Die Serenade für Streichorchester ist eines der berühmtesten Orchesterwerke von Peter Tschaikowsky. Das Stück ist eine gelungene Mischung aus Mozartscher Leichtigkeit, deutsch-romantischer Innigkeit und französischer Eleganz. Auch das russische Element kommt durch – allerdings lässt dieses fast bis zum Schluss auf sich warten. Julia Smilga sprach mit dem russischen Geigenvirtuosen und Dirigenten Vladimir Spivakov über das Werk.
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Im November 1880 schreibt Peter Tschaikowsky an seine Mäzenin Frau von Meck: "Stellen Sie sich vor, meine liebe Freundin, meine Muse ist mir in letzter Zeit so gnädig gewesen, dass ich sehr schnell zwei Werke komponiert habe, und zwar: erstens, einem Wunsch Nikolai Rubinsteins entsprechend, eine große feierliche Ouvertüre für die Eröffnung einer Ausstellung und zweitens eine Serenade für Streichorchester in vier Sätzen. Die Serenade komponierte ich aus innerem Antrieb. Sie ist vom Gefühl erwärmt und ist – wie ich hoffe – vom wirklichem künstlerischen Wert..."
Die Serenade entstand in inspirierender ländlicher Atmosphäre: Im ukrainischen Dörfchen Kamenka, auf dem Gut seiner Schwester Alexandra fand Tschaikowsky Erholung, indem er die Musik alter Meister studierte. Überhaupt war das Jahr 1880 für den Komponisten sehr fruchtbar. Außer der Streicherserenade vollendete er sein Klavierkonzert Nr. 2 und schrieb das "Capriccio italien". Die Serenade trägt einen ungewöhnlich optimistischen Charakter. Der sonst häufig von Selbstzweifeln und Depressionen heimgesuchte Tschaikowsky schrieb ein Stück, in dem alle vier Sätze und Themen in strahlendem Dur stehen. Tschaikowsky hat die Partitur nach seiner eigenen Aussage zunächst als "etwas zwischen Symphonie und Streichquintett" gedacht. Durch ihren symphonisch dichten Klang steht die Serenade eher dem Typus der Sinfonietta nahe, in der Genrehaftigkeit seiner Mittelsätze gleicht sie wiederum vielmehr einer Suite.
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Tschaikowsky experimentierte darin mit Formen und Strukturen und schuf Bezüge zwischen der russischen Musiksprache mit ihren Anleihen aus den Volksliedern und der vornehmen Serenadenmusik des 18. Jahrhunderts. Denn das Opus ist auch eine Hommage an Mozart, meint der russische Geigenvirtuose und Dirigent Vladimir Spivakov: "Die Streicherserenade von Peter Tschaikowsky ist ein geniales Werk, in dem seine Achtung vor Mozart deutlich wird. Mozarts Biografie lag immer auf seinem Tisch. Als Tschaikowskys Verleger Jürgensohn dem Komponisten zu Weihnachten eine Gesamtausgabe von Mozarts Werken schenkte, schrieb Tschaikowsky zurück: 'Ich hätte mir kein schöneres Geschenk wünschen können, denn Mozart ist mein Gott'."
Die Musik ist sehr transparent und gleichzeitig klassisch-polyphon komponiert.
