Rostov am Don, 14. Februar 1917. Es wird gestreikt, die Menschen stehen stundenlang für Brot und Rüben an, es wird gebrüllt: "Weg mit der Monarchie."
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Inmitten dieses Chaos befindet sich der Komponist Sergej Rachmaninow in der Musikhochschule. Er spielt, er träumt, er hofft. Dass sich die revolutionären Wirren irgendwie auflösen. Dass ihn diese ermüdenden Depressionen in Frieden lassen. Und dass ein wenig Licht in sein Gemüt kommt. Dieses "Licht" hat ein Gesicht, hat einen Namen: die Schriftstellerin Marietta Schaginjan.
Vor fünf Jahren schrieb sie ihm den ersten, schwärmerischen Brief. Damals noch unter dem Pseudonym "Re". Wie die Musiknote "Re", also "D". Der schüchterne Rachmaninow hält das Schreiben zunächst für die übliche Verehrerpost. Aber ein paar Briefe später versteht er, dass sich da jemand richtig Mühe gibt, ihn zu verstehen. Er beißt an. Oder positiv ausgedrückt: Es entsteht eine freundschaftliche, ein vertrauliche Beziehung zwischen "Re" und "Ra"chmaninow.
Ich schätze Ihre Briefe, weil sie mir in jedem Wort Glaube, Hoffnung und Liebe aussprechen. Bringen Sie mir bei, an mich zu glauben, liebe Re! Und mag es auch nur halb so viel sein, wie Sie an mich glauben.
Was Schaginjan vom glücklich verheirateten Familienvater Rachmaninow will, bleibt im Unklaren. Was sie ihm gibt: Inspiration zu einigen Werken. Die Hälfte der Lieder aus dem Opus 34 beispielsweise geht auf Schaginjans Ideen, also auf ihre Textauswahl, zurück.
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Sergei Rachmaninoff - 14 Romances (Op. 34)
Was Rachmaninow von der 15 Jahre jüngeren Frau will? Auf jeden Fall geistige Auseinandersetzung, Verständnis, Feingefühl und eben ein bisschen was von dieser energetischen Sonne, die ihr temperamentvolles Wesen ausstrahlt. (Übrigens, Jahre später wird ein Asteroid nach Schaginjan benannt.) An jenem kalten Februartag bittet er die Künstlerin auf – für Rachmaninows Verhältnisse – geradezu draufgängerische Art und Weise um ein Treffen: "Vielleicht wären Sie bereit, heute zu mir zu kommen, vor dem Konzert in der Musikschule. Wir werden alleine sein, das verspreche ich Ihnen. Wir könnten anderthalb Stunden beisammensitzen. Ich werde spielen und sie erzählen. Einverstanden?"
Im Jahr der russischen Revolution, also im Jahr 1917 endet die Freundschaft von Sergej Rachmaninow und Marietta Schaginjan. Er verlässt Russland für immer und sie wird zur überzeugten Kommunistin. Nur ein letzter Brief aus dem Jahr 1922 ist erhalten. In dem schreibt Schaginjan an Rachmaninow in die USA: "Sie sind nun, wie ich höre, ein Idol der Amerikaner. Hat die permanente Zufriedenheit mit den äußerliche Triumphen nicht vielleicht Ihre Unzufriedenheit mit Ihnen selbst abgestumpft? Und: Können Sie ohne Russland?"
Trotz der Entfernung hat Marietta Schaginjan das Gespür für das Wesen Rachmaninows nicht verloren. Bis zu seinem Tod wird Rachmaninow nicht warm mit Amerika, mit dem Starkult um seine Person und vor allem: Er wird Zeit seines Lebens Russland vermissen.
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Sendung: "Allegro" am 14. Februar 2024 um 06:05 Uhr auf BR-KLASSIK
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