Arnold Schönberg, Richard Strauss, Dmitri Schostakowitsch und Benjamin Britten komponierten Werke, in denen sie aus der Erfahrung des Ersten und Zweiten Weltkriegs gegen Krieg und Zerstörung mahnen. Sie sind klingende Mahnmale, die der amerikanische Autor Jeremy Eichler in einem jetzt erschienenen Buch porträtiert und mit der konkreten Geschichte kombiniert.
Bildquelle: Klett-Coda
Im Oktober 1947 wurde in New York der Grundstein für das weltweit erste Mahnmal für die von den Nationalsozialisten ermordeten Juden eingeweiht. Zur gleichen Zeit arbeitete der Wiener Jude Arnold Schönberg im Exil in den USA am ersten Musikstück, das sich mit dem Holocoust befasst: "Ein Überlebender aus Warschau" – bevor es den Begriff Holocaust überhaupt gab.
Der Chefdirigent des Boston Symphony Orchestra, der bei Schönberg ein Orchesterstück bestellt hatte, war von dem, was er schließlich von Schönberg bekam, so verstört, dass er das Werk einfach liegen ließ und sich auch nicht mehr bei Schönberg meldete. Schließlich wurde "Ein Überlebender aus Warschau" im November 1948 uraufgeführt, von einem ehrgeizigen Laienensemble in der Wüste in New Mexiko.
Auch Richard Strauss komponierte Ende des Zweiten Weltkriegs eine von tiefer Trauer und Betroffenheit geprägte Reaktion auf die Zerstörungen durch den Zweiten Weltkrieg: die Metamorphosen. Auch dieses Werk ist ein musikalisches Mahnmal gegen den Krieg – allerdings mit einem gänzlich anderen Entstehungshintergrund, denn Strauss war als Präsident der Reichsmusikkammer den Nazis zu Diensten gewesen und wollte nicht sehen, wie verderblich dies war.
Der amerikanische Historiker und Musikkritiker Jeremy Eichler ist davon überzeugt, dass die Musik eine besondere Kraft besitzt, Geschichte lebendig werden zu lassen.
Diese bedrohte lebende Erinnerung hat ihre Verbündeten im kulturellen Gedächtnis, in Kunstwerken, die ihre Zeit überdauert haben. Die Kunst behält im Gedächtnis, was die Gesellschaft gerne vergessen würde.
So bringt Eichler in seinem Buch die Schrecknisse der Weltkriege und des Holocaust mit musikalischen Werken und der Lebensgeschichte der Komponisten zusammen. Dabei verblüfft er mit einer faszinierenden Fülle an Details und Quellenforschung.
Eichler ist mit diesem Band etwas Außerordentliches gelungen: ein ebenso erschütterndes wie kluges Buch, das musikalische Mahnmale der Zeitgeschichte und ihre Wirkungskraft mit Analysen der Zeitgeschichte verknüpft. Jeremy Eichler hat mit "Das Echo der Zeit" eines der bedeutendsten Musikbücher der vergangenen Jahre geschrieben.
Jeremy Eichler
"Das Echo der Zeit"
Die Musik und das Leben im Zeitalter der Weltkriege
Aus dem Englischen übersetzt von Dieter Fuchs
Verlag Klett Cotta
464 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag
32,00 Euro
Sendung: "Allegro" am 24. April 2024 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK
Kommentare (1)
Mittwoch, 24.April, 10:54 Uhr
Dieter Fuchs
Das Deutsch von Jeremy Eichler
In der schönen Rezension vermisse ich den Hinweis, dass das Buch auf Englisch verfasst und ins Deutsche übersetzt wurde, nämlich von Dieter Fuchs. Auch in den Angaben am Schluss des Textes fehlt dieser Name. Ich moniere das nicht nur aus Eitelkeit, es ist eine Frage des Anstands und Respekts - und sollte grundsätzlich inkludierend gehandhabt werden. #namethetranslator