Diesen Sonntag werden sie nebeneinander am Klavier in der Münchner Isarphilharmonie sitzen: Gabriela Montero und Martha Argerich. Vorab hat uns Gabriela Montero verraten, welche Magie dabei entsteht. Und: Warum ihr Einsatz für Venezuela das Schwerste und Wichtigste in ihrem Leben ist.
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BR-KLASSIK: Wenn Sie mit Martha Argerich vierhändig an einem Klavier spielen, wer sitzt dann wo? Wer rechts, wer links?
Gabriela Montero: Also für dieses Programm werde ich zunächst auf der rechten Seite sitzen, ich spiele also das Primo und Martha das Secundo. Im zweiten Teil des Programms, wenn wir zwei Klaviere haben, wird sie das Primo spielen und ich das Secundo. Wir wechseln uns ab.
Mit Martha zu spielen, ist immer eine Lektion in Musik und Leben.
Martha Argerich und Gabriela Montero spielen am 1. Dezember um 20:00 Uhr in der Isarphilharmonie in München ein vierhändiges Programm: Mozart, Schumann, Rachmaninow, Schubert. Mehr zum Programm lesen Sie hier.
BR-KLASSIK: Martha Argerich ist ja sozusagen eine lebende Legende. Was fasziniert Sie an Martha Argerichs Spiel und Persönlichkeit?
Gabriela Montero: Sie fasziniert mich nicht nur als musikalische Legende, sondern auch als Mensch. Sie ist unglaublich interessant, sie ist ganz sie selbst und hat auch einen wunderbaren Sinn für Humor. Außerdem ist sie eine sehr enigmatische Persönlichkeit, und mit ihr zu spielen ist immer eine Lektion in Musik und Leben, in musikalischer Flexibilität, in Tempi und Rubato. Martha ist einfach jemand, der absolut wandelbar und faszinierend ist.
BR-KLASSIK: Wie gehen Sie mit Meinungsverschiedenheiten in den Proben um? Wer hat das letzte Wort?
Gabriela Montero: Es ist wirklich Teamarbeit. Wir sind natürlich beide so beschäftigt mit Konzerten, dass wir nicht viel Zeit haben, sehr detailliert zu proben. Aber wenn wir zusammenkommen, passiert sehr viel im Dialog. Es geht darum, einander zuzuhören und dem Gespräch Raum zu geben, sodass jede ihre eigene Stimme hat. Und gleichzeitig ist es wichtig, aufeinander zu reagieren - im Grunde so, wie man es in einem Gespräch unter Freundinnen auch macht.
BR-KLASSIK: Das Verhältnis zwischen Ihnen und Martha Argerich lässt sich also eher nicht als das einer Lehrerin und Schülerin beschreiben?
Gabriela Montero: Martha war, soweit ich weiß, nie eine Lehrerin. Ich würde mich auch nicht als ihre Schülerin bezeichnen, eher als jemand, der immer von ihr inspiriert war und sehr fasziniert ist von ihrer Musikalität. Aber auch von dem, was sie als Frau ausmacht. Es ist also sehr viel mehr. Ich habe das Gefühl, wir nehmen alle so viel von ihr auf und sind unfassbar dankbar, dass sie Teil unseres Lebens ist.
BR-KLASSIK: Wenn die Zeit für Proben nicht so üppig ist, wie Sie eben sagten, helfen Ihnen da Ihre Improvisationsfähigkeiten?
Gabriela Montero: Improvisation ist ein wichtiger Teil meiner musikalischen Sprache. Sie fließt in alles ein, was ich tue. Tatsächlich hat Martha diese Qualitäten auch – sie spielt alles, was notiert ist, aber sie hat eine unglaubliche Fähigkeit, die Zeit zu dehnen und die Phrasierung so zu gestalten, dass ein und dasselbe Stück jedes Mal anders klingt. Diese improvisatorische Qualität finde ich wunderbar, weil sie viel Fantasie und Überraschung mitbringt.
Ich glaube nicht, dass Musikerinnen und Musiker sich von gesellschaftlichen Themen distanzieren sollten.
BR-KLASSIK: 2009 haben Sie bei der Feier zur Amtseinführung von Barack Obama als Präsident der Vereinigten Staaten mitgewirkt. Sie sind auch Botschafterin von Amnesty International. Was denken Sie, was ist Ihr Einfluss als Pianistin?
Gabriela Montero: Ich denke, es geht eher um die Entscheidungen, die ich als Mensch treffe, besonders im Hinblick auf Gerechtigkeit. Vor allem, was mein eigenes Land, Venezuela, betrifft. Ich finde, die Tatsache, dass ich Musikerin bin, sollte niemals ein Hindernis oder eine Ausrede dafür sein, sich nicht an den wichtigen Gesprächen über das Weltgeschehen und die dringenden Themen, über die wir sprechen müssen, zu beteiligen. Ich denke nicht, dass das, was wir im Leben tun oder welchen Dingen wir uns widmen, uns davon abhalten sollte, in der Gesellschaft aktiv zu sein und so viel Gutes wie möglich zu bewirken.
