BR-KLASSIK

Inhalt

Ernst von Siemens Musikpreis für Simon Rattle Ehrung fürs Lebenswerk

Simon Rattle bekommt den "Nobelpreis der Musik": Wenige Tage vor seinem 70. Geburtstag wird ihm der Ernst von Siemens Musikpreis 2025 zugesprochen. Die Auszeichnung "für ein Leben im Dienst der Musik" ist mit 250.000 Euro dotiert.

Dirigent Sir Simon Rattle | Bildquelle: © Oliver Helbig

Bildquelle: © Oliver Helbig

Er sei einer der wichtigsten und prägendsten Dirigenten unserer Zeit, heißt es in der Begründung des Preis-Kuratoriums der Ernst von Siemens Musikkstiftung. Rattle stehe für herausragende Interpretationen, Offenheit gegenüber unterschiedlichen musikalischen Genres sowie für ein unvergleichliches Engagement in der Vermittlungsarbeit. Das Preisgeld von 250.000 Euro möchte Rattle für den Aufbau eines Originalklang-Ensembles beim Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks nutzen. "Ich bin äußerst glücklich, dass es mir dieser außerordentliche Preis ermöglicht, dieses Projekt finanziell zu unterstützen. Und es ist wunderbar, so meinen 70. Geburtstag zu feiern."

Förderpeis für Komposition

Die Ernst von Siemens Musikstiftung vergibt außerdem drei Förderpreise Komposition, die jeweils mit 35.000 Euro ausgestattett sind. Sie gehen an den iranisch-kanadischen Komponisten Ashkan Behzadi, an Bastien David aus Frankreich und an die Norwegerin Kristine Tjøgersen. Verliehen werden die Preise am 17. Mai 2025 im Münchner Herkulessaal.

Dr. Katja Wildermuth, Intendantin des Bayerischen Rundfunks

"Der Bayerische Rundfunk gratuliert Sir Simon Rattle von Herzen zum 'Nobelpreis der Musik', ein wahrlich mehr als würdiges Geschenk zum 70. Geburtstag. Er ist für uns der perfekte Chefdirigent: Voller Energie, voller Leidenschaft, voller Ideen und mit vollen Sälen die Garantie für ein begeistertes Publikum. Sir Simon führt das Symphonieorchester noch einmal zu neuen Höhen und in die Weite: Auf den Tourneen von Asien bis USA sorgte er zuletzt mit seinem Orchester ebenso für Begeisterung wie in bayerischen Konzertsälen, in Education-Projekten oder mit seiner Herzensidee, dem "Symphonischen Hoagascht" mit Blasmusikern aus ganz Bayern. Der Bayerische Rundfunk applaudiert, trommelt, dankt und gratuliert einem großartigen Menschen und Künstler."

Sir Simon Rattle - ein Leben für die Musik

"Was für eine Kunstform! Die Musik kann den Menschen zeigen, was es bedeutet, menschlich zu sein. Für mich ist Musik ein Grundbedürfnis wie Nahrung und Wasser. Was für ein Privileg, in einer Kunst tätig zu sein, die es uns ermöglicht, Teil davon zu sein!" So sieht es Simon Rattle, und nach dieser Grundüberzeugung hat er jetzt ein Leben lang Musik gemacht. Ein bisschen hört sich das nach Leonard Bernstein an, für den Musik, Menschen und Liebe untrennbar zusammengehörten. Und in ihrem universalen Musikdenken sind sich die beiden Allrounder gar nicht so unähnlich – außerdem dirigiert Rattle Bernsteins Musik immer wieder gern.

Auftakt mit dem Drive des Schlagzeugers

Das alles fängt daheim in Liverpool an, wo Simon Rattle am 19. Januar 1955 geboren wird: "Ich erinnere mich an ein sehr frühes Weihnachten mit einem kleinen Drumset. Ich weiß noch, dass mindestens eine der Trommeln innerhalb von zwei Wochen kaputt war. Und ich muss daran denken, wie ich Töpfe und Pfannen mit hölzernen Löffeln bearbeitete. Mein Vater spielte immer wieder dieselben fünf, sechs Jazz-Stücke am Klavier. Das ganze Haus war voller Musik." Beim Studium in London wird aus Rattle dann ein professioneller Schlagzeuger, der sich als Orchestermusiker sein erstes Geld verdient. Aber schon mit 16 Jahren fängt er an, zu dirigieren - den rhythmischen Drive des Schlagzeugers hat sich Rattle als Dirigent bis heute bewahrt.

Zukunftsweisende Arbeit in Birmingham und Berlin

Sir Simon Rattle bedankt sich am 28.Januar 2003 bei Publikum und seinen Musikern, mit denen er in Berlin Strawinskys "Le sacre du printemps" aufgeführt hat. Gemeinsam mit rund 300 Kindern und Jugendlichen. | Bildquelle: picture-alliance / dpa/dpaweb | Michael Hanschke Simon Rattle mit Kindern und Jugendlichen vom Berliner Tanzprojekt "Le sacre du printemps" im Januar 2003. | Bildquelle: picture-alliance / dpa/dpaweb | Michael Hanschke Haydns Spielwitz und Mahlers Weltschmerz, hat Rattle mal bekannt, hätten ihn überhaupt erst zum Dirigieren gebracht. Beide Komponisten stehen auch in Rattles fast 20-jähriger Ära beim City of Birmingham Symphony Orchestra auf dem Programm. In Birmingham leistet Rattle ähnliches wie Mariss Jansons, der das Oslo Philharmonic in jahrelanger Aufbauarbeit zu einem internationalen Spitzenorchester formte. Anders als in München allerdings, wo Rattle jetzt arbeitet, kann er in Birmingham 1991 die vielgerühmte Symphony Hall einweihen. Haydn und Mahler sind auch seine Favoriten bei den Berliner Philharmonikern, die sich den Star aus Birmingham 2002 als Abbado-Nachfolger an die Spitze holen. Rattles Berliner Tanzprojekt "Rhythm is it!" mit Jugendlichen aus sozialen Brennpunkten, das auch ins Kino kam, ist ein Highlight dieser innovativen Ära. Nach dieser Performance mit Igor Strawinskys "Le sacre du printemps" steht das Publikum Kopf.

Start in München mit BR-Chor und Mahlers Sechster

Simon Rattle in seinem Berliner Garten | Bildquelle: BR Simon Rattle in seinem Garten in Berlin. | Bildquelle: BR Berlin bleibt auch nach Rattles Abschied von den Philharmonikern sein Lebensmittelpunkt, wo er mit seiner Ehefrau, der tschechischen Mezzosopranistin Magdalena Kožená und den gemeinsamen Kindern wohnt. Anschließend leitet Rattle für sechs Jahre das London Symphony Orchestra, bevor er 2023 zum Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks wechselt. Exemplarisch startet er mit Haydns "Schöpfung" und bezieht gleich den Chor des Bayerischen Rundfunks mit ein, dessen Chefdirigent er qua Amt gleichfalls ist. Und lässt als nächstes Mahlers Sechste Symphonie folgen – die für Rattle mit seiner gereiften Mahler-Sicht keineswegs nur "tragisch" ist, wie er damals erzählt: "Was sie so zerstörerisch macht, ist nur die Tatsache, dass der Optimismus scheitert. Sicher, wenn man alte Aufnahmen hört, bekommt man fast das Gefühl, man würde den Film 'Das Schweigen der Lämmer' sehen – da ist keinerlei Hoffnung zu spüren. Aber ich finde, Mahler präsentiert hier eigentlich das ganze Paket eines kolossalen Lebens. Und dazu gehören auch Liebe und Optimismus."

Beim BRSO Teil einer Familie

Dass sich Rattle nach München locken lässt, hat mit der besonderen Chemie zu tun, die er gleich bei Amtsantritt spürt: "Ich habe dieses Orchester schon immer geliebt. Aber jetzt habe ich außerdem noch das Gefühl, ein Teil der Familie zu sein und dass wir alle gemeinsam an einer Sache arbeiten. Das ist der Beginn einer langen Reise." Diese Verbundenheit mit dem BRSO ist seit seinem Debüt 2010 mit dem Oratorium "Das Paradies und die Peri" von Robert Schumann stetig gewachsen, einem weiteren Lieblingskomponisten von Rattle. Überhaupt präsentiert Rattle als Chefdirigent in München ein ungewöhnlich breites Repertoire, das von Bach bis Boulez reicht.

Ein Herz für die Jugend und bayerische Blasmusik

30.09.2023, Marktoberdorf - Sir Simon Rattle probte mit Blasmusikern aus Büchlberg, Benningen, Möckenlohe und Marktoberdorf für den Symphonischen Hoagascht im Juli 2024. Neben dem Musizieren und Kennlernen stand für Rattle auch Spätzle-Machen, Traktorfahren und ein Spaziergang durch einen Steinbruch auf dem Programm. | Bildquelle: BR/Astrid Ackermann Neben dem Musizieren und Kennlernen beim Symphonischen Hoagascht stand für Rattle auch Traktorfahren auf dem Programm. | Bildquelle: BR/Astrid Ackermann Auch in München setzt er seine Education-Arbeit fort, dirigiert die BRSO Akademie und das Bayerische Landesjugendorchester. Rattle geht in die Region, spielt mit bayerischen Blaskapellen zum "Symphonischen Hoagascht" auf. Und begeistert die Menschen mit seinem britischen Humor - etwa wenn er auf seinen 70. Geburtstag zu sprechen kommt: "Ich sehe mich selbst als Teenager mit Knieproblemen. Ich fühle mich jung – nur ab und zu denke ich mir: Mmh, körperlich ist das auch nicht mehr so wie früher. Dabei finde ich es wichtig, dass man nicht mehr kindisch sein – aber doch kindlich bleiben sollte. Dann ist das alles nicht so schlimm."

Visionen für die Zukunft des klassischen Konzertbetriebs

Rattle, der große Kommunikator, immer neugierig auf Menschen und alles Neue. Als Visionär entwickelt er Ideen für die Zukunft der traditionellen Symphonieorchester und ihre Rolle im klassischen Konzertbetrieb: "Heutzutage haben wir immer stärker das Gefühl, dass ein Orchester auch mitten in der Gesellschaft eine Rolle spielen sollte. Und wir vom Orchester sollten nach draußen gehen und die Leute hereinholen. Wir sollten ihnen zeigen, dass Musik lebensverändernd sein kann. Ein gesunder, gut funktionierender Künstler innerhalb einer Gesellschaft ist von großer Bedeutung für eine gut funktionierende Gesellschaft."

Zwischen Bach, Filmmusik und anti-faschistischem Appell

Sir Simon Rattle beim Klassik am Odeonsplatz 2022 | Bildquelle: © Marcus Schlaf Simon Rattle bei Klassik am Odeonsplatz 2022. | Bildquelle: © Marcus Schlaf Simon Rattle denkt die Musik von beiden Enden her: progressiv und retrospektiv. Man hört ihm immer gerne zu. Egal ob Rattle nun Bachs "Matthäus-Passion" dirigiert, für ihn der "Mount Everest", Bruckners unvollendete Neunte Symphonie, "ein Hilfeschrei zu Gott" oder Wagners "Tristan", "ein Narkotikum, ein Suchtmittel". Oder auch Filmmusik bei "Klassik am Odeonsplatz" – allen Genres widmet er sich mit derselben Kompetenz und Leidenschaft. Die Musik unserer Zeit gehört für ihn ganz selbstverständlich dazu – Rattle hat zahlreiche Uraufführungen realisiert, auch die musica viva des Bayerischen Rundfunks profitiert von seinem Einsatz. Unvergesslich etwa Rattles aufwühlende Interpretation von Luciano Berios Bekenntniswerk "Coro", realisiert 2023 mit seinen beiden BR-Kollektiven – ein flammender Appell gegen die faschistischen Regime in aller Welt.  

Rattle stiftet das Preisgeld für ein Originalklang-Projekt

Auch wenn das Lebenswerk von Sir Simon Rattle noch keineswegs abgeschlossen ist, bedeutet die Verleihung des Ernst von Siemens Musikpreises an ihn einen weiteren Ritterschlag. Dass Rattle nun diesen "Nobelpreis der Musik" erhält, verdankt sich auch seinem Engagement fürs Zeitgenössische. Und doch will er das Preisgeld von 250.000 Euro für ein Projekt beim BRSO stiften, das die Vergangenheit neu belebt: Unter dem Label "hip – historically informed performance" will er der historischen Aufführungspraxis im Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks neue Dimensionen erschließen. "Ich bin begeistert, weil ich damit in München eine wichtige Neuerung initiieren kann: ein Originalklang-Ensemble, eingebettet in ein wunderbares Orchester. Und dafür werde ich den Preis verwenden, um das Ganze ins Laufen zu bringen. Es bedeutet für uns eine neue Herausforderung und wird uns ermöglichen, in unserer Arbeit weitere Fortschritte zu machen. Daher bin ich äußerst glücklich, dass es mir dieser außerordentliche Preis ermöglicht, dieses Projekt finanziell zu unterstützen. Und es ist wunderbar, so meinen 70. Geburtstag zu feiern."

BR-KLASSIK feiert den 70. Geburtstag von Sir Simon Rattle

Am 19. Januar feiert Simon Rattle seinen 70. Geburtstag. BR-KLASSIK gratuliert mit zahlreichen Sondersendungen im Radio und Fernsehen – alle Infos finden Sie hier.

Sendung: "Allegro" am 16. Januar 2025 ab 06:05 Uhr auf BR-KLASSIK

Kommentare (0)

Bitte geben Sie höchstens 1000 Zeichen ein. (noch Zeichen)
Bitte beachten Sie, dass Ihr Kommentar vor der Veröffentlichung erst noch redaktionell geprüft wird. Hinweise zum Kommentieren finden Sie in den Kommentar-Richtlinien.

Spamschutz*

Bitte geben Sie das Ergebnis der folgenden Aufgabe in Ziffernschreibweise ein:

Drei plus eins ergibt?
Zu diesem Inhalt gibt es noch keine Kommentare.

Mehr zum Thema

Neu bei BR-KLASSIK

    AV-Player