29. November 1719. Bisher war es Domenico Scarlatti in seiner Heimat Italien nie wirklich gelungen, aus dem Schatten seines Vaters herauszutreten. Da kommt ihm der Ruf des portugiesischen Königs gerade recht. Er beginnt in Lissabon ein neues Leben.
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"Hier, beschließt Scarlatti, befindet sich die tiefste Stelle des Meeres. Er kauert mittschiffs, vom Mondlicht erhellt, auf den Planken des Seglers, neben sich einen Stapel schwerer, in Leder gebundener Partituren. Einen Band nach dem anderen schiebt er unter der Reling hindurch über Bord."
Ob Domenico Scarlatti wirklich jemals seine Opernpartituren im Meer versenkt hat, wie es Reinhard Febel in seinem Roman "Klang des Verbotenen" imaginiert? Jedenfalls hat er, als sein Schiff an diesem Herbsttag in Lissabon ankommt, dem Reich der Primadonnen und Kastraten gerade den Rücken gekehrt. Einem Reich, in dem sein Vater Alessandro der ungekrönte König ist.
"Mein Sohn Domenico ist ein Adler, dem die Schwingen gewachsen sind, und ich darf seinen Flug nicht hindern", hatte Alessandro Scarlatti gesagt. Und doch war es Domenico in seiner Heimat Italien nie wirklich gelungen, flügge zu werden. Selbst als Kapellmeister am Petersdom blieb er der brave Sohn eines weltberühmten Vaters. Der Komponist ziemlich mittelmäßiger Opern und Kantaten. Da kommt ihm der Ruf des portugiesischen Königs gerade recht. Bloß weg aus Italien! Weg aus dem Schatten des Vaters! Auch wenn er dafür ans äußerste Ende Europas muss!
Als Domenico Scarlatti in Lissabon ankommt, wird er schon sehnlichst erwartet. Sofort darf er sein Können auf dem Cembalo demonstrieren, und als er eine Arie singt, begleitet ihn keine Geringere als die Königin selbst. Hier ist er nicht mehr nur die Nummer zwei. Hier gibt es auch kein lästiges Opernhaus. Aber eine junge Prinzessin, die sich auf ihren neuen Cembalolehrer freut. Die kleinen Übungsstücke, die Domenico Scarlatti in den nächsten Jahren, ja Jahrzehnten für sie schreibt - sie werden ihn zu einem der ganz Großen der Musikgeschichte machen. Und die Opern? "Die Opern ruhen jetzt auf dem Meeresgrund, ja, dort gehören sie auch hin, einige Bände wohl schon zerfallen, andere halten vielleicht noch eine Weile zusammen, schlängeln aufgeschlagen in der Strömung wie Seeanemonen. Ein schönes Grab für Musik."
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Fazıl Say plays Scarlatti: Sonata in F minor K. 466
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Sendung: "Allegro" am 29. November 2023 ab 06:05 Uhr auf BR-KLASSIK