Mein schwierigstes Projekt hat nichts mit Musik zu tun, sondern mit dem Einsatz für Venezuela.
BR-KLASSIK: Sie haben 2018 den Internationalen Beethovenpreis erhalten, der für Menschenrechte, Frieden, Freiheit und den Kampf gegen Armut sowie für Inklusion vergeben wird. Was bedeutet diese Auszeichnung für Sie?
Gabriela Montero: Jede Anerkennung für etwas, das ich getan habe, ist eine wunderbare Gelegenheit, weiterhin über Themen zu sprechen, die mir sehr am Herzen liegen. Und natürlich steht an oberster Stelle, was in den letzten 25 Jahren mit Venezuela passiert ist: Die absolute Tragödie, die mein Land getroffen hat, und das jahrelange Schweigen darüber. Jede Gelegenheit, darüber zu sprechen – sei es durch meine Musik oder mein Engagement –, war und ist wichtig für mich. Und ich muss sagen, dass das Schwierigste, was ich je in meinem Leben getan habe, nichts mit meiner Musik zu tun hat. Es hat damit zu tun, laut über Themen zu sprechen, die manchmal missverstanden werden oder die nicht wichtig erscheinen, die auf der Weltbühne nicht genug Aufmerksamkeit bekommen. Das Sprechen über Venezuela war das Schwierigste und Schmerzhafteste, was ich je getan habe, weil es mich so direkt mit den schrecklichen Ereignissen und einer so furchtbaren Wandlung meines wunderschönen Landes konfrontiert hat. Und es ist etwas, das ich mir wünschte, nicht tun zu müssen. Aber ich denke, es ist sehr wichtig, dass ich meine Stimme nutze.
BR-KLASSIK: Und welche Resonanz bekommen Sie darauf?
Gabriela Montero: Ich bekomme unglaublich viel Wärme, Zuneigung und Dankbarkeit von Venezolanerinnen und Venezolanern auf der ganzen Welt. Weil sie wissen, dass ich für sie spreche und dass sie über viele Jahre hinweg keine Stimme hatten. Jede Stimme, die sich für sie einsetzt, ist enorm wichtig. Natürlich gab es auch Kritik, weil einige Menschen möglicherweise nicht verstanden haben, was in all diesen Jahren in Venezuela passiert ist. Aber jetzt, nach 15 Jahren, in denen ich über die Tragödie Venezuelas spreche, scheint die Welt endlich zu begreifen, was ich vermitteln wollte. Ich denke, viele Menschen schätzen es, dass ich versucht habe, sie über die Ereignisse aufzuklären.
Easton, Maryland: Wie Carnegie Hall – nur im Kleinen.
BR-KLASSIK: Vor zwei Jahren wurden zwei bedeutende, von Künstlern initiierte Projekte ins Leben gerufen: das "Gabriela Montero Piano Lab" und eine Konzertreihe in Maryland. Welche Ideen stehen hinter diesen beiden Initiativen?
Gabriela Montero: Das "Gabriela Montero Piano Lab" ist ein Mentorenprogramm, das wir mit dem Ziel ins Leben gerufen haben, sowohl online als auch vor Ort zu arbeiten, insbesondere angesichts der Covid-Situation. Ich habe neun sehr talentierte junge Konzertpianistinnen und -pianisten – etwa im Alter von 20 Jahren – ausgewählt, um mit ihnen als Mentorin, Beraterin und Lehrerin in engem Kontakt zu stehen. Und zur Gabriela-Montero-Konzertreihe: Die findet in Maryland in einer historischen Stadt namens Easton statt. Es ist unglaublich: Wir bringen die großartigsten Künstlerinnen und Künstler an diesen kleinen Ort in den USA. Das erste Konzert habe ich selbst gegeben, dann kam Yuja Wang, danach hatten wir Joshua Bell, Beatrice Rana, Sergei Babayan und Marc-André Hamelin zu Gast. Es ist wie eine Art "Carnegie Hall" in diesem kleinen Ort. Außerdem bin ich nun als Professorin an der Klavierfakultät des "Cleveland Institute of Music" tätig. Pädagogik und Unterricht sind jetzt ein wichtiger Teil meines Lebens, und es ist etwas, das mir sehr am Herzen liegt. Mit der Konzertreihe habe ich die Möglichkeit, meine liebsten Kolleginnen und Kollegen einzuladen und dort aufzutreten.
BR-KLASSIK: Und jetzt kommen Sie nach München. Welche Orte mögen Sie dort besonders gern?
Gabriela Montero: Leider habe ich nicht viel Zeit, um die Stadt zu erkunden, aber ich liebe München. Ich habe Freunde dort und freue mich sehr auf diesen Sonntag.
BR-KLASSIK: Vielleicht ein kleiner Glühwein auf einem der Weihnachtsmärkte in der Stadt - vor dem Konzert oder danach.
Gabriela Montero: Definitiv nach dem Konzert (lacht).
Sendung: "Leporello" am 29. November 2024 ab 16:05 Uhr auf BR-KLASSIK
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