Wie im Rausch: Nach Auftritten braucht Benjamin Bernheim oft Stunden, um zur Ruhe zu kommen. Im Interview spricht er offen über den Spagat zwischen Bravorufen und Einsamkeit – und wie er als Opernsänger mit schwierigen Regiekonzepten umgeht.
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BR-KLASSIK: Benjamin Bernheim, wie geht Ihnen am Tag nach einem Konzert?
Benjamin Bernheim: Nach einem Konzert brauche ich drei oder vier Stunden, bevor ich schlafen kann. Als ich im Münchner Prinzregententheater gesungen habe, war das wirklich ein ganz spezieller Abend. Mit viel guter Energie, tollem Applaus. Danach fühlte ich mich ein bisschen nostalgisch. So ein Abend wie in München mit diesem Publikum, das war wirklich eine tolle Erfahrung für mich.
BR-KLASSIK: Wenn dieses unglaubliche Glücksgefühl nicht anhält, dann berichten ja manche Künstler, dass sie nach dem Konzert in ein Loch fallen...
Benjamin Bernheim: Das kann passieren, ja. Ein paar Stunden nach der Vorstellung, wenn wir im Taxi zurück zum Hotel sitzen und plötzlich allein sind. Das geht nicht nur Künstlern so, sondern auch Athleten, Tennisspielern, Fußballspielern. Dieser Moment des Alleinseins kann toll sein, weil man ein bisschen Ruhe hat. Er kann aber auch schwer sein und uns traurig machen, weil wir das Gefühl haben, dass wir etwas vermissen.
BR-KLASSIK: Was hilft da? Liebe Menschen in der Umgebung oder mit denen man telefoniert?
Adrenalin-Schub auf der Bühne: Der Tenor Benjamin Bernheim kann oft erst mehrere Stunden nach einem Auftritt einschlafen. | Bildquelle: Julia Wesely
Benjamin Bernheim: Ich muss sagen, jetzt im Jahr 2025 haben wir das Glück, dass es Facetime und Whatsapp gibt. Wir haben all diese Möglichkeiten, um Leute anzurufen und mit ihnen erzählen. Ich rufe immer zwei Leute nach einer Vorstellung an, nur um zu sagen: "Ich habe ganz schlimm gesungen" oder "Es war okay". Wir Künstler bekommen so viel Adrenalin, wenn wir auf der Bühne stehen, mit den Bravo-Rufen und der Standing. Ich denke, dass die Bühne für viele Künstler eine Droge ist. Ein Adrenalin-Shot. Darum ist es so schwierig für alte Opernsänger und Künstler, Tschüß zu sagen.
Ich denke, dass die Bühne für viele Künstler eine Droge ist.
BR-KLASSIK: Sie geben nicht nur Liederabende, sondern singen auch Opern. Die Arie des Lenski aus Tschaikowskys "Eugen Onegin" ist für Sie gemacht ist, oder?
Benjamin Bernheim: Ich liebe Lenski, auch wenn ich die Rolle bisher nur zweimal gesungen habe: an der Deutschen Oper Berlin und in Zürich. Es ist eine kurze Rolle, denn Lenski stirbt in der Mitte der Oper. Aber es gibt so viel zu zeigen, wenn man Lenski singt. Es ist wirklich eine Traumrolle!
BR-KLASSIK: Die Sprache ist Russisch. Sie sprechen und singen vor allen Dingen natürlich Französisch, aber auch Deutsch, Russisch und Italienisch.
Benjamin Bernheim: Ich spreche kein Russisch, aber ich versuche immer bei der Vorbereitung auf eine Rolle viel an meiner Aussprache zu arbeiten. Ob das ist Spanisch, Italienisch, Deutsch, Russisch oder Englisch ist: Es ist mir wichtig, dass jemand im Publikum, der diese Sprache spricht, nicht die Übertitel lesen muss. Ich hatte viel gutes Feedback von Leuten im Publikum, die gesagt haben: "Ich habe gehört, dass Sie nicht wirklich Russisch sprechen, aber mir ist aufgefallen, dass Sie viel an der Sprache gearbeitet haben." Das ist für mich ein Kompliment.
Ich arbeite bei der Vorbereitung auf eine Rolle viel an meiner Aussprache.
