Auf allen Plätzen der Altstadt swingt und groovt es – und Besucherscharen lassen sich von Spielort zu Spielort treiben. 30 000 bis 50 000 Besucher kommen jedes Jahr beim Bayerischen Jazzweekend Regensburg auf die Beine: Viele Jazzfarben bei freiem Eintritt – mit hochkarätigen Gruppen. Jetzt, vom 13. bis zum 16. Juli, findet das musikalische Stadtfest zum 42. Mal statt.
Bildquelle: BR, Marcel Kehrer
Die Lust, sich dem Zufall zu überlassen. Der Laune des Augenblicks. Und dabei historische Plätze und aktuelle Töne zu genießen. Das ist der besondere Reiz des jedes Jahr im Juli stattfindenden Bayerischen Jazzweekends Regensburg. "Ein Fest, kein Festival", hieß früher der Slogan, und er trifft immer noch zu: Diese Veranstaltung versteht sich eher als Bürgerfest denn als Musikfestival. An 14 Spielorten finden diesmal 105 Konzerte statt – ein buntes Programm. Den Anfang macht gleich am Donnerstabend die hochkarätige Big Band der Münchner Gitarristin, Sängerin und Komponistin Monika Roscher – um 17.30 Uhr im Gewerbepark Regensburg. Wer dieses Konzert eines herausragenden Groß-Ensembles der heutigen Szene – siehe BR-Klassik-Jazz-Album des Monats Mai 2023 – verpasst, kann diese Big Band am Freitag um 20.30 Uhr auf dem Haidplatz mitten im Herzen Regensburgs erleben.
Für den Donnerstagabend steht unter anderem noch ein spannendes zehnköpfiges Ensemble unter dem unaussprechlichen Namen "SH4iKH 9 extended" auf dem Programm (19 Uhr, Gewerbepark). Diese Gruppe aus Frankfurt und Köln mischt komplexen aktuellen Jazz mit der Singer-Songwriter-Ästhetik der österreichischen Sängerin Veronika Morscher. Leiter und Gründer der Band ist der Saxophonist Maximilian Shaikh-Yousef. Auch diese Gruppe wird noch einmal zu erleben sein: am Freitag um 18 Uhr im Innenhof des historischen Thon-Dittmer-Palais.
Thon-Dittmer-Hof in Regensburg beim Konzert der britischen Saxophonistin Josephine Davies | Bildquelle: Roland Spiegel
Mal hier, mal dort ein paar Takte aufschnappen, sich nach Lust und Laune treiben lassen von locker swingendem Jazz und bluesigen Sounds zu modernen und experimentellen Klängen, dann wieder folkigen und zu weltmusikalisch geweiteten Tönen: Das kann man an dem verlängerten Wochenende in Regensburg nach Herzenslust. Viele Musikfans werden dort etwas Passendes finden – und wer will, kann sich auch mal für ein komplettes Konzert niederlassen. Besonders gute Gelegenheiten zum ruhigen, sich versenkenden Hören bieten die zehn Konzerte im Thon-Dittmer-Hof. Dieser historische Innenhof mit Arkadengängen und einer Theaterbühne ermöglicht konzentriertes und fast ungestörtes Zuhören (nur selten weht vom nahegelegenen Haidplatz ein Soundfetzen herüber). Die Konzerte dort zeichnet die BR-Klassik-Jazzredaktion jedes Jahr auf, und die beiden Jazzmoderatoren Ssirus W. Pakzad und Roland Spiegel sind auch an der Auswahl der dort spielenden Bands beteiligt. Am Freitagabend kann man dort etwa das sehr groovende Sketchbook Quartet aus Wien hören: Mit Bassklarinette, Tenorsaxophon, E-Gitarre und Schlagzeug zaubert dieses junge Ensemble Musik mit vorwärtstreibender Energie und viel Detailwitz.
Ebenfalls aus Österreich kommt zum Bayerischen Jazzweekend am Sonntagabend ein spannendes Ensemble: die 17-köpfige Formation Orjazztra Vienna. Der Name Orjazztra, zusammengezogen aus "Orchestra" und "Jazz" steht für sich: Denn das ist keine herkömmliche Big Band, sondern fast im klassischen Sinn ein Orchester. Der Posaunist und Pianist Christian Muthspiel, der sich aber inzwischen ganz aufs Komponieren verlegt hat, schreibt für das Orjazztra komplexe und packende Stücke, in die er spannende und oft auch raumgreifende Solo-Inseln für die jungen Musikerinnen und Musiker einbaut. Muthspiel ist inzwischen sechzig Jahre alt, aber die Mitspielenden kommen im Durchschnitt nur auf die Hälfte der Jahre – sie sind herausragende junge Jazz-Kräfte Österreichs, wie etwa Schlagzeugerin Judith Schwarz, Bassistin Judith Ferstl, Pianistin Viola Hammer, die Saxophonistinnen Ilse Riedler und Yvonne Moriel, Posaunist Alois Eberl und Trompeter Dominik Fuss. "Melodia della Strada" heißt das aktuelle Programm: eine Suite, die den Filmen Federico Fellinis gewidmet ist, ohne aber auf die Filmmusiken von Nino Rota zurückzugreifen; Christian Muthspiel wollte stattdessen mit eigenen Melodien die Stimmung dieser Filme zu Klang werden lassen.
Schlagzeuger Gerwin Eisenhauer: Stammgast beim Jazzweekend | Bildquelle: Bayerisches Jazzinstitut
An anderen Orten werden unter anderem Musikerinnen und Musiker der Regensburger Partnerstädte Budapest, Clermont-Ferrand und Aberdeen zu erleben sein. Für ganz spezielle Augenblicke dürfte der Schlagzeuger Gerwin Eisenhauer sorgen, ein Regensburger Urgestein, der beim Jazzweekend als "Artist in Residence" verschiedene Begegnungen mit anderen Künstlern anzetteln wird. Besonders interessant dürfte sein gemeinsames Projekt mit Wolfgang Flür werden, dem Schlagzeuger und einstigen Mitglied des deutschen Elektroniksound-Weltexports "Kraftwerk". Am Samstag treffen die beiden im Jazzclub im Leeren Beutel aufeinander – und dürften mit synthetischen und handfesten Rhythmen und Klängen sowie mit dem lustvoll ausgekosteten Reiz der Annäherung für unwiederholbare Momente sorgen.