BR-KLASSIK

Inhalt

Timothy Ridout Weltklasse-Bratschist erstmals beim BRSO

Der Brite Timothy Ridout gehört den besten Bratschisten der Welt. Jetzt gibt er sein BRSO-Debüt im Münchner Herkulessaal, das BR-KLASSIK ab 20 Uhr im Live-Stream zeigt. Und auch privat hat er etwas zu feiern.

Timothy Ridout | Bildquelle: Kaupo Kikkas

Bildquelle: Kaupo Kikkas

BR-KLASSIK: Timothy Ridout, erstmal herzlichen Glückwunsch! Sie sind vor kurzem Vater geworden. Wie hat es sich jetzt angefühlt, auf Reisen zu gehen? Wie schwer ist Ihnen die Trennung gefallen?

Timothy Ridout: Es war auf jeden Fall ein ganz anderes Gefühl als sonst. Normalerweise bin ich die meiste Zeit unterwegs, und jetzt war ich einen ganzen Monat lang zu Hause, was sich am Anfang sehr fremd anfühlte. Dann war es natürlich das Wunderbarste auf der Welt, Vater einer Tochter zu werden. Und zum Flughafen Heathrow zu fahren, war irgendwie bizarr. Es ist dasselbe wie immer, und doch ist es ein ganz anderes Gefühl, nicht nur meine Frau zu Hause zurückzulassen, sondern meine Familie! Und so ist es natürlich in gewisser Weise schwierig. Aber ich bin auch sehr glücklich, wieder auf der Bühne zu stehen.

Timothy Ridout spielt seiner Tochter gern Musik vor

BR-KLASSIK: Haben Sie Ihrer Tochter schon was auf der Bratsche vorgespielt? Wie ist es angekommen?

Timothy Ridout: Oh, ja, auf jeden Fall. Sie hat in den ersten zwei Wochen ihres Lebens schon viel Viola gehört. Zu Hause habe ich das Rhapsody-Concerto von Bohuslav Martinů durchgespielt und ihr kleine Kindermelodien vorgespielt. Sie reagiert auf jeden Fall, obwohl sie noch so klein ist. Manchmal, wenn sie ein bisschen aufgeregt ist, wird sie plötzlich ruhig, wenn sie Musik hört. Ich finde das einfach wunderbar. Ich war so aufgeregt, als sie geboren wurde. All die tollen Musikstücke, die sie zum ersten Mal zu hören bekommt! Ich habe ihr schon eine Aufnahme der 4. Sinfonie von Johannes Brahms vorgespielt, und wir haben auch Bach und Mozart und jede Menge Klaviermusik gehört.

Es war das Wunderbarste auf der Welt, Vater einer Tochter zu werden.
Timothy Ridout

BR-KLASSIK: Es gibt auch eine sehr schöne Geschichte, wie Sie die Bratsche für sich entdeckt haben. Bei einem Schulkonzert hat ein Bratschenlehrer sein Instrument präsentiert und "Hedwig‘s Theme" aus dem Harry-Potter-Soundtrack vorgespielt. Was hat Sie an der Bratsche so fasziniert?

Timothy Ridout: Um ehrlich zu sein, ich weiß es nicht. Es war definitiv keine langjährige Faszination für die Bratsche. Es war eine spontane Sache. Ich wollte weder Trompete noch Geige noch Gitarre spielen. Ich habe auch schon über einige andere Instrumente nachgedacht, aber dann kam ich von der Schule nach Hause und sagte meinen Eltern, dass ich Bratsche lernen möchte. Ich habe als Kind auch viel gesungen.

BR-KLASSIK: Singen Sie immer noch?

Timothy Ridout: Ja, manchmal, wenn ich meiner Tochter die Windel wechseln muss und sie weint, dann singe ich ein bisschen, das scheint sie zu beruhigen. Aber ich neige nicht dazu, vor Leuten zu singen. Allerdings habe ich im letzten Jahr ein paar Recitals gespielt. Im Programm hatte ich ein wunderschönes Stück von Caroline Shaw namens „In manus tuas“, bei dem ich drei Noten singen muss. Das war also mein erstes öffentliches Singen seit einer sehr, sehr langen Zeit. Es ist nervenaufreibend. Es ist schwierig zu singen, besonders wenn man gleichzeitig Viola spielt. Aber zu Hause singe ich auf jeden Fall viel für mich selbst. Und für eine sehr kleine Gruppe von anderen Leuten.

