Ihr Lebensinstrument entdeckte Rhoda Scott in den Kirchen von New Jersey. Dort begann ihre musikalische Laufbahn. Zum internationalen Star wurde sie in Paris - und schließlich auch zur Leiterin einer Frauenband.
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Im Örtchen Dorothy in New Jersey geboren am 3. Juli 1938, wuchs Rhoda Scott zusammen mit sechs Geschwistern in einem religiös geprägten Umfeld auf. Ihr Vater predigte an den Wochenenden in verschiedenen Gemeinden der African Methodist Episcopal Church. Ihre Mutter war eine weiße Amerikanerin mit deutschen Vorfahren und spielte Klavier, manchmal im Gottesdienst, aber gerne auch zuhause. Und manchmal saß dabei auf ihrem Schoß Rhoda – so wurde ihr das später jedenfalls in der Familie erzählt. Da ging es bei ihr schon los mit der Musik. Sie brachte sich selbst das Notenlesen bei und entdeckte dann in einer der Kirchen, in denen ihr Vater tätig war, ihr Lebensinstrument: die Hammondorgel.
Bildquelle: picture alliance / abaca | Ampilhac Mireille/ABACA Ein faszinierendes Instrument mit einer zweiten Tastatur am Boden – so nahm Rhoda Scott als Mädchen die Basspedale der Orgel wahr. Und weil man die obere Tastatur mit bloßen Händen spielte, zog sie auch gleich beim ersten Mal die Schuhe aus und spielte die Orgel fortan und bis zum heutigen Tag barfuß. Dass sie die Kirchenmusik tief in sich trage und dass sie genaugenommen auch immer zum Vorschein käme, wenn sie Jazz spiele, sagt Rhoda Scott bis heute. Sie war noch keine zehn, da heuerte ihr Vater sie für seine Gottesdienste an, und die Leute kamen in Scharen, wenn sie spielte. Ab da liefen die musikalischen Stränge bald parallel: Zur Kirchenmusik und dem Gospel kam eine Ausbildung zur Chorbegleitung, die sie mit 16 ans Westminster Choir College in Princeton führte und zum Studium der Musik von Johann Sebastian Bach. Dann kam die erste eigene Rhythm & Blues Band, ein Trio, mit dem sie 1962 auch eine Platte aufnahm mit einem veritablen Hit namens "Hey!Hey!Hey!".
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09 - Hey Hey Hey
Als sie mit dieser Band das Vorprogramm für einen Auftritt von Count Basie spielte, engagierte der sie sofort in seinen Jazzclub in Harlem. Dort lernte Rhoda Scott die New Yorker Szene kennen und freundete sich auch mit zwei Musikern an, die zehn Jahr älter waren als sie: mit dem supererfolgreichen Organisten Jimmy Smith, der mit seinem massenkompatiblen Sound Stadien füllen konnte und mit dem Holzbläser Eric Dolphy, der musikalisch aus einem ganz anderen Lager kam – dem der Avantgardisten. Rhoda Scott hatte ihn beim Musiktheoriestudium an der Manhattan School of Music kennengelernt. Das schloss sie mit einem Master ab und dachte daran, Lehrerin zu werden, doch dann bekam sie von der Leiterin des Studiengangs ein Empfehlungsschreiben für die berühmte, französische Musikpädagogin Nadia Boulanger, die neben den Klassikern auch Jazzer unterrichtete. Und so machte sich Rhoda Scott 1967 das erste Mal auf den Weg nach Paris, das bald schon ihre Wahlheimat werden sollte.
Zwei Monate verbrachte sie im Institut von Nadia Boulanger. Das war eine phänomenale Musikpädagogin, die vor ihrer Lehrtätigkeit selbst als Pianistin, Organistin, Dirigentin und Komponistin gearbeitet hatte. Ganz viele Klassik- und Jazzgrößen haben bei ihr Unterricht genommen, von Aaron Copland und Daniel Barenboim bis Philip Glass und Quincy Jones. Und obwohl Rhoda Scott in einem Interview für ein französisches Jazzmagazin erzählte, dass der Unterricht leider katastrophal verlaufen sei, kam sie nach New York zurück mit der festen Absicht, für längere Zeit nach Paris zu gehen, weil es ihr die Sprache, die Kultur und der ganze Lebensstil so angetan hatten. Sie lernte Französisch, sparte Geld, und ein Jahr später war es soweit. In Paris nahmen sie der populäre Schauspieler und Entertainer Raoul Saint-Yves, der den Jazzclub "Bilboquet" in Saint-Germain-des-Prés leitete, und der bekannte Musikproduzent und Label-Chef Eddie Barclay unter ihre Fittiche. Bald standen die Menschen Schlange, um in ihre Konzerte zu kommen.
Auch ihr erstes Album "Take a ladder", das sie 1968 in Frankreich aufnahm, wurde ein Hit. Darauf arbeitete sie mit dem Schlagzeuger Daniel Humair zusammen. Der in Genf geborene Musiker lebte schon zehn Jahre in Paris und hatte sich international längst einen Namen erspielt, unter anderem in einem Trio mit Jazzgeiger Jean-Luc Ponty und Organist Eddie Louiss. Rhoda Scott hingegen war die gefeierte Newcomerin, für die mit dieser Einspielung eine enorme Plattenkarriere begann mit mindestens einer Veröffentlichung pro Jahr, und eine Konzertkarriere, die sie nicht nur ins "Olympia" in Paris, sondern an viele Orte der Welt führte.
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Rhoda Scott 1972 full broadcast show
Ihr größter Unterstützer war Raoul Saint-Yves, den sie 1968 geheiratet hatte. Bis zu seinem Tod 2008 führten sie eine erfolgreiche Lebens- und Arbeitsbeziehung. Als kluger und umsichtiger Manager förderte er den Erfolg seiner Frau, zu dem auch gehörte, dass sie sich künstlerisch immer selbst treu bleiben konnte, ob solo, im Duo mit Schlagzeugern oder in hochkarätigen musikalischen Allianzen, unter anderem auch mit Kenny Clarke und dem Thad Jones /Mel Lewis Orchestra.
Bildquelle: picture alliance / abaca | Urman Lionel/ABACA Eine ganz besondere Wendung nahm Rhoda Scotts Karriere dann in fortgeschrittenem Alter und noch zu Lebzeiten ihres Mannes. Das war im Jahr 2004, als es in einer ziemlichen Hau-Ruck-Aktion zur Gründung von Rhoda Scott's Lady Quartet kam. Als beim berühmten "Jazz à Vienne" Festival in der Nähe von Lyon die legendäre Sängerin Abbey Lincoln aus gesundheitlichen Gründen kurzfristig absagen musste, bekam Rhoda Scott die Anfrage, ob sie wohl einspringen könne, aber bitte mit einem Ensemble, das aus Frauen bestehe. Zu diesem Zeitpunkt habe sie schlicht keine Jazzmusikerinnen aus Frankreich gekannt, erzählte Rhoda Scott 2022 im Interview beim amerikanischen National Public Radio (NPR) dem Host Christian McBride. Aber sie wurde schnell bekannt gemacht mit einer jungen Generation außerordentlich starker Musikerinnen und Komponistinnen, mit denen sie bis heute assoziiert ist. Im Quartett, Sextett und Oktett tritt ihre mehrgenerationelle Band seit bald zwanzig Jahren auf und hat seit 2017 drei bemerkenswerte Alben herausgebracht. Mit von der Partie sind die Saxophonistinnen Lisa Cat-Berro, Sophie Alour, Géraldine Laurent und Céline Bonacina, die Trompeterin Arielle Besson, sowie die Schlagzeugerinnen Julie Saury und Anne Paceo. Ein Teil von ihnen ist auch nicht weit rund um Rhoda Scotts 85sten Geburtstag. Den begeht die Organistin, die im letzten Jahr mit dem ranghöchsten französischen Verdienstorden Légion d'honneur ausgezeichnet wurde, zwischen diversen Gastspielen, die sie im Sommer in Frankreich gibt.
Sendung: "Jazztime" am 3. Juli 2023 ab 23:05 Uhr auf BR-KLASSIK: Happy Birthday, Rhoda Scott! - die legendäre Hammond B3-Organistin in Aufnahmen aus fünf Jahrzehnten
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