Mit 31 Jahren hat Thomas Guggeis bereits an namhaften Häusern dirigiert. Im Interview mit BR-KLASSIK spricht er über Nachhaltigkeit im Dirigentenleben, seine Vorbereitung auf neue Werke und die Liebe zu den Bergen. Am 11. und 12. Januar dirigiert er in München die Akademiekonzerte des Bayerischen Staatsorchesters in einem Programm mit Meer-Bezug.
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BR-KLASSIK: Herr Guggeis, wie gehen Sie an eine Partitur heran?
Thomas Guggeis: Für mich ist der Weg, erst einmal zu entschlüsseln, was diese schwarzen Pünktchen auf weißem Papier bedeuten. Ist das die Fünfte Beethoven? Und was ist die Fünfte Beethoven eigentlich? Das Autograph des Komponisten? Eine Partitur, die ich kaufe? Ein Stück auf einer CD? Oder nur das Live-Erlebnis? Sind es die Schallwellen? Es ist schwer zu definieren, dieser Übergang von etwas, was in einem Code niedergeschrieben ist, zu dem, was live passiert und was uns einzigartig berührt – und was deswegen seit hunderten Jahren unverändert geblieben ist. Das Orchester hat immer noch eine ähnliche Zusammensetzung. Es wurde etwas optimiert, aber die Grundidee ist gleich: Menschen kommen zusammen und versuchen, dieses Geheimnis von schwarzen Pünktchen zusammen zu ergründen. Das bewegt mich.
BR-KLASSIK: Erinnern Sie sich noch an die erste Partitur, die Sie studiert haben?
Thomas Guggeis: Dvořáks neunte Symphonie "Aus der Neuen Welt" mit einer Aufnahme von Ferenc Fricsay und den Berliner Philharmonikern.
BR-KLASSIK: Haben Sie dann gleich mitgesummt oder wie sah das aus?
Thomas Guggeis: Das war tatsächlich eine winzige Taschenpartitur. Ich komme vom Klavier, das ist mein Hauptinstrument. Und ich freue mich, dass ich inzwischen auch wieder mehr spiele. Nicht als Solist, aber als Kammermusikpartner und Liedbegleiter. Ich nutze das Klavier sehr viel für die Vorbereitung von Partituren. Das habe ich auch früher so gemacht. Ich nehme die Partitur und stelle das, was geht, am Klavier dar. Immer mal wieder mit anderem Fokus und einer anderen Stimmgruppe im Blick. Da kann man sehr viel probieren und einem Stück näherkommen. So bin ich auch dem Dirigieren nähergekommen.
BR-KLASSIK: Sie sind Generalmusikdirektor in Frankfurt, arbeiten aber auch mit anderen Orchestern. Zum Beispiel mit dem Orchester des Wandels, das sich gegen den Klimawandel einsetzt. Wie sieht das konkret aus?
Thomas Guggeis: Das ist ein Orchester, das ursprünglich vor allem von Mitgliedern der Staatskapelle Berlin gegründet wurde. So kam der Kontakt zustande, weil ich dort am Haus lange tätig war. Das Orchester spielt Benefizprojekte, bei denen das eingenommene Geld an ein bestimmtes Projekt gespendet wird. Es ist aber auch ein unglaublicher Klangkörper. Das Orchester setzt sich mittlerweile aus mehr als 20 deutschen Berufsorchestern zusammen. Die Musikerinnen und Musiker spielen umsonst mit. Ich nehme eine große Hingabe wahr und finde es sehr beeindruckend, in welch kurzer Zeit ein Orchester zu so einem Klang findet.
BR-KLASSIK: Haben Sie ein Beispiel?
Thomas Guggeis: Zum Beispiel eine CD-Aufnahme. Dafür braucht es eigentlich sehr gut aufeinander eingespielte Musikerinnen und Musiker, weil man für jedes Stück den Klang und den Stil wechseln muss. Oder eben diesen beachtlichen Willen, diesen gemeinsamen Glauben an eine gute Sache.
BR-KLASSIK: Haben Sie da etwas für sich mitgenommen? Achten Sie auf Nachhaltigkeit?
Thomas Guggeis: Dieses krasse Hin- und Herspringen mache ich wesentlich weniger als früher, dieses einen Tag hier sein, einen Tag dort. Auch weil ich finde, dass es ist gesundheitlich und künstlerisch oft nicht nachhaltig ist. Ganz konkret: Einen Tag hier eine Vorstellung dirigieren und am nächsten Tag woanders proben, dann wieder zurück und eine Vorstellung dirigieren und am nächsten Tag woanders proben. Das kommt nur ab und zu mal vor. Und ich finde auch, innereuropäisch kann man sehr viel gut mit dem Zug machen.
BR-KLASSIK: In München dirigieren Sie jetzt ein Programm beim Bayerischen Staatsorchester. In jedem der drei Stücke spielt das Meer eine Rolle. Welche Rolle spielt das Meer in Ihrem Leben?
Thomas Guggeis: Für mich persönlich spielen die Berge eine viel größere Rolle. Das muss ich ganz ehrlich sagen. Traumhaft finde ich es aber, wenn Berge und Meer zusammenkommen. Wenn ich mir aussuchen kann, was ich in einer freien Woche mache, dann ist es Skifahren oder Wandern. Dafür brenne ich.
BR-KLASSIK: Sie sind 31 Jahre alt und dirigieren an Häusern, von denen andere ein Leben lang träumen. Wovon träumen Sie denn noch?
Thomas Guggeis: Ich träume davon, dass ich mein Leben in dieser Kunstform verbringen darf. Was die Kunst generell angeht und die klassische Musik insbesondere, weil sie so ein komplexes und auch aufwendiges, aber dafür halt auch so unglaublich berührendes, bewegendes und urmenschliches Gebilde ist. Mein Traum und Wunsch ist wirklich nur zu sagen, ich wünsche mir – und ich tue dafür auch gerne alles, was ich kann–, dass wir diese Kunstform möglichst lang am Leben halten können.
Felix Mendelssohn Bartholdy (1809–1847)
Die schöne Melusine. Ouvertüre op. 32
Ernest Chausson (1855–1899)
Poème de l’amour et de la mer für mittlere Stimme op. 19
Alexander von Zemlinsky (1871–1942)
Die Seejungfrau. Fantasie in drei Sätzen für Orchester (Urfassung)
Sendung: "Leporello" am 9. Januar 2025 ab 16.05 Uhr auf BR-KLASSIK
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