Wenn Beat Furrer komponieren will, zieht er sich in ein einsames Forsthaus im sogenannten Gesäuse zurück - an einen Ort, der ist, wonach er klingt: ein abgelegener Talwinkel in der Steiermark, umgeben nur von Wind, Wald und Fels. Er brauche einfach immer wieder Zeiten, die von nichts unterbrochen seien, sagt Furrer, um sich wirklich konzentrieren zu können. Für ein Leben im Dienste der Musik ist Beat Furrer jetzt mit dem Ernst von Siemens Musikpreis ausgezeichnet worden. Die Preisverleihung findet am 3. Mai im Münchner Prinzregententheater statt und wird hier per Videostream übertragen.
Bildquelle: Manu Theobald
Ein weltferner Eremit ist Beat Furrer deshalb nicht. Für seine Rolle als Komponist hat der in Österreich lebende Schweizer eine Metapher gefunden, die eine große Weltzugewandtheit ausdrückt: das mythische Haus der Fama, Göttin des Gerüchts und des Hörensagens.
Bildquelle: Manu Theobald Dieses Haus ist, wie Ovid in seinen Metamorphosen schreibt, aus tönendem Erz gebaut und "tags wie nachts nach allen Seiten hin offen" - wie eine Echokammer, in der jedes Wort und jeder Laut dieser Welt seinen Widerhall findet. Für Furrer ist dies ein wunderbares Bild, das Komponieren als eine Art "Fama-Ohr" zu begreifen. "Ich gehe als Komponist mit offenen Ohren durch diese Welt. Was mit dabei begegnet, versuche ich zu entschlüsseln - und so auch hörend zu begreifen, was um mich herum passiert."
Ich versuche hörend zu begreifen, was um mich herum passiert.
Beat Furrer wird 1954 in Schaffhausen in der Schweiz geboren, wo er ersten Musikunterricht am Klavier erhält. 1975 zieht er nach Wien und studiert dort Komposition und Dirigieren. 1985 gründet er mit Viktor Liberda die "Société de l'art acoustique", ein Ensemble für zeitgenössische Musik, das ab 1988 unter dem Namen Klangforum Wien auftritt. Der passionierte Lehrer nimmt 1991 eine Professur für Komposition an der Musikhochschule in Graz an und unterrichtet von 2006 bis 2009 als Gastprofessor in Frankfurt. Zu seinen wichtigsten Werken gehören "Die Blinden" (1989), "nuun" (1996), "Begehren" (2001/2003) und "Fama" (2005). 2014 erhält er den Großen Österreichischen Staatspreis.
In seinem Werk "Fama", das bei der Musikbiennale in Venedig mit einem Goldenen Löwen ausgezeichnet wurde, lässt Furrer dieses Bild Wirklichkeit werden. Für sein "Hörtheater in acht Szenen", das 2005 in Donaueschingen uraufgeführt wurde, baut der Komponist gemeinsam mit einem Akustiker einen Raum im Raum, der zeitgleich Konzertsaal, Bühnenbild und das wichtigste Instrument ist: eine hölzerne Box, durch deren Luken, Ritzen und Lamellen Töne, Geräusche und Stimmen von außen nach innen dringen. Der Saal verwandelt sich dadurch in einen gewaltigen Resonanzkörper, in ein Hörtheater mit umherschwirrenden Klängen.
Beat Furrer komponiert viel und erfolgreich Instrumentalmusik. Im Zentrum seines Schaffens steht aber das Musiktheater. Als Leiter des von ihm gegründeten Klangforums Wien, ein weltweit renommiertes Ensemble für Neue Musik, hat er sich bereits einen Namen gemacht. Seinen endgültigen Durchbruch feiert er Anfang der Neunziger mit seiner Oper "Die Blinden" - nach Texten von Platon, Hölderlin, Rimbaud und Maeterlinck.
Komponieren an einem Text heißt immer auch, diesen Text zu verändern.
"Beat Furrer gestaltet seit vielen Jahren die musikalische Gegenwart auf die eindrücklichste Art und Weise." | Bildquelle: Manu Theobald
Furrer verwendet Texte nicht als Schablone für seine Werke, sondern verändert diese immer. Er suche darin nach einem bestimmten Klang, wie er sagt, und auch nach darin enthaltenen rhythmischen Strukturen. Wenn er Texte vertont, dann im eigentlichen Sinn des Wortes - in einzelnen Silben, Vokalen, Konsonanten.
Oper im klassischen Sinn komponiert Furrer nicht, Figuren gibt es keine. Dramatik entsteht nicht durch Handlung, sondern durch Musik. Ein Hörtheater, so nennt Furrer sein Werk "Fama". Vielleicht ist das der passende Begriff für das, wonach Furrer sucht: eine neue Verbindung von Bild und Sprache im Medium des Klangs. Darin liegt die zentrale Lektion, die Beat Furrer als Professor in Graz seinen Studenten weitergibt: nur keine bewährten Konzepte reproduzieren.
Der Ernst von Siemens Musikpreis gilt als eine der wichtigsten Auszeichnungen im Bereich der Musik. Die seit 1973 jährlich verliehene Auszeichung geht an Interpreten, Komponisten oder Wissenschaftler, die sich insbesondere um die Neue Musik verdient gemacht haben. Zu den Preisträgern zählen bislang Benjamin Britten, Hans Werner Henze, Helmut Lachenmann, Per Nørgård, Nikolaus Harnoncourt, Michael Gielen, Anne-Sophie Mutter und Mariss Jansons. Insgesamt vergibt die Stiftung in diesem Jahr rund 3,5 Millionen Euro an Preis- und Fördergeldern. Die Preisverleihung findet am 3. Mai im Münchner Prinzregententheater statt.