Der Preis der Ernst von Siemens Musikstiftung gilt als "Nobelpreis der Klassischen Musik". Jetzt feiert die Stiftung 50-jähriges Bestehen – und hat eine prominente neue Vorsitzende im Stiftungsrat: Tabea Zimmermann. Was Preis und Stiftung ihr persönlich bedeuten, erzählt die Bratschistin im Interview.
Bildquelle: Rui Camilo
BR-KLASSIK: Tabea Zimmermann, die Ernst von Siemens Musikstiftung wird 50 Jahre alt. Sie wurden im Jahr 2020 mit dem Preis der Stiftung ausgezeichnet, die Preisverleihung fand dann 2021 statt. Dotiert war der Preis mit 250.000 Euro. Haben Sie das Geld gleich in die nächste Bratsche investiert?
Tabea Zimmermann: (lacht) Eine heikle Frage, was man mit dem Geld macht. Ich habe tatsächlich eine eigene Stiftung ins Leben gerufen und nach meinem verstorbenen Mann David Shallon benannt. Er war mir mit seiner Liebe zur Kammermusik und seiner kammermusikalischen Dirigierweise immer sehr nah und das habe ich jetzt versucht, in der Stiftung abzubilden. Wir fangen gerade an, ich bin im Moment sozusagen noch allein die Stiftung. Im letzten Jahr habe ich nur ein Stipendium vergeben und werde nun versuchen, das auszuweiten. Ich finde es sehr wichtig, dass so ein großer Preis nicht in der privaten Tasche verschwindet, sondern weitergegeben wird an andere junge Musiker.
BR-KLASSIK: Was bedeutet Ihnen denn der Preis rückblickend?
Tabea Zimmermann: Das ist wirklich die größte Auszeichnung, die man als Klassischer Musiker bekommen kann. Bevor die Öffentlichkeit weiß, dass man den Preis bekommt, hat man intern sozusagen schon eine "Warnung" bekommen. Da wird im Hintergrund einiges vorbereitet. Für mich persönlich war es eine wichtige Phase, überhaupt damit umzugehen, jetzt plötzlich auf so einem großen internationalen Parkett angekommen zu sein. Ich habe mein ganzes Leben immer hart gearbeitet und viel gespielt, aber plötzlich geht einem dann der Herzschlag doch ein bisschen höher, weil man sehr viel exponierter ist. Ich habe den Preis als starken Rückenwind empfunden. Außerdem freue ich mich ganz besonders über diese neue große Ehre, nicht nur als Preisträgerin ausgezeichnet worden zu sein, sondern mich jetzt auch innerhalb der Ernst von Siemens Musikstiftung einbringen zu können. Ich bin noch in der Anfangsphase, aber ich stehe voll und ganz hinter den Zielen dieser Stiftung und freue mich über das Jubiläum.
Ich habe den Preis als starken Rückenwind empfunden.
BR-KLASSIK: Die Stiftung kümmert sich um Neue Musik. Wenn wir über Neue Musik sprechen, dann ist es ein vergleichbar kleiner Kreis von Leuten ist, den diese Musik das interessiert. Wie wollen Sie denn in Zukunft mit dieser Musik mehr Leute erreichen?
Bildquelle: © Marco Borggreve Tabea Zimmermann: Schwierige Frage, ob die Menge der Zuhörer etwas über die Qualität sagen kann. Ich denke, da sollten wir auch mal in der Geschichte nachschauen. Auch zu Beethovens Lebzeiten zum Beispiel gab es nur einen kleinen Kreis, der sich für seine Musik interessiert hat. Vielleicht sollten wir das akzeptieren und stolz darauf sein, dass wir an den Entwicklungen in der Musik und den gesellschaftlichen Fragen, die Künstler durch Musik auch bearbeiten, teilhaben. Und dass man da eben nicht unbedingt in der Masse agiert. Ich finde, es geht immer erst mal um Qualität. Aber es ist natürlich ein Spezialfeld, allein schon wegen der Komplexität. Eine neue Partitur können nur sehr wenige Menschen lesen.
Das Bewerten von Musik rein nach einem ersten Höreindruck finde ich persönlich schwierig und auch manchmal ungerecht. Ich glaube, das Publikum braucht viel mehr Chancen zu mehreren Höreindrücken. Ich glaube, dieses schnelle Auftrag erteilen, einmal spielen und dann vergessen, das ist ein bisschen das Problem der Neuen Musik. Vielleicht können wir da als Stiftung noch vermehrt dafür sorgen, dass es weitere Aufführungen gibt, damit man sich tiefer einarbeiten kann. Und da finde ich die räsonanz-Stifterkonzerte gut, die die Ernst von Siemens Musikstiftung angeregt hat und seit Jahren durchführt. Die Konzertreihe nimmt sich vor allem vor, Zweitaufführungen selber zu veranstalten. Natürlich sind Uraufführungen wichtig, der Auftrag ist für den Komponisten oder die Komponistin unglaublich wichtig, aber manchmal kommt danach nicht mehr viel, und das ist sehr schade.
Das Bewerten von Musik rein nach einem ersten Höreindruck finde ich persönlich schwierig.
BR-KLASSIK: Jetzt haben Sie es gerade angesprochen: "der Komponist und die Komponistin". Welche Frauen in der neuen Musik feiern Sie denn aktuell?
Tabea Zimmermann: Die Frage ist für mich jetzt als Vorsitzende der Stiftung natürlich ein ganz kleines bisschen heikel. Ich möchte hier keine einzelnen Namen ins Gespräch bringen. Aber ich finde das Thema doch ein sehr spannendes. Einerseits möchten wir in der Musik die Frauen fördern. Das gilt für Komponistinnen, für Intendantinnen, das gilt aber auch in den großen Orchestern, in den Führungspositionen. Und andererseits muss man natürlich auch schauen, dass man jetzt nicht den Blick zu eng nimmt und sagt: Ab jetzt nur noch Frauen, bis es ein ausgewogenes Verhältnis gibt. Ich denke, Qualität ist immer der erste Faktor. Aber einen guten Blick zu haben auch in Nischen, in unbekannte Gegenden, sozusagen einen weitgefassten Blick, das ist in erster Linie Aufgabe des Kuratoriums. Wir sind auf jeden Fall gespannt, wie sich die Stiftungsarbeit weiterentwickelt.
Das Interview führte Gino Thanner für BR-KLASSIK.
Sendung: "Allegro" am 27. Oktober 2023 ab 06:05 Uhr auf BR-KLASSIK
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