BR-KLASSIK: Hilft die Arbeit an der Sprache Ihnen, die Musik zu transportieren?
Benjamin Bernheim: Ja, weil ich nicht nur die Wörter verstehen muss, sondern auch die Satzmelodie. Ich muss wirklich wissen, was ich erzähle. Beim Liederabend in München war es kompliziert. Ich hatte kein Bühnenbild und kein Kostüm. Ich war einfach Benjamin Bernheim mit meinem schwarzen Anzug. Für mich ist es wichtig, dass das Publikum nicht nur die Wörter verstehen kann, sondern auch die Ideen und die Klangfarben.
Tenor Benjamin Bernheim im Interview: Mit jeder Arie eine neue Geschichte erzählen
BR-KLASSIK: Mögen Sie Regisseure, die eine Geschichte auch in die Gegenwart holen?
Benjamin Bernheim: Ich mag es, wenn eine Regie etwas erzählt. Es muss nicht unbedingt das sein, was im Libretto geschrieben steht. Wenn es klug ist, kann eine Regie auch abenteuerlicher sein oder etwas neu schreiben. Aber wenn die Sänger auf der Bühne nicht verstehen, warum sie eines Liebes-Aria singen und auf der Bühne das Gegenteil machen, dann habe ich damit ein Problem. Regie muss sehr gut gemacht sein, damit das Publikum die Geschichte verstehen kann.
BR-KLASSIK: Sagen Sie manchmal zur Regie: Nein, das mache ich nicht?
Der Tenor Benjamin Bernheim wird oft schon drei oder vier Jahre vor einer Opernproduktion für eine Rolle angefragt. | Bildquelle: Julia Wesely
Benjamin Bernheim: Das ist sehr schwer für uns Opernsänger. Es ist ein bisschen ein Blind-Date-Beruf für uns. Wir werden drei, vier Jahre vorher von einem Opernunternehmen für eine neue Produktion kontaktiert. Wir sagen: "Ja, vielleicht". Nein, sie müssen es jetzt wissen. "Und wer macht die Regie?“, fragen wir. Wissen sie noch nicht. "Und wer singt?" Wissen sie auch noch nicht. "Und wer dirigiert?" Wissen sie ebenfalls nicht. Aber sie wollen unbedingt, dass man singt. Dann sagt man zu und vier Jahre später gibt es ein totales Blind-Date. Manchmal ist es eine sehr gute Überraschung, aber manchmal auch nicht.
BR-KLASSIK: Und was macht man, wenn das Konzept nicht passt?
Benjamin Bernheim: Es gibt drei Möglichkeiten. Erstens: Ich bleibe trotzdem dabei. Zweitens: Ich gehe und werde auch nicht bezahlt. Wir als freischaffende Sänger haben ja keine Sicherheit. Auch wenn wir erkranken und nicht singen können, bekommen wir null Euro. Und es gibt eine dritte Möglichkeit: Konflikt. Aber ein Konflikt ist kompliziert, denn wir Sänger brauchen schon viel Energie, um die schwierigen Rollen auf der Bühne zu singen. Ein Konflikt mit Regisseuren, mit Dirigenten oder anderen Leuten lohnt sich nicht.
Wenn wir erkranken und nicht singen können, bekommen wir null Euro.
BR-KLASSIK: Weil er viel Kraft wegnimmt, die man bräuchte, um zu singen und eine Rolle zu gestalten?
Benjamin Bernheim: Ja. Darum spreche ich viel mit Operndirektoren, dass ich mir im Vorfeld eine bessere Kommunikation wünsche. Wir können keinen Vertrag unterschreiben, wenn es noch kein Konzept gibt. Ich möchte gerne, dass wir uns vorher treffen und über die Ideen sprechen. Nur wenn ich fühle, dass ich die Produktion unbedingt machen will, dann unterschreibe ich. Es ist nicht gut für das Team, wenn ich nur da bin, weil ich bezahlt werde, aber nicht da sein will. Dann ist es besser, einen anderen Tenor zu nehmen.
BR-KLASSIK: Klingt wie eine Revolution im Operngetriebe.
Benjamin Bernheim: (lacht) Ja. Revolution!
Sendung: "Meine Musik" am 1. März 2025 ab 11:05 Uhr auf BR-KLASSIK
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