Bohuslav Martinůs Rhapsody-Concerto: Spielen, als würde man singen

BR-KLASSIK: Die menschliche Stimme spielt auch eine Rolle in dem Stück, das Sie mit dem BRSO spielen – das Rhapsody-Concerto von Bohuslav Martinů. Martinů hat es für den Bratscher Jascha Veissi geschrieben. Er spielte auf einer Bratsche aus dem 16. Jahrhundert, und der Klang seines Instruments, hat Martinů an die menschliche Stimme erinnert. Wie setzen Sie das als Solist mit Ihrem Instrument um?

Timothy Ridout: Wann immer wir versuchen, Musik zu machen, ist es eine Erweiterung der Stimme. Und dieses Konzert ist besonders lyrisch. Das erste Mal, wenn die Bratsche in das Stück eintritt, singt sie allein. Und im zweiten Satz ist es wieder ein sehr, sehr singendes Thema. Ich versuche, diese Klänge zu erforschen, als ob ich sie singen würde. Hoffentlich klingt es ein bisschen besser, als wenn ich sie tatsächlich singen würde.

Bratschist Timothy Ridout beim BRSO

Mit dem "Rhapsody-Concerto" von Bohuslav Martinů gibt der Bratschist Timothy Ridout sein BRSO-Debüt. BR-KLASSIK überträgt das Konzert aus dem Herkulessaal der Münchner Residenz am Freitag, 7. Juni 2024, ab 20 Uhr im Video-Livestream.

BR-KLASSIK: Singen Sie das Stück innerlich mit?

Timothy Ridout: In gewisser Weise singe ich wohl in meinem Kopf. Wenn ich mit einer Phrase nicht weiterkomme, dann singe ich sie oft laut. Bei Reisen im Zug oder im Flugzeug sitze ich wirklich oft mit einer Partitur da und singe sie einfach in meinem Kopf durch. Während ich tatsächlich spiele, wechselt das: Manchmal singe ich, manchmal fühlt es sich eher wie ein Tanz an und manchmal genieße ich einfach die Klänge des Orchesters - besonders mit diesem Orchester ist es wunderbar, den Saal und den Klang des Orchesters zu spüren und mittendrin zu sein.

Wenn ich mit einer Phrase nicht weiterkomme, dann singe ich sie oft laut.
Timothy Ridout

Erinnerungen an die Kindheit

BR-KLASSIK: Martinů geht in dem Stück zu seinen Wurzeln zurück, zu dem Ort, an dem er seine Kindheit verbracht hat. Bei Ihnen gibt es auch ein neues Leben in der Familie. Ist es für Sie besonders bewegend, dieses Stück gerade jetzt zu spielen?

Timothy Ridout: Ich habe auf jeden Fall viel über meine Kindheit nachgedacht, jetzt, wo ich selbst ein Kind großziehe. Da gibt es also definitiv eine Verbindung, wenn ich auf meine Kindheit und die wunderbaren Erinnerungen zurückblicke und darüber nachdenke, wie meine Eltern mich erzogen haben und wie ich mein Kind jetzt erziehen möchte. Das ist im Moment ein sehr großes Thema.

BR-KLASSIK: Bohuslav Martinů hatte eine sehr innige Beziehung zu seiner tschechischen Heimat. Seine Wurzeln waren ihm sehr wichtig, und das zeigt er auch in seiner Musik. Welche Beziehung haben Sie zu ihrer Heimat England?

Timothy Ridout | Bildquelle: © Jiyang Chen Der Bratschist Timothy Ridout liebt seine Heimat England, reist aber auch gern um die Welt. | Bildquelle: © Jiyang Chen Timothy Ridout: Seit ich 17 bin, verbringe ich wohl mehr Zeit außerhalb meines Heimatlandes als in ihm, obwohl ich dort wohne. Ich liebe London. Ich liebe England. Ich liebe die Landschaft und auch die wunderbare Architektur, die wir haben. Aber gleichzeitig erlebe ich auch gern die Welt, Europa und die Verbindung zwischen verschiedenen Ländern. Ich liebe es, Erfahrungen zu sammeln und so viele Orte zu sehen, wie ich kann. Und ich schätze mich glücklich, dass wir in einer Zeit leben, in der das Reisen im Allgemeinen so komfortabel und einfach ist. Ich betrachte England auch als Teil von Europa. Und diese Verbindung ist für mich sehr wichtig.

