Sie gilt als eine der besten Jazzsängerinnen Deutschlands: Jenny Evans. Vor 50 Jahren kam die Londonerin nach München, wo sie ursprünglich nur Deutsch lernen wollte. Doch dann entdeckte sie den Jazz für sich. Ihre Schwabinger Jazzbar "Jenny's Place" ist Stoff nostalgischer Erinnerungen, mit ihren Einspielungen – besonders für das Münchner Label ENJA – machte sie Geschichte. Im Jahr ihres 50. Bühnenjubiläums feiert sie am 20. Oktober 2024 ihren 70. Geburtstag.
Bildquelle: Jenny Evans
Sie singt mit einer warmen Alt-Stimme, einem beneidenswerten Timing und einem Stil, der an die großen Sängerinnen der 50er Jahre wie Chris Connor und Anita O'Day erinnert. Aber die beeindruckende Interpretin, die ihre Themen gerne jenseits des Mainstream-Tellerrands sucht, ist auch eine Frau des Wortes: Jenny Evans ist nämlich zugleich Linguistin, Autorin, Schauspielerin und Synchronsprecherin. Der tiefgreifenden Beschäftigung mit Sprache und Literatur verdankt sie als Sängerin eine lupenreine Diktion und ein ausgeprägtes Bewusstsein für den Gehalt der Texte und seine Vermittlung. Ihre Kunst lebt insgesamt von der Verzahnung ihrer Talente. Bevor sie in München Anglistik, Linguistik und Musik studierte, hatte sie schon als Externe in ihrer Heimatstadt London die Prüfungen am "Royal College of Speech and Drama" abgelegt.
Das Bühnenblut scheint ihr in die Wiege gelegt. "Schon als kleines Mädchen war ich immer die Erste, die sich gemeldet hat, wenn es etwas zum Singen gab, die Erste, die etwas vortragen wollte," erzählt Jenny Evans. Als Teenager hatte sie sechs Jahre Klavierunterricht beim später berühmten Cembalisten Trevor Pinnock und sang in Londoner Chören Werke der Alten Musik. Dieser Hintergrund fundierte später ihre Souveränität im Umgang mit Repertoire aus dem Bereich der Alten Musik, wie ihre Jazzinterpretationen von John Dowland und Thomas Morley Liedern zeigen.
"Radiojazznacht" am 27. Oktober 2024 um 00:03 auf Bayern2
Die Liebe zum Jazz entwickelte Jenny Evans erst in München, das ursprünglich nur eine Zwischenstation vor einer akademischen Laufbahn in England sein sollte. Zunächst sang sie im Münchner Universitäts- und Motettenchor, doch die vielen Jazzclubs der Isarmetropole hatten es ihr angetan. Sie machte spaßeshalber bei einer Dixieformation mit, mauserte sich aber im Handumdrehen zu einer gewieften Entertainerin und Swing-Sängerin, die mit der Münchner Jazz-Prominenz arbeitete, und das mit vollem Einsatz. Der Bandleader und Schlagzeuger Freddie Brocksieper allerdings verbat sich bei einem gemeinsamen Auftritt ihr "zirkuspferdartiges Herumgehüpfe", er spiele hier Cool Jazz. "Old Socks, New Shoes" hieß ihre 1981 noch während des Studiums gegründete, eigene Band, die, wie der Name andeutet, alte Standards in neuem Gewand präsentierte. Das war bis in die 90er Jahre hinein ihre Domäne. Der Kritiker Mátyás Kiss brachte es in der JazzZeitung auf den Punkt: "In sicherer Kehle befinden sich bei ihr die Standards, die nur wenige Sänger ihrer Generation so überzeugend, dabei so unterschiedlich zu gestalten wissen. Sie trifft nicht bloß die Töne, sondern auch das jeweils geforderte Feeling auf eine Weise, die auch die abgesungenste Nummer wieder anhörbar macht."
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Jenny Evans - Shiny Stockings
Von 1985 bis 1989 machte sie als Leiterin der Schwabinger Jazzbar "Jenny's Place" Furore. Jenny Evans beschreibt die Winzigkeit und Enge des Lokals gerne damit, dass die Bläser über die Bühne ragten und die Kondenstropfen der Posaunen in die Biergläser der darunter sitzenden Gäste fielen. Da auch die Bühne so klein war, dass Notenständer ein Unding gewesen wären, legte Jenny die Noten auf das Klavier. Bis zu 70 Besucher konnten dichtgedrängt bis drei Uhr morgens gemeinsam in ihrem Club schwitzen. Und doch fanden alle dieses Lokal urgemütlich. Es wurde – wie man heute sagt – "Kult". "Jenny's Place" wurde sogar in der Tatortfolge "Spielverderber" verewigt, in der die Sängerin eine Rolle neben Götz George spielte. So erlangten Jenny Evans und ihr Club mehr als nur lokale Berühmtheit. Tagsüber wurde ihr "Place" zum Proberaum und abends sang sie gelegentlich mit den dort auftretenden Bands und den Musikern, die nach ihren Konzerten dort noch jammten.
