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Die besten Operninszenierungen 2019 Politisch, musikalisch, schrill

Uraufführungen, Seltengehörtes, aber auch Altbekanntes im neuen Gewand gab es im Opernjahr 2019. Diese Inszenierungen sind der BR-KLASSIK-Redaktion besonders im Gedächtnis geblieben. Außerdem: Drei Besonderheiten aus Bayern.

Bildquelle: W. Hösl

Was muss eine Operninszenierung im Jahr 2019 haben? Neben der musikalischen Qualität sollte sie besonders zum Denken und Diskutieren anregen, mit einer interessanten Interpretation ihrer Vorlage oder auch als spannende Uraufführung. Die BR-KLASSIK-Redaktion hat zehn Inszenierungen ausgewählt, die im Jahr 2019 besonders interessant waren – was nicht unbedingt bedeutet, dass sie in jeglicher Hinsicht überzeugt haben. Dazu kommen drei bemerkenswerte Premieren an bayerischen Opernhäusern. Es gibt keinen ersten Platz, sondern alle zehn stehen für sich; die Reihenfolge folgt der Chronologie der Premieren.

Black Lives Matter: La forza del destino

Bildquelle: Monika Rittershaus - Oper Frankfurt La forza del destino (Verdi/Piave/Ghislanzoni)
Oper Frankfurt
Premiere am 27. Januar 2019
Regie von Tobias Kratzer

Aus der Premierenkritik von Peter Jungblut: "Aber was ist das überhaupt, Schicksal? Rassismus zum Beispiel, sagte sich der Regisseur Tobias Kratzer, diese unheilvolle Mischung aus Dummheit, Hass und Gewalt, die einfach nicht tot zu kriegen ist. … Gerade weil viele Fragen offen blieben, erschien das Regiekonzept plausibel. … Wunderbar, wenn ein Opernabend so fesselnd ist und so viel Diskussionsstoff bietet."

Irre Politik in irrer Oper: Nixon in China

Bildquelle: Matthias Baus/Staatsoper Stuttgart Nixon in China (Adams/Goodman)
Staatsoper Stuttgart
Premiere am 7. April 2019
Regie von Marco Štorman

Aus der Premierenkritik von Peter Jungblut: "Herrlich treffend und ausgesprochen aktuell, was sich Regisseur Marco Štorman und sein Team da am Stuttgarter Staatstheater haben einfallen lassen. … Es ist eine so fulminante wie aberwitzige Revue auf einem revolutionären Blutmond, die Marco Štorman zeigt, ein bizarres Kräftemessen zwischen zwei Kerlen, die beide über dreieinhalb Stunden aneinander vorbei reden und sich dabei großartig fühlen. … Wahnsinn, diese Oper, triumphal diese Deutung."

Genreübergreifendes Klangbild: M – eine Stadt sucht einen Mörder

Bildquelle: Monika Rittershaus M – eine Stadt sucht einen Mörder (Eggert/Kosky/Lenz)
Komische Oper Berlin
Uraufführung am 5. Mai 2019
Regie von Barrie Kosky

Aus der Premierenkritik von Maria Ossowski: "Eggerts Einakter entzieht sich allen Musiktheaterschubladen. … Die neue Oper, die Mörderjagd, setzt Regisseur Barrie Kosky in starke Bühnenszenen um. Während das Orchester unter der Leitung von Ainars Rubikis mit Sängern des Consort Vocale, einem Tenor und einem Sopran im Orchestergraben die Klangbilder schafft, wandelt sich das Bühnengeschehen auf einem schmalen Steg. … "M – eine Stadt sucht einen Mörder" beweist, dass moderne Oper nicht anstrengen muss und unterhalten kann."

Gedankenexperiment mit musikalischem Hochgenuss: Salome

Bildquelle: © Wilfried Hösl Salome (Strauss/Wilde)
Staatsoper München
Premiere am 27. Juni 2019
Regie von Krzysztof Warlikowski

Aus der Premierenkritik von Bernhard Neuhoff: "An der guten Absicht des Regisseurs gibt es keinen Zweifel. Nur bleibt die ganze Holocaust-Geschichte völlig unverbunden mit der erotischen Obsession, von der die Oper erzählt. … Und so geht diese Inszenierung trotz ihrer assoziativen Raffinesse auf interessante Weise daneben. … Marlis Petersen … gestaltet schauspielerisch und stimmlich mit einer solchen Intensität, dass sie ganz selbstverständlich im Fokus steht – als Hauptfigur, bei der die Fäden zusammenlaufen, szenisch und musikalisch. Ein sinnlich starkes, unmittelbar überzeugendes Gegengewicht zur konzeptlastigen Regie."

