Wien, 12. Juli 1932. Josef Erich Zawinul, genannt Joe, wird geboren. Keiner groovte am Keyboard so cool wie er: Er hatte Soul, Feeling und Timing wie die Allerwenigsten. Er stammte aus einer Arbeiterfamilie, erbte von seiner Mutter das absolute Gehör – und kam in den USA groß heraus, bei Größen wie Cannonball Adderley und Miles Davis. Mit Saxophonist Wayne Shorter gründete er die Rockjazz-Institution Weather Report, die ihn endgültig unsterblich machte.
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Wenn etwas so richtig soulig grooven sollte, dann war er der richtige. Er schrieb eines der effektvollsten Stücke des sogenannten Soul-Jazz – und des modernen Jazz überhaupt: "Mercy, Mercy, Mercy" (1966), das durch eine Live-Aufnahme des Quintetts von Saxophonist Julian Cannonball Adderley berühmt wurde. Er war kein Afroamerikaner aus dem New Yorker Stadtteil Harlem. Er war ein Wiener mit ungarischen und mährischen Vorfahren und mit Sinti-Wurzeln. Er sagte: "Für mich is' der größte Musiker ned der akademische Musiker, sondern der Mensch, der seine Geschichte, die Geschichte um ihn herum, die Geschichte seiner Tradition, am besten ausdrückt".
I'm a lucky guy. Verstehst?
Joe Zawinul hieß er – von amerikanischen Kollegen klangvoll Joe Zzaawinuul ausgesprochen. Akademisch war er keineswegs. Seine Geschichte: ein österreichisch-amerikanischer Traum. Seine Mutter war Köchin, sein Vater Schlosser, beide Eltern liebten und machten Musik. Josef Erich Zawinul, der spätere Joe, wuchs im Wiener Arbeiterviertel Erdberg auf. Er lernte mit sechs Akkordeon, fiel sofort auf als großes Talent und wurde auf dem Konservatorium kostenlos unterrichtet: Geige, Klarinette, Klavier. Dem BR-Mitarbeiter Ssirus W. Pakzad sagte Zawinul in einem Interview: "Woaßt – I bin kein Goschenaufreißer (Angeber), weil das, was ich da habe, geerbt ist. I'm a lucky guy. Verstehst?"
Ein Schulfreund spielte Josef Zawinul eines Tages den Fats-Waller-Klassiker "Honeysuckle Rose" vor: eine Initialzündung. Ein weiteres Jazz-Schlüsselerlebnis soll ihm der Musical-Film "Stormy Weather" verschafft haben, der Zawinul im Kino so faszinierte, dass er ihn sich 24mal angesehen und sich in die Sängerin und Schauspielerin Lena Horne verliebt habe, die das Titelstück sang.
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Lena Horne - Stormy Weather (1943)
Mit siebzehn ließ Josef die klassische Musik fallen – für den Jazz. Bald feierte er in der Szene Österreichs Erfolge, mit 26 reiste er als Stipendiat in die USA. Doch die Ausbildung am Berklee College of Music in Boston brach er schnell ab, weil die Praxis lockte. Er spielte bei Star-Trompeter Maynard Ferguson, bei der Sängerin Dinah Washington, die ihn ihrem Publikum als "Joe Vienna" präsentierte, und alsbald gehörte er zur Band von Saxophonist Julian Cannonball Adderley – bei dem er E-Piano-Sounds zu besonders lässigen Grooves brachte, etwa in dem Stück "Country Preacher", aber auch in Nummern wie "Walk Tall".
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Cannonball Adderley Quintet (w/ Joe Zawinul) * LIVE @ Newport in Paris, France 1969
Auch der Jazz-Oberboss Miles Davis holte sich den Wiener Wundergroover. Zawinul spielte auf den Alben "In A Silent Way" (1968) und "Bitches Brew" (1970) mit und brachte wesentliche Impulse für diese Aufnahmen. Für "In A Silent Way", das erste Album, in dem Miles sich dem Fusion Jazz widmete, komponierte er das Titelstück, und auch "Bitches Brew", das Album, das zur Initialzündung des rockig unterfütterten Jazz wurde, begann mit einem Stück Joe Zawinuls, dem fast zwanzigminütigen Track "Pharoah's Dance". Im selben Jahr, in dem "Bitches Brew" erschien, 1970, gründete Joe Zawinul mit Kollegen wie dem Saxophonisten Wayne Shorter und dem Bassisten Miroslav Vitous die Rockjazz-Institution Weather Report, die 15 Jahre lang Maßstäbe setzte.
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Weather Report - Birdland
Zawinul zog weiter seine Spur, unter anderem mit seiner 1988 gegründeten Gruppe "The Zawinul Syndicate", machte Musik mit afrikanischen Kollegen, schrieb die Symphonie "Stories of the Danube", komponierte ein Gedenkstück über das Konzentrationslager Mauthausen ("Vom großen Sterben hören … Chronicles from the Ashes"), gründete in Wien den Jazzclub "Birdland" nach dem Vorbild des New Yorker Birdland-Clubs. 2007 starb er in seiner österreichischen Heimatstadt. Sein Groove bleibt ein Welterbe.
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Sendung: "Allegro" am 07. Juli 2023 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK
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