Wien, 16. Juli 1782. Zum ersten Mal kommt Mozarts deutsches Singspiel "Die Entführung aus dem Serail" auf die Bühne. Der Beginn einer beispiellosen Erfolgsgeschichte, über die Grenzen von Zeit und Raum hinweg.
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… die leute kann ich sagen sind recht Närrisch auf diese oper. – es thut einem doch wohl wenn man solchen beyfall erhällt.
Diese Zeilen schreibt Wolfgang Amadeus Mozart am 27. Juli 1782 an seinen Vater Leopold. Die Oper, um die es hier geht ist "Die Entführung aus dem Serail". Wenige Tage zuvor hat Mozart sie dem Wiener Publikum vorgestellt, und wenn es auch während der Uraufführungen noch vereinzelte "Cabale" gibt, so sind doch alle weiteren Vorstellungen komplett ausverkauft und ein voller Erfolg. Noch zu Mozarts Lebzeiten wird die "Entführung" in mindestens fünf Sprachen übersetzt und in nicht weniger als dreißig Städten aufgeführt.
Von Kaiser Joseph II. von Österreich erhält Mozart den Auftrag eine deutsche Oper zu schreiben, die in Wien am "Teutschen National-Singspiel" aufgeführt werden soll. Dieses quasi "Nationale Opernhaus" am Burgtheater wird 1776 eingerichtet, um dem Einfluss italienischen Oper ein deutsches Pendant gegenüberzustellen. Alle Werke, die hier auf die Bühne kommen – zumeist Auftragswerke – werden in deutscher Sprache gesungen. Und alle haben ausnahmslos ein "Happy End". So will es der Kaiser. Einer berühmten Überlieferung nach, scheint seine Majestät ja auch mit der "Entführung" mehr als zufrieden gewesen zu sein. "Zu schön für unsere Ohren und gewaltig viele Noten", soll Joseph II. zu Mozart gesagt haben. Legendär geworden ist Mozarts Antwort: "Gerade so viel (Noten), Eure Majestät, als nötig ist."
Die Handlung des deutschen Singspiels "Die Entführung aus dem Serail" ist vor allem eines: nicht deutsch. Wenn auch in deutscher Sprache geschrieben, agieren hier internationale Protagonisten. Durch einen Seeräuberüberfall wird die Spanierin Konstanze von ihrem Verlobten Belmonte, einem spanischen Edelmann getrennt. Zusammen mit ihrer englischen Zofe Blonde und Belmontes Diener Pedrillo werden sie auf einem türkischen Sklavenmarkt verkauft. So gelangen die drei in den Palast des Herrschers Bassa Selim, der Konstanze und Blonde in seinen Harem aufnimmt und von nun an um Konstanzes Liebe wirbt. Belmonte erfährt den Aufenthaltsort der Entführten und unternimmt nun alles, um seine Geliebte und Blonde zu befreien. Unterstützt von Diener Pedrillo, mit dem sich Belmonte gegen den boshaften Haremswächter Osmin durchsetzen muss. Am Ende gibt Bassa Selim der aufgeklärten Seite seines Charakters nach und erkennt die Macht der Liebe zwischen Konstanze und Belmonte an. Alle kommen frei. Happy End.
Charakteristisch für das Genre des Singspiels ist dabei die Einführung der komischen Figuren. In der "Entführung" sind das Blonde, Pedrillo und Osmin, die den ernsthaften Figuren Konstanze und Belmonte entgegengesetzt werden. Mozart arbeitet hier stark die unterschiedlichen Charaktere heraus und illustriert ihr emotionales Innenleben durch das musikalische Geschehen.
Was neu ist, kann verunsichern. Dem Wiener Publikum geht es 1782 offenbar nicht anders, als es zum ersten Mal Mozarts 19. Oper zu hören bekommt. So neu und fremd hört sich die Musik an. Und das ganz bewusst. Wolfgang Amadeus Mozart nimmt sich die Klangsprache der Janitscharen, also der Elitetruppe der Osmanischen Armee zum Vorbild. Melodielinien werden unisono geführt, Terrassendynamik sorgt für starke Kontraste, und das Instrumentarium verbreitet orientalisches Flair. Große Trommel, Becken, Triangel und Piccoloflöten sind neu im "Klassischen Orchester" und unterstreichen musikalisch das Geschehen. Sie kommen vor allem dann vor, wenn eine "exotische" Figur die Bühne betritt.
"Die Entführung aus dem Serail" trifft den Nerv der Zeit. Die Türkenbelagerungen des 17. Jahrhunderts sind nahezu in Vergessenheit geraten und Wien träumt vom Luxus des fernen und geheimnisvollen Orients. Türkische Stoffe, Gewürze, Kaffee und Düfte sind der Modetrend des ausgehenden 18. Jahrhunderts. Von Mozarts selbst wird behauptet, er sei zu Fasching mit einem Turban aufgetreten. All diese Klischees vom wundersamen "Morgenland" bedient auch die "Entführung". Allerdings durch einen sehr westlichen Filter. Denn allen Turquerien zum Trotz ist und bleibt sie ein deutsches Singspiel.
Obwohl Mozarts "Entführung" schon bald nach der Uraufführung ihren Siegeszug beginnt und sogar ins Englische, Polnische, Russische, Dänische und Tschechische übersetzt wird, macht sie ihren Schöpfer nicht reich. Zumindest nicht im materiellen Sinne. 100 Kaiserliche Dukaten und das wars. Alle Rechte sind weg. Wie oft und wo immer die Oper auch aufgeführt wird, Mozart kann sich davon nichts kaufen. Der Ruhm aber und die Begeisterung, die seine Musik beim Publikum auslöst, scheinen Mozart auf ihre Weise entschädigt zu haben.
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Sendung: "Allegro" am 16. Juli 2024 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK