Den Namen dieses Werkes hat wohl jeder schon mal gehört: "Tafelmusik" von Georg Philipp Telemann. Aber: Wer kennt diesen langen Werkzyklus wirklich? In seinen drei Teilen, mit Ouvertüren, Konzerten und Kammermusik-Einlagen? Ein großartiger Zyklus, aber heute trotzdem eher unbekannt. Warum das so ist, darüber hat sich Julika Jahnke mit Reinhard Goebel unterhalten, dem Gründer und langjährigen Leiter des Alte Musik-Ensembles Musica Antiqua Köln.
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Die "Musique de Table", die "Tafelmusik" ist DER große Werkzyklus von Georg Philipp Telemann: aufgeteilt in drei Teile, die er "Production" (aus dem Französischen entlehnt) nennt. Jeder Teil beginnt mit einer Ouvertüre, dann folgen jeweils ein Quartett, ein Konzert, ein Trio, ein Solostück und schließlich die "Conclusion". Reinhard Goebel studierte die "Tafelmusik" mit der Akademie der Berliner Philharmoniker ein. Aber auch da konnte er nur Teile des umfangreichen Zyklus auf die Bühne bringen. Umso mehr beschäftigt ihn dessen Vielschichtigkeit: "Man muss wissen, dass die Teile des Zyklus sich untereinander brückenmäßig oder bogenmäßig ergänzen, dass also immer irgendwie Beziehungen zu einem Schwesterwerk da sind. Das ist das Hervorragende an der 'Tafelmusik'. Man kann im Grunde ein ganzes Leben lang daran analysieren. Und das ist das, was mich immer wieder zu diesem Werk zurückführt."
Die 'Tafelmusik' ist, was das Inhaltliche anbelangt, aber auch was den geistigen Überbau betrifft, eins der Spitzenstücke der deutschen Musik.
Einzigartig an diesem Werk ist auch, wie raffiniert Telemann die verschiedenen Nationalstile der Zeit miteinander verschmilzt. Recht französisch muten etwa die Ouvertüren der drei Teile an, doch ganz wie von einem Pariser Streichorchester dargeboten, klingen sie dann doch nicht. Reinhard Goebel erklärt: "Na ja, vom französischen Stil hat er die Form genommen, also die Ouvertüre und die Tanzsätze, die dann wieder italianisiert mit diesen Duos ausgestattet sind, also mit zwei Flöten, zwei Violinen, was nicht so französisch ist."
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Telemann reiht also nicht einfach musikalische Formen aneinander oder lässt die typischen Instrumente der jeweiligen Länder anklingen. Er verarbeitet all das zu etwas ganz Neuem. "Also, es sind verschiedene Ebenen, die übereinandergelegt werden", erklärt Reinhard Goebel. "Er nimmt beispielsweise einen deutschen Besetzungstypus und macht damit ein französisches Quatuor, und dann nimmt er einen französischen Besetzungstyp und macht damit eine neue Sinfonia Concertante. Das sollte man eben auch wissen, dass das Konzert aus der ersten Tafelmusik – mit Flöte, Geige und Cello – nicht so richtig ein Konzert ist, sondern eigentlich die Geburt der Sinfonia concertante darstellt, an der ein großes Orchester beteiligt ist. Und dann zeigt er im nächsten Konzert, wie seiner Meinung nach ein italienisches Konzert auszusehen hat, also mit glitzernden Geigen. Und natürlich kommt auch das Polnische immer wieder mit rein. Also dieser sehr raue Geschmack, meistens in Moll."
Reinhard Goebel | Bildquelle: Christina Bleier Eine Studie der musikalischen Weltläufigkeit ist er also, dieser Zyklus. Doch der Name "Musique de Table" klingt so viel schlichter: als habe Telemann diese Musik zur Unterhaltung beim Essen geschrieben. Aber das war sicher nicht sein Anliegen. Er wollte hier vor allem eine hohe Schule des Ensemblespiels bereitstellen. Nur um sie zu verkaufen, dafür hatte sich Telemann wahrscheinlich einen schlagkräftigen und bunten Titel gesucht. "Tafelmusik" eben. Denn als guter Geschäftsmann suchte er auch bei diesem Werk ganz aktiv nach Abnehmern. Schließlich galt es, den Lebensunterhalt seiner Familie zu sichern. Seine Kundschaft waren dabei nicht nur Profis, sondern auch Liebhaber. Für die waren diese Werke zwar eigentlich zu schwer. Doch mit diesem Zyklus war überhaupt zum ersten Mal Orchestermusik von Telemann im Druck erhältlich. So dass auch viele Laien gerne zugriffen. Wie bringt es Reinhard Goebel auf den Punkt? "Mit diesem Druckwerk von 1733 überspringt er die Grenze der Kammermusik und sagt: 'Also Leute, Ihr könnt jetzt auch von mir Orchestermusik kaufen.' Denn das war das Tolle an der 'Tafelmusik': Man hatte ja darin ein Konzert und eine Ouvertüre für Orchester, und dann eben diese Kammermusiken. Aber diese Kammermusiken sind schon sehr viel schwerer und anspruchsvoller als die Druckwerke, die er vorher gemacht hatte."
Den Originaldruck der "Tafelmusik" hat Reinhard Goebel im Sommer 2010 als Faksimile-Ausgabe veröffentlicht. Das Druckbild ist so gut erhalten, dass sich daraus sogar gut musizieren lässt. Dass Telemann, nicht zuletzt hier in der "Tafelmusik", so geschickt die Nationalstile verschmolz, hat damals übrigens nicht nur die Deutschen beeindruckt. Selbst bei den wählerischen Franzosen war er derart begehrt, "dass man ihn als ersten und einzigen und bis Gluck hin auch als letzten deutschen Komponisten nach Paris gerufen hat, um dort seinen Stil zu vertreten." Sagt Reinhard Goebel. "Junge französische Musiker haben gesagt: 'Meister, kommen Sie zu uns, zeigen Sie uns, was Sie machen.' Also Telemann wurde international gerade wegen dieser Vielfalt anerkannt und gesucht."
Georg Philipp Telemann:
"Tafelmusik" in drei Teilen
Musica Antiqua Köln
Leitung: Reinhard Goebel
Label: Archiv Produktion
Sendung: "Das starke Stück" am 30. Mai 2023, 19.05 Uhr auf BR-KLASSIK