Zeitgemäß trotz Retro-Look: Les Huguenots

Bildquelle: Semperoper Dresden/Ludwig Olah Les Huguenots (Meyerbeer/Scribe/Deschamps)
Semperoper Dresden
Premiere am 29. Juni 2019
Regie von Peter Konwitschny

Aus der Premierenkritik von Peter Jungblut: "Regisseur Peter Konwitschny zeigte das vierstündige, sehr groß besetzte Drama denn auch sehr klug als Studie über Fanatismus. Dabei verzichtete er überraschend, aber konsequent auf jegliche optische Aktualisierung – … diese Ausstattung könnte auch aus Amerika kommen, doch die Personenregie ist überlegt, sorgfältig, stimmig und absolut authentisch, bis hin zum fachgerechten Munitionieren einer Vorderlader-Pistole. … Eine zeitgemäße Deutung der "Hugenotten" im Retro-Look von Plüsch und Samt. Jedenfalls verstörender als Polyester und Acryl."

Virtuose Selbstparodie: Tannhäuser und der Sängerkrieg auf der Wartburg

Bildquelle: Enrico Nawrath Tannhäuser und der Sängerkrieg auf der Wartburg (Wagner)
Bayreuther Festspiele
Premiere am 25. Juli 2019
Regie von Tobias Kratzer

Aus der Premierenkritik von Bernhard Neuhoff: "Das eigentliche Kunststück dabei ist, dass all die Pointen nicht auf Kosten des Werkes gehen. Tobias Kratzer will sich nicht über Wagner mokieren, sondern seine mythisch entrückten Figuren möglichst wirkungsvoll vermenschlichen. Und vor allem lässt er - ganz im Sinne des Grundkonflikts, den der Sängerkrieg verhandelt - zwei Formen von Kunst aufeinanderprallen: Auf der einen Seite die Welt der kanonischen Meisterwerke und der edlen Klassikerausgaben – auf der anderen Seite die sinnliche, spontane Welt der Performance und der Gegenkultur. … Eine starke Deutung, theaterwirksam, tragikomisch und beziehungsreich."

Zeitlose Bilder: Œdipe

Bildquelle: Monika Rittershaus / Salzburger Festpiele Œdipe (Enescu/Fleg)
Salzburger Festspiele
Premiere am 11. August 2019
Regie von Achim Freyer

Aus der Premierenkritik von Meret Forster: "Überdimensionierte Tiere, Puppen, Symbole und farbenfrohe Phantasiewesen konterkarieren plakative Eindeutigkeit. … Es geht weniger um konkrete Handlung als vielmehr um Innenwelten und archaische Zustände. … Mit dieser Neuinszenierung wird nicht nur Salzburger Festspielgeschichte mit unvergesslichen Opernproduktionen in der Felsenreitschule fortgeschrieben, sondern gezeigt, wie sehr es sich lohnt, George Enescus einziges Bühnenwerk zu Gehör zu bringen. Achim Freyers überbordende Bildsprache mag punktuell fragwürdig scheinen, in sich schlüssig ist diese Inszenierung allemal. Emotional und nachhaltig aufwühlend bleibt die Musik."

Dem Mythos an den Kragen: Orphée aux enfers

Bildquelle: SF/Monika Rittershaus Orphée aux enfers (Offenbach/Halévy/Crémieux)
Salzburger Festspiele
Premiere am 14. August 2019
Regie von Barrie Kosky

Aus der Premierenkritik von Franziska Stürz: "Schrill, überdreht, atemlos geht es meist auf der Bühne zu, aber immer punktgenau und im Takt zu den von Enrique Mazzola federnd, flexibel und brillant zum Klingen gebrachten Wiener Philharmonikern. … Koskies Orphée entfaltet sogartig die dem Werk zugrundeliegende Zerstörungslust an den hehren Mythen und auch musikalisch geht es Monteverdi und Gluck an den Kragen. Das Haus für Mozart wird gerockt, und der Großteil des Publikums hat höllisch Spaß bei der Sache."

