Saarlouis, 15. Dezember 1924. Esther Bejarano kommt zur Welt. Damals heißt sie noch Loewy. Aber unter den Namen Esther Bejarano wird die Musikerin, die Aktivistin, und Rapperin berühmt. Erst mal aber singt sie nur und spielt Klavier.
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Als Tochter eines jüdischen Kantors wächst Esther im Vertrauen auf, dass es nicht nur die Stimme zu Gott über das Gebet gibt. Sondern eine weitere Stimme allein über Musik. Vielleicht ist es genau dieser Glaube, der ihr dabei hilft im KZ zu lügen. Sie tut das, als die SS in Auschwitz ein Orchester zusammenstellt: Marschmusik zum Morgenappell, zur Abendunterhaltung und bei der Ankunft der neuen Häftlinge am Bahngleis. Weil die Deutschen pragmatisch veranlagt sind, gibt's keine externe Kapelle, da müssen die jungen Jüdinnen spielen. Esther hört von dem Orchester. Sie könnte Klavier dort spielen! Nur: Es gibt kein Klavier. Aber ein Akkordeon. Da lügt Esther um ihr Leben: "Ich hatte ja keine Ahnung, wie funktioniert das Ding überhaupt noch, rechte Seite kein Problem, das sind ja Klaviertasten. Aber die linke Seite, diese Knöpfe. Aber ich ha mir gesagt, ich muss das schaffen. Ich muss aufgenommen werden in dieses Orchester, sonst bin ich erledigt."
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Die Anstalt: Esther Bejarano über alte und neue Nazis
Über das Gehör erschließt sie sich die Akkorde, diesen "Klang der Knöpfe". Und sie wird ins Mädchenorchester von Auschwitz aufgenommen. Von der physischen Beanspruchung her ist das Musizieren leichter auszuhalten als der ihr zugewiesene Arbeitsdienst – nämlich, Steine zu schleppen. Aber emotional ist es für die 20-jährige Esther, für alle vierzig Mädchen, kaum auszuhalten. Wenn die Viehwägen mit den neuen Häftlingen ankommen: "Du konntest nicht helfen, du warst so hilflos. Du wusstest, die gehen jetzt ins Gas und du musstest da stehen und spielen."
Ausschwitz überlebt Esther Bejarano im Mädchenorchester. Sie kommt ins KZ Ravensbrück und flieht. Als sowjetische und amerikanische Soldaten ein Bild von Hitler anzünden, macht Esther Bejarano spontan wieder Musik: "Die haben alle rund um das Bild getanzt. Und ich habe dazu Musik gemacht. Da wussten wir, wir sind freie Menschen."
Die Musik wird sie ihr ganzes Leben als Stütze, als Freundin, als Vertraute begleiten, trotz ihrer Erinnerungen. Sie besucht Schulen, singt und berichtet als Zeitzeugin. Mit ihren eigenen Kindern hat sie eine Band und geht auf Tournee mit jiddischen Liedern. Und ihre letzte musikalische Karriere startet sie in den 2000-er Jahren, mit der türkischen Band Mikrophone Mafia. Gegen Rassismus, gegen Faschismus singt sie, für das Leben miteinander …
Kurz vor ihrem Tod im Jahr 2021, mit 96 Jahren, sagt Esther Bejarano: "Ich habe immer gesagt, wir müssen das überleben, wir dürfen nicht schlapp machen. Wir müssen das überleben. Wir müssen uns rächen an diesen schrecklichen Menschen, die das den anderen antun konnten." Die Holocaust-Überlebende Esther Bejarano rächt sich mit Musik, mit unaufhörlichem Aktionismus, mit Lebenswillen, mit Chuzpe.
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Esther Bejarano, Konstantin Wecker und Shekib Mosadeq: Bella Ciao
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Sendung: "Allegro" am 19. Dezember 2023 ab 06:05 Uhr auf BR-KLASSIK
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