Paris, Auktionshaus Hôtel Drouot, 6. Juli 1983. Die Auktionäre trauen ihren Augen nicht: Vier Monate lang hat Elektropop-Star Jean-Michel Jarre an seinem neuesten Album "Musique pour Supermarché" getüftelt. Hat komponiert und Keyboard gespielt, hat draußen vor verschiedenen Supermärkten mit seinem Mikro Geräusche eingefangen, hat alles sorgfältig geschnitten und acht Titel zusammengemischt. Aber jetzt, an einem Mittwochabend um 22 Uhr, setzt sich Jarre eine Schweißerbrille auf, entzündet eine Gasflamme – und verbrennt sein lastwagenlenkergroßes Master-Tonband.
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Hunderte Stunden Arbeit, eine halbe Stunde Musik werden zu Asche – unwiederbringlich. Bis auf eine einzige Schallplattenpressung – die jetzt unmittelbar im Anschluss an den Meistbietenden verkauft werden soll. Warum hat Jarre, der ehemalige Schüler der Avantgarde-Päpste Stockhausen und Xenakis, das getan?
"Musique pour Supermarché" war konzipiert als Hintergrundmusik für eine Ausstellung. Freunde von Jean-Michel Jarre hatten Objekte aus Supermärkten in Kunstwerke verwandelt. Am Ende sollten alle Exponate für einen wohltätigen Zweck versteigert werden. Das brachte Jarre auf die Idee, auch seine Musik zu versteigern – als Protest gegen die "dumme Industrialisierung von Musik. In einer Zeit, in der alles standardisiert ist, in der wir unendlich überinformiert werden, gesättigt mit Klängen und Bildern, schien es mir lohnenswert zu zeigen, dass eine Schallplatte nicht nur ein Stück Ware ohne Wert ist, unendlich vervielfältigbar, sondern dass sie, wie das Bild eines Malers oder die Bronze eines Bildhauers, wesentlicher Teil der Schöpfung eines Musikers sein kann."
Jean-Michel Jarre | Bildquelle: PR Ein Stück Ware ohne Wert ist "Musique pour Supermarché" ganz bestimmt nicht: Für 69.000 Francs geht das einzige Exemplar in die Hände eines Sammlers über und wird somit eine der wertvollsten Schallplatten der Welt. Der Käufer verdankt Jarres Musik buchstäblich sein Leben: Nach einem schweren Autounfall hatte er das Bewusstsein verloren und kam erst wieder zu sich, als das Radio seines kaputten Wagens Jean-Michel Jarres "Souvenir de Chine" spielte. Bevor der Komponist sein Werk dem überglücklichen neuen Besitzer übergibt, schießt er noch schnell ein Polaroid-Foto von ihm – und fügt es auf einer leeren Seite in das Fotoalbum ein, das der Platte beiliegt.
Piratez-moi! Macht euch eine Raubkopie!
Gänzlich für den Rest der Welt verloren ist die Musik allerdings nicht: Denn zum einen lässt Jarre das Album nach der Versteigerung noch ein einziges Mal im Radio ausstrahlen, von Radio Luxembourg, einem Mittelwellensender. Im Interview vor der Sendung ruft er den Hörern zu: "Piratez-moi! Macht euch eine Raubkopie!" Und so geistern bis heute verrauschte Privat-Mitschnitte durchs Netz.
Zum anderen verwendet Jarre etwa die Hälfte der Kompositionen in späteren Alben wieder. So ganz geheuer scheint dem Plattenmillionär seine Idee vom unwiederbringlichen Unikat also selbst nicht gewesen zu sein. Da war Banksy 2018 konsequenter…
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Jean-Michel Jarre - Musique Pour Supermarché / Music For Supermarkets (Full Album)
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Sendung: "Allegro" am 06. Juli 2023 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK
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