielt in einem märchenhaften Königsschloss. Alles ist symbolschwanger, erlesen und doppeldeutig im Text von Maurice Maeterlinck. Aber hinter dem ganzen Fin-de-Siècle-Dekor steckt eine psychologisch packende Analyse. Wenn die Kommunikation in einer Familie schiefgeht – wie läuft das ab?

Aus Zweideutigkeiten werden Waffen

Regisseurin Jetske Mijnssen versetzt die Märchenhandlung in die Entstehungszeit um 1900. Die Bühne ist minimalistisch: Eichenparkett, ein paar mit grünem Samt bezogene Stilmöbel, alles im Halbdunkel. Man zwängt sich in Korsage und Dreiteiler. Hier geht es nicht laut zu. Alle belauern einander. Mit wenigen, aber wirkungsvollen Gesten zeigt die Regie, wie Zweideutigkeiten zu Waffen werden. Etwa, wenn ein Abendessen zu entgleisen droht. Alle speisen manierlich weiter, als wären sie nicht gerade Zeugen eines familiären Hassausbruchs geworden. Nur der kleine Yniold krabbelt unter den Tisch. Der Familienkrieg ist verbissen, wird aber nie offen erklärt.

Jetske Mijnssen inszeniert Debussy zwischen Realismus und Traum

Vier Akte lang hält Mijnssen gekonnt die Balance zwischen Realismus und Traum. Im letzten Akt will sie eins draufsetzen. Plötzlich waten alle im Wasser. Und – Überraschung: Pelléas, der gerade von seinem Bruder Golaud erschlagen wurde, hat offenbar überlebt und trägt die gemeinsame Tochter zu Mélisande. Ein Clou, der nicht viel bringt, aber dem ansonsten angenehm reduzierten Abend auch keinen großen Schaden zufügt.

Premiere nachhören

BR-KLASSIK übertrug die Premiere von Claude Debussys "Pelléas et Mélisande" im Rahmen der Münchner Opernfestspiele am 9. Juli live im Radio. Den Live-Mitschnitt können Sie hier nachhören.

Hannu Lintu mag's klar konturiert

Das Bayerische Staatsorchester klingt dunkel und satt, hier spielt hörbar ein deutsches Orchester, kein französisches. Seine warmen Farben werden von Dirigent Hannu Lintu zu einem klar konturierten Klang abgemischt. Das ist gut so – Debussys Kult der Nuance darf nicht als affektiertes Gesäusel missverstanden werden, damit hat Lintu absolut recht. Leider nimmt er bei der Lautstärke manchmal zu wenig Rücksicht auf seine männliche Hauptfigur: Der Pelléas von Ben Bliss hat einen hellen, relativ leichten Tenor, der angenehm klingt, aber etwas zu schmal und immer gleich schön bleibt.

Raumgreifend: Christian Gerhaher

"Pelléas et Mélisande" bei den Münchner Opernfestspielen, Sabine Devielhe (Mélisande) und Christian Gerhaher (Golaud) | Bildquelle: Wilfried Hösl Sabine Devieilhe (Mélisande) und Christian Gerhaher (Golaud) in "Pelléas et Mélisande" | Bildquelle: Wilfried Hösl Starker Gegenpol ist Christian Gerhaher als Golaud: ein latent aggressiver Neurotiker, stimmlich und darstellerisch raumgreifend. Gerhahers Bariton hat in den letzten Jahren an Wucht und dunklen Farben gewonnen. Beneidenswert gut gealtert ist Franz-Josef Selig als greiser König Arkel: Er verbindet profunde Bass-Autorität mit geschmeidiger Höhe. Sophie Koch als Geneviève hat dagegen Intonationsprobleme. Einen dicken Extra-Applaus verdient sich Felix Hofbauer vom Tölzer Knabenchor als Yniold: So ein guter Knabensopran ist wirklich selten. Am meisten berührt Sabine Devieilhe als Mélisande: Das klingt leicht und mühelos, beseelt und natürlich. Was die Figuren nicht aussprechen können, sagt die Musik. Diese Familienaufstellung ist bien fait – gut gemacht.

Münchner Opernfestspiele

Hier erfahren Sie alles über die diesjährigen Münchner Opernfestspiele – auch über die Festspielpremiere "Le Grand Macabre" von György Ligeti. "Pelléas et Mélisande" war die zweite Opernpremiere, die im Rahmen der Münchner Opernfestspiele 2024 stattfand. Lesen Sie dazu auch ein Interview mit dem Bariton Christian Gerhaher und der Regisseurin Jetske Mijnssen.

Sendung: "Allegro" am 10. Juli 2024 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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