Von ihm ist Tschaikowskys Serenade inspiriert: Wolfgang Amadeus Mozart | Bildquelle: picture-alliance/dpa Tschaikowsky selbst charakterisierte den ersten Satz aus der Streicherserenade als "Tribut meiner Verehrung an Mozart". Mozarts Einfluss offenbart sich weniger im Ton der Musik als vielmehr in der kompositorischen Haltung. So hat Tschaikowsky den Kopfsatz mit "Pezzo in forma di sonatina" überschrieben – auf Deutsch "Stück in Form einer Sonatine". Wahrscheinlich wollte der Komponist ihn damit bewusst von den dramatischen Sonatensätzen à la Beethoven abgrenzen. Im ersten Satz verzichtet der Komponist sogar gänzlich auf eine Durchführung und lässt die beiden Themen in lockerer Anordnung aufeinanderfolgen. Eingerahmt wird dieses erste Allegro von einem eröffnenden und schließenden aristokratischen Andante non troppo. "Die Musik ist sehr transparent und gleichzeitig klassisch-polyphon komponiert", erläutert Vladimir Spivakov den Satz. "Und der zweite Satz – der berühmte Walzer: Er klingt zwar leicht und elegant, ist aber in der Interpretation teuflisch schwer. Denn in diesem Walzer kommt es nicht nur auf 'eins, zwei, drei' an, sondern vielmehr auf das, was zwischen den Zählzeiten passiert. Technisch ist der Walzer sehr anspruchsvoll, voll allem all jene Vorhalte und Verzögerungen – wie lange haben sie zu sein, um in den Grenzen des guten Geschmacks zu bleiben?"
Der Walzer aus der Streicherserenade ist vielleicht eines der populärsten Werke von Tschaikowsky. Er hat sich im Laufe der Zeit ziemlich verselbständigt und wird häufig alleine aufgeführt. Die elegante Melodie verführt zu Träumerei. Man glaubt sich in einen Ballsaal der Belle Epoque versetzt, in dem sich Paare im Tanz wiegen und beim sanften Ausklingen der Musik wie ein Traum verschwinden. Der dritte Satz, die Elegie, ist dagegen ist voller Schwermut. Nach einer ernsten Einleitung führen Violoncello und Violine ein inniges Gespräch. "Die Elegie ist mit großem inneren Gefühl erfüllt", sagt Spivakov. "Dieser Satz ist von hoher Geistigkeit durchdrungen. Und dass der nächste, der vierte Satz im russischen Stil gehalten wird und als "Tema Russo" von Tschaikowsky bezeichnet wurde, geht wahrscheinlich auf seinen Wunsch zurück, dem Werk etwas an potenzieller Popularität hinzuzufügen."
Vladimir Spivakov | Bildquelle: picture alliance/Ekaterina Chesnokova/Sputnik/dpa Zum Finale, dem "Tema Russo", gehören zwei russische Volkslieder. Das erste, das in der langsamen Einleitung anklingt, ist ein Kutscherlied von der Wolga. Zum Gegenstand des Satzes wird das zweite Lied – mit dem Titel "Unterm grünen Apfelbaum". Die beschwingte Tanzweise stammt aus Tschaikowskys eigener Sammlung russischer Volkslieder. In seiner Struktur aus auf- und absteigenden Tonleiterausschnitten ist das Lied mit dem Andante-Rahmenthema des ersten Satzes verwandt – eine Verwandtschaft, die Tschaikowsky in der brillanten Coda offenbart, wenn er beide Themen aufeinander folgen lässt. In einer gelungenen Verschmelzung schließt sich damit der Kreis von der eleganten Musiksprache des 18. Jahrhunderts zur kraftvollen russischen Volksmusik.
Am 30. Oktober 1881 wurde die Streicherserenade in St. Petersburg uraufgeführt. Die Premiere erwartete der von ständigen Selbstzweifeln geplagte Tschaikowsky mit großer Nervosität. Völlig zu Unrecht: Das Petersburger Publikum jubelte und der Walzer musste sogar wiederholt werden! In den folgenden Jahren dirigierte Tschaikowksy das Werk oft auf Konzertreisen im Ausland. Es war eines der ersten Werke des Komponisten, das außerhalb Russlands bekannt wurde. Ein zweites Leben erfuhr die Streicherserenade im Jahr 1934. Damals schuf der amerikanische Choreograf George Balanchine auf die Musik von Tschaikowsky sein erstes Ballett. Heute ist das Ballett "Serenade" ein Standartwerk im Repertoire zahlreicher Balletttruppen überall in der Welt.
Peter Tschaikowsky:
Serenade für Streichorchester C-Dur, op. 48
Moskauer Virtuosen
Leitung: Wladimir Spiwakow
Label: RCA
Sendung: "Das starke Stück" am 16. April 2024, 19.05 Uhr auf BR-KLASSIK