Unser Sende-Format "Hören wir Gutes und reden darüber" wurde 2022 in der Kategorie "Beste Sendung" mit dem Deutschen Radiopreis ausgezeichnet. Zu ausgewählten Terminen überraschen wir uns mit Album-Klassikern des Jazz.
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"Hören wir Classics und reden darüber" hier zum Nachhören.
In dieser Sendung haben sich Beate Sampson, Roland Spiegel und Ulrich Habersetzer zum neununddreißigsten Mal gegenseitig mit Alben überrascht: Niemand wusste vorher, was die jeweils anderen mitbringen würden. Über folgende drei Album-Klassiker des Jazz wurde in der Sendung gesprochen.
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Es gibt Partys, bei denen wäre man sehr gerne gewesen. So eine fand wohl am 24. Januar 1980 im "Tonstudio West" statt. Vielleicht war das aber auch ein Wohnzimmer irgendwo in Aachen, wer weiß, die Datenlage ist undurchsichtig.
Die Musik aber war absolut mitreißend, das kann man auf dem Album "Sophisticated Lady" hören. Das Klavier ist verstimmt, die Begleiter nicht unbedingt Weltklasse, aber die Stimmung war überragend und die Solistin ebenso: Dorothy Donegan, Jahrgang 1924 aus Chicago, klassisch geschulte Klaviervirtuosin. Sie brilliert auf diesem Album und den wenigen anderen Alben, die von ihr erschienen sind, mit einer überbordenden und exaltierten Tastenkunst. Donegan war ein herausragendes Talent zwischen Klassik und Jazz, baute Rachmaninow in Ragtime-Stücke ein und liebte es bekannte Themen auf abenteuerliche Art in Medleys zu kombinieren. Die Live-Aufnahme "Sophisticated Lady" ist alles andere als glatt und perfekt, hat aber unwiderstehlichen Charme und hier kann man eine Künstlerin kennenlernen, die unterschätzt und heute weitgehend unbekannt ist, die aber zu den großen Persönlichkeiten der Jazzgeschichte gezählt werden sollte. Dorothy Donegan gehört in jede gutsortierte Plattensammlung.
Bildquelle: RCA Records Die Eleganz seines Tons hat den Sound des Dave Brubeck Quartets veredelt. Dessen bekanntesten Hit hat er auch komponiert: "Take Five". Unvergänglich gut. Für viele Menschen ein Synonym für Jazz. Der Mann hinter dem Sound und dem Song - das war der Altsaxophonist Paul Desmond. Am 25. November 1924 in Kalifornien zur Welt gekommen als Sohn der Familie Breitenfeld und auf den Namen Paul Emil getauft. Väterlicherseits stammten die Breitenfelds aus Böhmen, und bis ins 18.Jahrhundert zurück reicht die Auflistung der Musiker darin. Paul Emil wurde als Paul Desmond der mit Sicherheit bekannteste im Familienstammbaum. Während seiner Zeit als festes Mitglied in der Band von Dave Brubeck - sie währte von 1951 bis 1967 - brachte Paul Desmond auch eine ganze Reihe spannender, eigener Formationen an den Start. Als musikalisch besonders ertragreich erwies sich dabei seine Allianz mit dem, einige Jahre jüngeren Gitarristen Jim Hall. Beide pflegten einen weichen und geschmeidigen Tonfall. Zärtlich und luftig klang, was sie spielten, aber nie kitschig, denn ihren Melodieführungen und Akkordfortschreitungen legten sie eine bestechende harmonische Logik zugrunde. Ihnen zuzuhören, ist wie einem kultivierten, geistreichen und wortwitzigen Gespräch zu folgen. Paul Desmond verglich seinen Sound mit einem Drink, den man dabei zu sich nehmen könnte. Er wolle so klingen wie ein trockener Martini schmeckt, hat der Lebemann mit literarischer Neigung einmal gesagt. "Easy Living" heißt die im Jahr 2000 erschienene CD mit Aufnahmen aus den Jahren 1963 bis 1965, die das immer noch wirksame, also durchaus zeitlose Flair jener Tage der Cocktailpartys verströmen, wenn Paul Desmond mit Jim Hall, den Bassisten Gene Cherico und Percy Heath im Wechsel, und dem Schlagzeuger Connie Kay die großen Jazzklassiker aus dem Great American Songbook spielt.
Bildquelle: Enja Records Die Interpretation des Beatles-Stücks „Yellow Submarine“ könnte exemplarisch fürs Ganze stehen: Fast wie ein Free-Jazz-Stück, mit wildem Wiehern und Rumoren, beginnt es. Und dann formt sich allmählich ein swingender Rhythmus heraus, mit gestochen scharfen Akzenten und quirlig vorwärtstreibendem Schlagzeug. Der Schweizer Trompeter Franco Ambrosetti veröffentlichte 1986 ein Album, das er schlicht „Movies“ nannte. Hommagen an Filme mit Melodien aus sehr unterschiedlichen Kino-Erfolgen enthielt es. Ambrosetti, damals Musiker im Nebenberuf und hauptberuflich Industrieller, leistete sich dabei eine enorm starke, europäisch-amerikanische Besetzung. Klavier: Geri Allen. Gitarre: John Scorield. Bass: Michael Formanek, Schlagzeug: Daniel Humair. Percussion: Jerry Gonzalez. Eine höchst inspirierte Band lässt hier mit acht Stücken die Funken stieben: Von „Der blaue Engel“ („Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt“, Musik: Friedrich Hollaender) bis „Die glorreichen Sieben“ (Musik: Elmer Bernstein) und eben dem Beatles-Zeichentrickfilm „Yellow Submarine“ reichen die Quellen. Durchweg sind die Arrangements überraschungsreich und die Soli Spitzenklasse. Kein Wunder, wenn Top-Solisten wie etwa die Pianistin Geri Allen und Gitarrist John Scofield dabei sind! Und ein Solist wie der Leader! Franco Ambrosetti, geboren 1941 in Lugano, gewann 1966 den 1. Platz eines internationalen Wettbewerbs in Wien. Hinter ihm zwei weitere spätere Weltspitzen-Trompeter: Randy Brecker und Claudio Roditi. Seit dem Jahr 2000 hat der Bandleader Franco Ambrosetti übrigens mehr Zeit für die Musik: Damals verkaufte er sein Unternehmen. Dem Jazz blieb er immer treu.