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NEUE JAZZ-ALBEN, VORGESTELLT IM GESPRÄCH - Vol. 37 Hören wir Gutes und reden darüber!

Beate Sampson, Roland Spiegel und Ulrich Habersetzer überraschen sich und Sie mit aktuellen Jazzalben. Dieses Format wurde mit dem Deutschen Radiopreis 2022 als "Beste Sendung" ausgezeichnet. Hier ist die 37. Ausgabe von "Hören wir Gutes und reden darüber". Eine Sendung von BR-KLASSIK im ARD Radiofestival Jazz.

Cover - Reinier Baas & Ben van Gelder: This is Water | Bildquelle: Doyoumind?Records

Bildquelle: Doyoumind?Records

"Hören wir Gutes und reden darüber, Vol. 37".
In dieser Sendung des ARD Radiofestival Jazz haben sich Beate Sampson, Roland Spiegel und Ulrich Habersetzer zum siebenunddreißigsten Mal gegenseitig mit Alben überrascht: Niemand wusste vorher, was die jeweils anderen mitbringen würden. Über folgende drei Alben wurde in der Sendung gesprochen.

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Reinier Baas & Ben van Gelder: "This is water" (DYM?R)

Das ist Musik, die sofort gefangen nimmt. Sie ist im selben Moment kraftvoll und filigran, rau und zärtlich. Ein pochender Groove swingt, während Klänge wie Honig ins Ohr geträufelt werden. Es ist eine einzigartige, ganz und gar eigene Ästhetik des Zusammenspiels, die der E-Gitarrist Reinier Baas und der Altsaxophonist Ben van Gelder entwickelt haben. Hier greifen und fließen das Hochpoetische und das Handfeste permanent ineinander. Jeder Ton ist spannend und ungeheuer vital - ob in flirrenden Saxophon-Kaskaden oder in repetitiven Rhythmuspatterns von der Gitarre. Die beiden niederländischen Musiker - Mitte/Ende der 80er Jahre sind sie geboren - arbeiten seit 15 Jahren in unterschiedlichen Kontexten zusammen. Für ihr drittes Duo-Album haben sie elf Stücke komponiert und zu vier davon Gäste eingeladen: die Drummer Jeff Ballard und Han Bennink, sowie Cory Smythe und Marta Warelis am Piano. Der Albumtitel "This is water" bezieht sich auf eine legendäre Rede, die der amerikanische Schriftsteller David Foster Wallace, der 1996 mit seinem ersten Buch "The Infinite Jest" zum Star der Literaturszene geworden ist, 2005 vor dem Abschluss-Jahrgang des Kenyon College gehalten hat. Den ermutigte er dazu, die "Standard-Einstellung" des Denkens hinter sich zu lassen und eine neue, auf ganz friedlich anteilnehmende Weise befreiende Interpretation der Realität zu wagen. Das klingt inspirierend und passt gut zur positiven Power des musikalischen "Gegen-den-Strom-Schwimmens" von Reinier Baas und Ben van Gelder.

Lucian Ban & Mat Maneri: "Transylvanian Dance" (ECM)

