Jazz aus der Sowjetunion? Pianist Frank Dupree spricht über den faszinierenden Komponisten Nikolai Kapustin und dessen Meisterwerke, die kaum jemand kennt. Warum blieb diese Musik so lange im Verborgenen?
Bildquelle: © Marco Borggreve
BR-KLASSIK: Gershwin kennt jeder, aber Kapustin kaum jemand. Warum sollte sich das ändern? Ist die Musik einfach zu gut, um unbekannt zu bleiben?
Frank Dupree: Ja, ist sie - außerdem füllt sie eine Lücke. Wir kennen George Gershwin und lieben seine Werke wie "An American in Paris", "Porgy and Bess" und natürlich die "Rhapsody in Blue". Danach kommt Leonard Bernstein mit "West Side Story". Aber was kommt dann? Das habe ich mich oft gefragt, vor allem bei der Konzertgestaltung. Mit Nikolai Kapustin haben wir einen superspannenden Komponisten entdeckt, der in Moskau Musik geschrieben hat, die nichts Sowjetisches oder typisch Russisches an sich hat – sie klingt einfach nach Jazz.
BR-KLASSIK: Wie kommt es, dass ein ukrainischer Komponist in der Sowjetunion so frei und amerikanisch klingenden Jazz komponiert hat?
Frank Dupree: Die Jazzgeschichte in der Sowjetunion ist speziell. Jazz wurde populär, dann aber verboten. Das Saxofon und sogar das Wort "Jazz" waren verboten, bis sich in den 1950er- und 60er-Jahren eine Underground-Szene bildete. Nikolai Kapustin war damals Student und hörte illegal Radio oder besorgte sich Platten. So entdeckte er Oscar Peterson und Benny Goodman und brachte sich autodidaktisch Jazz bei. Er spielte dann auch in der Oleg Lundström Big Band als Pianist und komponierte dort einige Werke.
BR-KLASSIK: Von Kapustin ist überliefert, dass er nichts dem Zufall überließ. Trotzdem klingt seine Musik jazzig und improvisiert. Sie selbst improvisieren und arrangieren gerne am Klavier. Fällt es Ihnen schwer, Kapustins Noten exakt zu spielen, oder würden Sie sich manchmal mehr Freiheit wünschen?
Frank Dupree: Wenn man Kapustins Noten einmal gelesen und in den Fingern hat, bleibt einem nichts anderes übrig, als genau das zu spielen. Erstens ist es brillant, und zweitens bleibt kein Finger frei. Die Stücke sind wahnsinnig schwer, sodass man keine Zeit hat, darüber nachzudenken, sich mal "Freiheiten" zu nehmen. Es ist extrem virtuose Musik im Stil von Rachmaninow oder Prokofjew, aber in der Sprache des Jazz.
Klavierkonzerte Nr. 2 und 6, Toccata, Concert Rhapsody, Variations, Nocturne
Frank Dupree (Pianist), SWR Big Band, SWR Symphonieorchester, Dirigent: Dominik Beykirch
Label: Capriccio
BR-KLASSIK: Auf dem Album gibt es auch eine Weltersteinspielung. Wie kam es dazu? Und warum wurden einige Werke erst 2004, vier Jahre nach Kapustins Tod, aufgenommen?
Frank Dupree: Manche Stücke wurden selten gespielt, und andere sind überhaupt nicht aufgenommen worden. Die "Toccata Opus 8" beispielsweise schrieb Kapustin 1964 für einen Film. Auf YouTube gibt es ein Video, in dem er das Stück selbst spielt. Ich kenne das schon seit 15 Jahren, fast so lange, wie es YouTube gibt. Doch als ich die Noten sah, stellte ich fest, dass das Video nur die Hälfte des Werkes zeigt. Jetzt haben wir die erste vollständige Aufnahme dieses Stückes gemacht.
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N.kapustin - toccata, opus 8
BR-KLASSIK: Sie setzen sich sehr für Kapustins Musik ein.
Frank Dupree: Ja, und ich suche gerne nach neuen, unbekannten Stücken. Nicht alles, was wir spielen, ist veröffentlicht. Zum Glück sind viele Werke jetzt im Schott-Verlag in Mainz als Manuskripte verfügbar. Wir arbeiten daran, diese Musik bald für alle zugänglich zu machen.
Sendung: "Allegro" am 7. November 2024 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK
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