Ich liebe es, so viele Orte zu sehen, wie ich kann.
Timothy Ridout

Timothy Ridout spielt erstmals mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks

BR-KLASSIK: Sie haben gerade von wichtigen Erfahrungen gesprochen – das ist sicher auch eine: Ihr Debüt mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks und Sir Simon Rattle. Wie bereiten Sie sich auf so ein Debüt vor?

Timothy Ridout: Man könnte sagen, dass die Vorbereitungen für dieses Konzert schon vor langer Zeit begonnen haben, denn das Rhapsody-Concerto war tatsächlich das erste Konzert, das ich als 16-Jähriger mit einem Orchester gespielt habe. Mit dem Luton Youth Orchestra, dem Amateurorchester meiner Heimatstadt. Ich habe mich als Teenager in dieses Konzert verliebt und bin glücklich, dass ich es mehrmals gespielt habe. Außerdem habe ich es vor ein paar Jahren in Lausanne aufgenommen. In diesem Jahr habe ich es so oft wie möglich gespielt: Anfang des Jahres in Mailandt, auch in Norddeutschland und in der Türkei. Ich habe also viel Zeit damit verbracht, über die Musik nachzudenken und verschiedene Dinge auszuprobieren. So habe ich mich wirklich auf dieses Konzert mit dem BRSO gefreut. Ich fiebere schon lange darauf hin. Es ist wunderbar, in den Klang dieses unglaublichen Orchesters einzutauchen.

Es ist wunderbar, in den Klang dieses unglaublichen Orchesters einzutauchen.
Timothy Ridout über das BRSO

BR-KLASSIK: Was sind Sie für ein Typ – können Sie gut mit Druck umgehen, sind Sie noch nervös vor Auftritten wie dem in München?

Timothy Ridout: Das schwankt stark. Im Allgemeinen habe ich ein ruhiges Temperament, was die meisten Dinge im Leben angeht, auch wenn ich auf die Bühne gehe. Aber natürlich bin ich auch aufgeregt, besonders bei einem so wichtigen Debüt. Ich versuche so gut ich kann, diese Energie in einem positiven Sinne zu gestalten.

CD-Tipp

In einem beglückenden Doppel-Album widmet sich Timothy Ridout einem seiner großen Vorbilder: Dem Bratschisten Lionel Tertis, der aus der Viola ein glanzvolles Soloinstrument machte. Lesen Sie hier den Artikel.

BR-KLASSIK: Wie schnell merken Sie, ob es mit einem Orchester und dem Dirigenten passt?

Timothy Ridout: Mit Sir Simon und diesem Orchester war ich wirklich von der ersten Note an begeistert vom Klang und der Energie der Musik. Es ist immer ein Prozess, zueinander zu finden und sich wirklich auf dieselbe musikalische Linie zu begeben. Zum Glück haben wir dafür Proben, aber ich habe ein sehr gutes Gefühl dabei. Wir sind schon recht nah beieinander gestartet, definitiv von meiner Seite aus mit großer Bewunderung.

BR-KLASSIK: Ist es denn immer ein magischer Moment, wenn Sie den ersten Ton mit einem neuen Orchester spielen?

Timothy Ridout: Der magischste Moment ist für mich nicht unbedingt die erste Note. Aber innerhalb eines großen romantischen Konzerts gibt es oft diesen Moment, in dem das Orchester den Solisten quasi einhüllt, in dem man vom ersten Expositionsteil in den Tutti-Teil übergeht - das ist für mich ein magischer Moment.

Sendung: "Leporello" am 7. Juni 2024 ab 16:05 Uhr auf BR-KLASSIK

Kommentare (0)

Kommentieren ist nicht mehr möglich.
Zu diesem Inhalt gibt es noch keine Kommentare.

Mehr zum Thema

Neu bei BR-KLASSIK

    AV-Player