Mozarts Musik ist ein Lächeln – zart, aber nie ohne Schatten. Für die georgische Pianistin Khatia Buniatishvili, die mit ihrem fesselnden Spiel die Bühnen der Welt erobert hat, ist Musik weit mehr als eine Profession. Es ist ein Moment der Offenbarung, ein Dialog zwischen Künstler und Publikum. Im Interview mit BR-KLASSIK erzählt sie von der Intimität, die sie in Mozarts Werken findet, wie sie sich seinen Stücken nähert - und von der Verletzlichkeit, die sie auf der Bühne niemals verbirgt.
Bildquelle: Julia Wesley
BR-KLASSIK: Auf Ihrem neuen Album spielen Sie Mozart. Zwei Konzerte und eine kleine, feine Sonate. Wie haben Sie denn die Persönlichkeiten der einzelnen Sätze kennen gelernt? Wie viel persönliche Lebenserfahrung fließt ein?
Khatia Buniatishvili: Schöner Ansatz, die einzelnen Sätze als Persönlichkeiten zu begreifen... Musik ist für mich tatsächlich Persönlichkeit, sie ist Ausdruck des Komponisten selbst. Und Mozart, mit seiner Fantasie und seinem Geist, spricht direkt durch seine Noten. Wenn ich ein Stück von ihm lerne oder spiele, betrachte ich die Noten nicht nur als Zeichen auf Papier, sondern als Briefe voller Gefühl und Bedeutung. Wie Liebesbriefe. Natürlich braucht es Zeit, um eine solche Verbindung herzustellen – genau wie in menschlichen Beziehungen.
Wenn ich Mozart spiele, begegnen sich zwei Seelen: Meine eigene und die des Komponisten.
Doch manchmal geschieht es auch ganz spontan: Zwei Persönlichkeiten verstehen sich auf Anhieb, ohne Worte, ohne Zeitgefühl – einfach im Moment. In der Musik heißt das: Es gibt magische Momente, in denen sich zwei "Seelen" – die des Komponisten und meine eigene – sofort begegnen und gemeinsam atmen. So erlebe ich es mit jeder Mozart-Sonate, mit jedem Satz. Seit ich sieben Jahre alt bin, begleitet mich seine Musik, ganz persönlich und tief subjektiv. Sie hat mein Leben geprägt, als wäre sie in mir eingraviert – als Liebe und Verständnis für Mozart.
BR-KLASSIK: Da ist zum einen das Spielen der Noten vom ersten bis zum letzten Takt. Und da ist zum anderen das Universum, das durch die Musik entsteht. Nehmen wir den 2. Satz aus dem Klavierkonzert Nr. 23 in A-Dur. Wie setzen Sie das um, wenn Weinen und Trost nur Millisekunden voneinander entfernt liegen?
Khatia Buniatishvili: Wenn ich den zweiten Satz aus Mozarts Klavierkonzert Nr. 23 höre, verstehe ich, was Schönheit wirklich bedeutet. Wenn Musik die Kraft hat, den Menschen zu berühren und zu wandeln, dann ist dieses Stück ein Beispiel dafür. Diese Musik konfrontiert mich mit der Frage, was wahre Schönheit bedeutet – etwas, das sich nicht in Worte fassen lässt. Sie existiert in uns, in anderen Menschen, in der Verbindung zwischen uns.
Wie konnte ein Mensch etwas so Zartes, so Zauberhaftes erschaffen?
Und vielleicht ist genau das, was wir nicht vergessen dürfen: Diese Schönheit ineinander zu suchen. Mozarts Musik ist ein Inbegriff dieser unerklärlichen Schönheit. Wir wissen, dass er sie komponiert hat, aber woher kam diese Eingebung? Wie konnte ein Mensch etwas so Zartes, so Zauberhaftes erschaffen? Es ist wie in der Natur – wir sehen die Schönheit, wir spüren sie, doch wir können nicht erklären, woher sie kommt. Vielleicht müssen wir sie auch gar nicht analysieren. Manchmal genügt es, Schönheit einfach wahrzunehmen – sie zu sehen, zu hören, zu fühlen. Denn das allein gibt uns Hoffnung. Und es erinnert uns daran, dass es sich lohnt, diese Schönheit weiterzusuchen – in der Musik und in uns selbst.
BR-KLASSIK: In der Aufnahme mit der Academy on St. Martin in the Fields fällt mir auf, wie deutlich hörbar die Bläser mit dem Klavier spielen. Das könnte auch gut eine Da-Ponte-Oper sein. Finden Sie Mozarts Opern inspirierend fürs Klavier?
Khatia Buniatishvili: Ja, ich finde Mozarts Opern unglaublich inspirierend. Der Grund, warum ich das d-Moll-Klavierkonzert aufgenommen habe, war Don Giovanni – für mich steht d-Moll in Verbindung mit Don Giovanni und dem Requiem, und das auf eine Weise, die sich kaum in Worte fassen lässt. Operngesang ist für mich essenziell, denn die Stimme ist unser wichtigstes Instrument – nicht nur die äußere Stimme, die wir hören, sondern auch die innere Stimme. Opern und Lieder spielen daher eine bedeutende Rolle in meinem musikalischen Verständnis. Gerade für die instrumentale Musik hilft es enorm, den Komponisten wirklich zu verstehen, wenn man seine Lieder oder Opern gehört und studiert hat.
Erst wenn die Musiker miteinander kommunizieren, fängt die Musik an zu atmen.
