Jeder Böhme ein Musikant – so heißt ein altes Sprichwort, und Antonin Dvořák scheint der Beweis zu sein für die urwüchsige Musikalität der Tschechen. Der Sohn eines Dorfmetzgers lernte als Junge nicht nur, wie man Schafe und Ochsen kauft, schlachtet und fachgerecht abhäutet, sondern auch, wie man Geige spielt. Sofort fiedelte er in der Dorfkapelle mit, er arbeitete sich hoch als Orchesterbratscher – und wurde zu einem der berühmtesten Komponisten seiner Zeit.
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Dvořák, der Erzmusikant, unreflektiert, gefühlvoll und immer sprudelnd vor Melodien: So haben ihn schon die Zeitgenossen gesehen. Zum Beispiel Eduard Hanslick, der Kritikerpapst im Wien des 19. Jahrhunderts: "Naivität heißt der scheinbar so harmlose, in Wahrheit so mächtige Zauber, welcher diesem Komponisten innewohnt. Freuen wir uns, in unserer reflectierten Zeit noch einem naiv empfindenden, fröhlich schaffenden Talent wie Dvořák zu begegnen!"
Auch mit seiner Biographie scheint Dvořák dieses hartnäckige Klischee vom böhmischen Musikanten zu bestätigen. Trotz seiner Erfolge blieb er nach außen hin immer ganz der bescheidene, gutmütige, treusorgende Familienvater. Der einzige Spleen, den er sich leistete, war seine Begeisterung für Dampflokomotiven: Wenn er sich vom Komponieren erholen wollte, ging er zum Bahnhof, um mit Lokomotivführern zu fachsimpeln. Ansonsten: keine Eskapaden, keine Exzentrik, keine literarischen Ambitionen. "Über dem Schreibtisch habe ich ein Bild von Papa Beethoven hängen, auf welches ich oft beim Komponieren blicke, damit er im Himmel ein gutes Wort für mich einlegt." So schreibt er, ansonsten vertraut er darauf: "Der liebe Gott wird mir schon auch einige Melodien zuflüstern."
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Ich finde, die Symphonie besitzt eine sehr reichhaltige und gleichzeitig schöne Struktur.
Iván Fischer | Bildquelle: Marco Borggreve Ein komponierender Naturbursche? Unsinn. Wer einen andern Dvořák kennen lernen will, muss nur die Siebte Symphonie in d-Moll hören. Herb und melancholisch wirkt diese Musik, dabei kompakt und streng. Keine überflüssige Note gibt es hier, jedes Motiv wird durchgearbeitet, jede Nebenstimme hat etwas zu sagen. Keine Frage: Das ist keine gemütliche Schrammelmusik aus der böhmischen Dorfschänke, sondern hochkonzentrierte Symphonik aus dem Geist von Beethoven und Brahms. Für Iván Fischer ist es ganz einfach Dvořáks beste Symphonie – die Neunte mit ihrer "Neuen Welt" hin oder her. "Es ist eine reiche Symphonie", begeistert sich der Dirigent. "Da gibt es so eine Vielfalt von Emotionen und Charakteren – dunkle Passagen wechseln plötzlich ab mit gemütlichen und oder auch jovialen Stellen. Ich finde, das ist eine sehr reichhaltige und gleichzeitig schöne Struktur." Naiv ist diese Musik ganz und gar nicht – aber inspiriert in jeder Note. Wie Iván Fischer es formuliert: "Der Dvořák ist erst traurig, dann lustig, dann wild, dann wieder gemütlich."
Einen schönen Gedanken zu haben ist nichts Besonderes.
Der liebe Gott hat ihm also tatsächlich ein paar Melodien zugeflüstert, aber damit hat es Dvořák nicht bewenden lassen. Seinen Schülern schärfte er ein: "Einen schönen Gedanken zu haben ist nichts Besonderes. Der Einfall kommt von selbst und wenn er schön ist, dann ist das nicht das Verdienst des Menschen. Aber den Gedanken gut auszuführen und etwas Großes aus ihm zu schaffen, das ist das Schwerste, das ist – Kunst!"
Tatsächlich wollte Dvořák mit seiner 7. Symphonie beweisen, dass er weit mehr zu bieten hatte als stimmungsvolles Lokalkolorit. "Meine Symphonie soll so ausfallen, dass sie die Welt bewegt" – nichts weniger! Am 22. April 1885 wird die Siebte in London uraufgeführt – und bejubelt. "Ich kann gar nicht sagen, wie sehr mich die Engländer ehren! Überall wird über mich geschrieben und man sagt, ich sei der Löwe der heurigen Musiksaison in London."
Dvořáks Wirkung war von Anfang an international. Die Briten, die Amerikaner, vor allem aber die Deutschen und Österreicher verstanden seine Musik unmittelbar. Denn ihr Geheimnis ist nicht die angebliche Naivität des böhmischen Erzmusikanten, sondern eine gelungene Mischung, eine gewagte Synthese. Auch in der Siebten Symphonie lässt er sich von der großen Tradition der deutsch-österreichischen Symphonik mindestens ebenso inspirieren wie von der tschechischen Volksmusik. So gesehen war Dvořák weit mehr als ein böhmischer Musikant: Er war, ohne dass er groß darüber nachgedacht hätte, ein guter Europäer.
Antonín Dvořák:
Symphonie Nr. 7 d-Moll, op. 70
Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks
Dirigent: Iván Fischer
Eigenproduktion
Sendung: "Das starke Stück" am 09. Januar 2024, 19.05 Uhr auf BR-KLASSIK