Cover: Lucian Ban & Mat Maneri: Transylvanian Dance | Bildquelle: ECM Records Bildquelle: ECM Records Schillernde Musik von besonders eigentümlicher Schönheit: Es ist improvisierte Musik mit Klavier und Bratsche. Die Instrumentalisten sind der 1969 geborene rumänische Pianist Lucian Ban, ein in Bukarest ausgebildeter Musiker, der seit 1999 in New York City lebt, und der amerikanische Viola-Spieler Mat Maneri, ebenfalls 1969 geboren und nicht zuletzt am Free Jazz von Kolleg:innen wie Marilyn Crispell und Cecil Taylor geschult. Seit 2009 spielen Ban und Maneri zusammen und lassen sich seit ihrem Duo-Debüt von rumänischer Volksmusik inspirieren. Auf "Transylvanian Dance" - ihrer zweiten Veröffentlichung auf dem in München ansässigen Label ECM - greifen sie auf Stücke zurück, die im frühen zwanzigsten Jahrhundert der ungarische Komponist Béla Bartók in Siebenbürgen (Transsylvanien) gesammelt hat. Bartók reiste damals durch verschiedene Regionen und nahm mit einem Phonographen (einem frühen Schallspeichergerät mit rotierender Walze) Tondokumente auf. Lucian Ban halten sich in ihren Interpretationen nicht an Bartóksche Kompositionen über dem Volksmusik-Material (wie etwa den "Rumänischen Volkstänzen" (1915 für Klavier und 1917 für Orchester), sondern an die jeweiligen Ausgangsstücke. Was dabei entsteht, ist faszinierende Jazz-Kammermusik. In Stücken wie "Romanian Folk Dance" - basierend auf dem Stück, aus dem Bartók seinen sehr berühmten "Stabtanz" machte - durchwirken die beiden Jazzmusiker ihre Interpretationen von Anfang an mit Improvisation, so dass sich ihr Jazz manchmal erst nach und nach dem Ausgangsmaterial annähert. Zuhörende können dadurch umso gespannter auf Entdeckungsreise gehen. Denn zu erleben ist hier eine Musik voller Nuancen. Wie aus dem Nichts formen sich Melodien und Rhythmen. Die Bratsche "singt" wie eine archaische Stimme, zu deren natürlichem Ausdruck immer wieder auch mikrotonale Wirkungen gehören; sie kostet dabei stark ihre Tiefen aus, jubiliert aber auch in schillernden Flageoletts; das Klavier schafft kantig-rhythmische Bodenhaftung und steuert perkussiv-luftige Antwortphrasen bei. Zauberhaft beseelt klingen die Dialoge - nicht zuletzt in einem so ergreifend zarten Stück wie "Lover Mine Of Long Ago". Musik, die Räume und Zeiten öffnet, zum Eintauchen in die Geschichte und ins Jetzt.

Catherine Russell & Sean Mason: "My Ideal" (Dot Time Records)

Cover - Catherine Russell & Sean Mason: My Ideal | Bildquelle: Dot Time Records Bildquelle: Dot Time Records "Ich habe niemanden, der mir in der Früh meinen Kaffee mahlt!" Was für ein Schicksal! Wenn Catherine Russell die Worte des fast hundert Jahre alten Jazzklassikers "Ain’t got nobody to grind my coffee" singt, dann erzählt sie augenzwinkernd-ironisch die Story des Songs, die so lustvoll, so leicht, dabei unendlich swingend und lässig daherkommt, dass man sich dieser Musik einfach nicht entziehen kann. Sängerin Catherine Russell wird auf ihrem neuen Album "My Ideal" nicht von einer Band begleitet, sondern nur von Pianist Sean Mason. Er, Jahrgang 1998, und sie Jahrgang 1956, sind ein absolutes Dreamteam. Mason, als Pianist aus einer ganz anderen Generation, kann angstfrei authentisch an die Oldtime-Jazzkompositionen und Soulstücke auf dem Album herangehen. Er kostet genüsslich aus, was wohl Pianisten früherer Generationen als Klischee empfunden hätten. Catherine Russell zeigt ihre tiefe Verwurzelung im Jazz: Ihre Mutter Carline Ray war als Bassistin und Sängerin aktiv, unter anderem in der Band von Pianist Mary Lou Williams, ihr Vater Luis Russell war lange Jahre Pianist in der Band von Louis Armstrong. Catherine Russell brauchte allerdings ein bisschen um den Jazz wirklich als ihre Musik zu entdecken, ihr erstes Album als Bandleaderin veröffentlichte sie mit 50 Jahren. Zuvor war sie aber als Backgroundsängerin für David Bowie, die Band Steely Dan oder Cindy Lauper tätig. Diese Soul- und Popsozialisation auf höchstem Niveau spürt man in jeder Note von Russell, aber auch die Liebe zum Jazz. Alles in allem hat "My Ideal" ein ganz einfaches Rezept: Herrliche Songs werden von einer großartigen Sängerin und einem lässig-subtilen Pianisten interpretiert - mehr braucht es nicht zum absoluten Jazz-Glück!

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