Rom, 14. April 1770. Karwoche im Vatikan. Düster ist es in der Sixtinischen Kapelle. Die Bischöfe, die Kardinäle, die Gäste – alle knien auf dem Boden und beten, auch der Papst, im violetten Gewand, mit entblößtem Haupt. Nach und nach werden die Kerzen in der Kirche ausgelöscht, eine nach jedem Gebet, bis es stockfinster ist. Und nun stimmen neun Sänger, verteilt auf zwei Gruppen, einen feierlich klagenden Gesang an, einen Bußpsalm: das "Miserere" von Gregorio Allegri.
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Titelbild: Mozart hört sich Allegris "Miserere" an – Rom 1771
Man sagt, Allegris Partitur gehöre seit anderthalb Jahrhunderten zu den bestgehüteten Geheimnissen des Vatikans. Nur in der Sixtinischen Kapelle, nur in der Karwoche darf das "Miserere" von Gregorio Allegri gesungen werden. Von der einzigartigen Aura des Stücks, von der Verzierungskunst der päpstlichen Sänger schwärmen alle, die es jemals hören durften. Aber wer es wagt, die Noten abzuschreiben, wird, so heißt es, exkommuniziert.
Unter die Betenden haben sich heute auch zwei Touristen aus Salzburg gemischt, Vater und Sohn. Den Jungen, Wolfgang heißt er, 14 Jahre ist er alt, langweilt das ganze Zeremoniell. Umso konzentrierter lauscht er der Musik – und beugt sich, als er nach Hause kommt, sofort über ein Blatt Notenpapier. Zwei Tage später geht er nochmal in den Vatikan, macht ein paar Korrekturen. Dann, am 14. April, kann der Vater, Leopold Mozart, stolz in einem Brief vermelden: "Du wirst vielleicht oft von dem berühmten Miserere in Rom gehört haben, welches so hoch geachtet ist, dass den Musicis der Capellen verboten ist, eine Stimme davon zu tragen. Allein – wir haben es schon! Der Wolfgang hat es aufgeschrieben."
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Gregorio Allegri: Miserere | Voces8 | BR-KLASSIK
Der 14jährige Wolfgang Amadeus Mozart hat das Geheimnis von Allegris "Miserere" gelüftet – einfach aus dem Gedächtnis. Ein weiteres Wunder dieses Wunderkinds? Sagen wir besser: eine weitere Talentprobe. Denn Hand aufs Herz, es gibt kompliziertere Partituren als dieses "Miserere" mit seinem simplen Akkordgerüst, das wieder und wieder wiederholt wird. Seine magische Wirkung gewinnt das Stück erst durch die Verzierungen der Sänger – und die sind jeden Tag ein bisschen anders. Ein Zauber, den keine Partitur der Welt festhalten kann – nicht mal eine von Mozart.
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Sendung: "Allegro" am 14. April 2022 ab 06:05 Uhr auf BR-KLASSIK