Gesellschaftskritik mit Riechorgan: Die Nase

Bildquelle: Arno Declair Die Nase (Schostakowitsch/Samjatin/Ionin/Preis)
Staatsoper Hamburg
Premiere am 7. September 2019
Regie von Karin Beier

Aus der Premierenkritik von Peter Jungblut: "Das ist überzeugend hysterisch und abgedreht und wird dieser Zeit-Oper gerecht, denn Gesellschaftskritik muss tagesaktuell sein, wenn sie treffen soll. Regisseurin Karin Beier … begnügt sich auch nicht mit einer Stalinismus-Groteske. Immer wieder hebt der Mob den rechten Arm zum sogenannten "deutschen Gruß", die Diktaturen funktionieren ja alle gleich. … Die Solisten begeisterten, … sie alle sind Karikaturen ihrer selbst, aber dabei glaubwürdig, ehrlich bis zur Schmerzgrenze. Insgesamt ein beachtlicher Saisonauftakt an der Hamburgischen Staatsoper …"

Wenn die Musik verführt: Die Tote Stadt

Bildquelle: W. Hösl Die Tote Stadt (E. W. Korngold/J. Korngold)
Staatsoper München
Premiere am 18. November 2019
Regie von Simon Stone

Aus der Premierenkritik von Bernhard Neuhoff: "Aber Korngolds Musik klingt so verführerisch an diesem Abend, dass man auch den von ihm selbst geschriebenen Text willig runterschluckt. Zumal Simon Stone spielfreudig und recht konsequent die Geschichte einer scheiternden Beziehung erzählt. … Dann gewinnt auch die etwas krude Handlung Aktualität – wie wir mit Trauer umgehen und den Tod eines geliebten Menschen verarbeiten, das sind ja Fragen, die jedem unter die Haut gehen. … Weit mehr noch als das Bühnengeschehen tut das die Musik. Kirill Petrenko macht aus diesem Abend ein flammendes Plädoyer für Korngold. … – unbedingt hörenswert."

Drei besondere Inszenierungen aus Bayern:

Bildquelle: ©Jochen Quast Elizabetta (G. Prokofiev/Pountney)
Theater Regensburg
Uraufführung am 26. Januar 2019
Regie von Marcus Lobbes

Aus der Premierenkritik von Peter Jungblut: "Auf die Idee können wohl nur Engländer kommen: Eine ganze Oper überwiegend in der Sauna, im Fetisch-Keller und im Fernsehstudio spielen zu lassen. Hört sich schräg an und ist es auch: Typisch britischer Humor. … Komponist Gabriel Prokofiev, ein Enkel des berühmten russischen Namensvetters … vertonte dieses wilde und aberwitzige Gleichnis um Todesangst und Fitness-Wahn überhaupt ausgesprochen sarkastisch. … Ein herrlicher Trip durch die total verrückte Body-, Styling- und Medien-Welt mit all ihren Optimierungsverlogenheiten."

Bildquelle: (c) Nik Schölzel Götterdämmerung (Wagner)
Mainfrankentheater Würzburg
Premiere am 26. Mai 2019
Regie von Tomo Sugao

Aus der Premierenkritik von Peter Jungblut: "Ja, diese Deutung ist bildstark, plausibel, zeitlos, handwerklich meist gut gemacht und war insgesamt ein großer Erfolg. … Etwas weniger zeremonielle Breite und mehr zupackender Gestaltungswille hätten den Abend noch überzeugender gemacht. Aber auch so war es eine sehr beachtliche Gesamtleistung, nicht zuletzt durch die viel beschäftigten Statisten und den ungewöhnlich stark präsenten Chor."

Bildquelle: © Jan-Pieter Fuhr Ariadne auf Naxos (Strauss/Hofmannsthal)
Staatstheater Augsburg
Premiere am 29. September 2019
Regie von Dirk Schmeding

Aus der Premierenkritik von Uwe Friedrich: "Hier vermischt Dirk Schmeding … mit dem sehr spielfreudigen Augsburger Ensemble hochvirtuos die Spiel-, Handlungs- und Zeitebenen. … Die Ebenen wechseln schnell, jeder Zuschauer kann, darf und soll für sich entscheiden, wie er das Geschehen deuten will. Das funktioniert auch deshalb wie ein Vexierbild, weil alle Sängerinnen und Sänger ihre Rollen szenisch in der Schwebe halten können, während sie genau fokussiert musizieren."