Mein Professor in Georgien, Tengiz Amirejibi, betonte immer, dass man selbst als Pianist das Orchestrale in der Musik spüren sollte. Wenn ich eine Sonate von Beethoven oder Mozart spielte, sagte er oft: "Hörst du die Holzbläser? Hörst du die Streicher?" Er wollte, dass ich das Klavier nicht nur als solistisches Instrument betrachte, sondern auch die orchestrale Dimension wahrnehme. Diese Kommunikation zwischen Klavier und Blasinstrumenten ist für mich entscheidend – sie bringt die Musik zum Atmen, macht sie lebendig. Deshalb ist auch der Dialog mit dem Orchester etwas ganz Besonderes. Kammermusik spielt dabei eine große Rolle, weil es um Kommunikation und Zuhören geht. Besonders spannend finde ich die Idee, eine Aufnahme ohne Dirigenten zu machen. Denn wenn man in einer kleineren Besetzung spielt, wird einem bewusst, dass es nicht nur um die Größe eines Ensembles geht, sondern um das Prinzip der Musik selbst: den Dialog zwischen Musikern. Diese Art der musikalischen Kommunikation sollte auch in großen Orchestern gelten – jeder einzelne Musiker trägt eine bedeutende Rolle, und nur wenn alle aufeinander hören, kann wahre Musik entstehen.
Khatia Buniatishvili konzertiert mit allen berühmten Dirigenten und Orchestern der Welt und kommt am 27. März 2025 für ein Konzert in die Meistersingerhalle Nürnberg. Ein Klavierabend mit Werken von Schubert, Chopin, Mozart und Liszt.
BR-KLASSIK: Die Sonate C-Dur KV 545, auch bekannt als "Sonata facile", spielen Sie auch in Nürnberg. Ein Stück, das simpel anmutet und das viele aus dem eigenen Klavierunterricht kennen. Was reizt Sie an dem Stück?
Khatia Buniatishvili: Normalerweise höre ich gerne Musik in Moll, weil mich diese Klangwelt besonders anspricht. Doch Mozarts Musik hat etwas Einzigartiges – auch wenn sie traurig sein kann, bleibt sie zugleich voller Leichtigkeit. Diese Sonate ist ein perfektes Beispiel dafür. Sie hat jugendliche Frische, aber zugleich ein besonderes, melancholisches Lächeln. Dieses Bild habe ich seit meiner Kindheit im Kopf, wenn ich an Mozart denke. Ich erinnere mich daran, als ich etwa sieben oder acht Jahre alt war: Meine Schwester hatte Klavierunterricht, und ihre Professorin sagte zu ihr: „Mozarts Musik ist immer voller Lächeln und Lebensfreude, aber hinter diesem Lächeln verbirgt sich oft etwas Trauriges – genau wie in deinen Augen.“ Dieser Moment hat sich mir tief eingeprägt. Die Stille im Raum, die ruhige Art der Professorin, die Verbindung zwischen den Augen meiner Schwester und der Musik von Mozart – all das fügte sich zu einem perfekten Bild zusammen. Und genau dieses Bild verkörpert für mich auch diese Sonate. Sie symbolisiert Mozarts Fähigkeit, Licht und Schatten, Freude und Melancholie auf unvergleichliche Weise zu vereinen.
BR-KLASSIK: Was hat Sie dazu bewogen, die Sonate an den Schluss des Albums zu setzen?
Khatia Buniatishvili: Für mich ist es ganz logisch – ich mag es, alles mit Hoffnung zu beenden, mit einem Gefühl von Frühling. Diese Sonate trägt für mich den Duft und die Leichtigkeit des Frühlings in sich. Sie ist wie das Lächeln eines Kindes – rein, voller Wärme und Unbeschwertheit. Und dieses Lächeln tragen wir alle in uns, als Zeichen von Hoffnung, als Ausdruck von Schönheit, als etwas, das tief in unserer Seele verankert ist. Genau wie der Frühling, der jedes Jahr aufs Neue zurückkehrt.
BR-KLASSIK: Auf Instagram teilen Sie ganz behutsam einige Momente aus Ihrem Familienleben. Wie ist das Wechselspiel, die wechselseitige Energie aus Konzert und Familie?
Khatia Buniatishvili: Natürlich sind Familie und Privatleben auf der einen Seite und Konzerte und Karriere auf der anderen zwei unterschiedliche Bereiche. Doch was sie verbindet, bin ich selbst – meine Persönlichkeit. Wenn ich auf der Bühne stehe, ist das für mich kein Beruf im klassischen Sinne, sondern mein Leben. Ich gebe alles, weil ich gar nicht anders kann. Vielleicht spüren die Menschen im Publikum genau deshalb etwas sehr Persönliches während eines Konzerts. Ich kann mich nicht einfach nur professionell distanzieren – für mich ist Musikmachen etwas Intimes, fast Privates.
Wenn man mit Emotionen musiziert, ist man nackt – man kann diese Gefühle nicht verstecken. Wir stehen im Dienst der Musik, der Komponisten, aber als Vermittler zwischen ihnen und dem Publikum offenbaren wir auch unsere eigenen Emotionen. In gewisser Weise macht uns das verletzlich, aber zugleich schafft es eine tiefe, menschliche Verbindung. Deshalb bin ich auf der Bühne dieselbe Person, die ich auch im Leben bin. Ich glaube, das Publikum kann intuitiv erkennen, wer ein Künstler wirklich ist. Ich kann mich nicht verstellen, nicht lügen – ich bin einfach, wer ich bin. Und so herausfordernd das manchmal sein mag, es ist auch ein großes Glück, sich auf der Bühne vollkommen hingeben zu können.
Sendung: "Leporello" am 24. März 2025 ab 16:05 Uhr auf BR-KLASSIK
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