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Jenny Evans sings "Softly As In A Morning Sunrise"
1988 legte Jenny Evans mit "Whisper Not" ihre erste Schallplatte vor. Als ab 1997 ihre Alben auf dem berühmten Münchner Label Enja erschienen, wuchs ihr internationaler Ruf. Das erste davon war "Shiny Stockings", ein Dokument der Freundschaft mit dem Trompeter Dusko Goykovich. Ihre Tätigkeit als Texterin seiner Songs war der Keim für eine bald schon weitreichende Tätigkeit als Autorin und Komponistin. Vor allem das Album "Nuages" im Jahr 2004 wurde für sie zum Karriere-Meilenstein, als es auf die Bestenliste für den Preis der deutschen Schallplattenkritik gesetzt wurde. Es ist ihr ganz persönliches, europäisches "Song Book", das Epochen, geographische und stilistische Grenzen überbrückt und auf dem sie sogar auf Latein singt. Sie bringt "Veris leta facies" aus Carl Orffs "Carmina Burana" oder Stücke von Henry Purcell und anderen englischen Komponisten des 17. Jahrhunderts zum Swingen. Die Begegnung von klassischem Repertoire und Jazzinterpretation ist zwar heutzutage nicht ungewöhnlich, doch selten geschieht es so in so verblüffender Natürlichkeit, dass man gar nicht von Grenzüberschreitung sprechen kann.
Vom gleichen offenen Geist, von der gleichen Fähigkeit, Disparates zu einer Einheit zusammenzuschmelzen, lebt ihr Album "Christmas Songs" (2005) mit europäischen und amerikanischen Weihnachtsliedern. Seither lassen sich zwei Schwerpunkte bei ihren Veröffentlichungen feststellen: Konzeptalben mit interessanten Themen wie z.B. "Lunar Tunes" (2008) mit Songs, die um den Mond kreisen und die konstante Suche nach älteren jazztauglichen europäischen Songs, wie etwa beim 2009 vom Bayerischen Rundfunk aufgenommenen "Are You The Man? A New Peter Kreuder Song Book". Welchem Repertoire sich Jenny Evans auch widmet, ob sie ein Shakespeare-Sonett vertont oder zu einem Stück von Eric Satie ein Gedicht von Christian Morgenstern vorträgt: Ihre Darbietung verbindet den authentischen Gefühlsausdruck mit dem Einfühlungsvermögen einer Schauspielerin: "Unglücklich verliebt zu sein ist die Basis für sehr viele Lieder – ich war's nie. Ich kann mich aber in diese Rolle versetzen."
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Jenny Evans "Even Without You" live im Bürgerhaus Gräfelfing
Maßgeblichen Anteil an ihrem Erfolg hatte der Schlagzeuger Rudi Martini, den Jenny Evans 1999 heiratete. Als ehemaliger Manager in der Plattenindustrie stellte er sein Know-how in ihren Dienst, produzierte ihre Alben und fungierte als ihr Manager, PR-Mann und Agent. 2009 wurde bei ihm eine Alzheimer-Erkrankung festgestellt. Jenny Evans pflegte ihn selbst hingebungsvoll. "Sein Tod 2015, die Trauer und mein völliges Zerbrechen hat mir vieles über mich und das Leben gezeigt," erklärte sie 2019. Um ihre Erfahrungen weiterzugeben, arbeitet sie seit 2019 ehrenamtlich als Pflegebegleiterin bei Demenzkranken.
Jenny Evans | Bildquelle: Jenny Evans "Nach einigen schweren Krankheiten habe ich gelernt, dass man im Jetzt leben soll. Dafür muss man aber in sich gehen und wissen, was einem guttut. Als Sängerin bin ich selbst meine größte Kritikerin – das führt jedoch nicht zwangsläufig zu Verunsicherung. Ich beobachte und höre mir und Anderen sehr genau zu. Man darf sich nicht auf den Lorbeeren ausruhen. Ich will mich immer neu erfinden und das ist das Schöne an der Jazzmusik", erklärte Jenny Evans, die immer noch, wenn auch seltener auftritt, in einem Interview zum 65. Geburtstag. Während einer lebensbedrohlichen Hirnhautentzündung fing sie 1993 an zu malen, was, wie sie es bezeichnet, zu einer "Manie" wurde. Obendrein hat sie zwei angefangene Romane in der Schublade. Weder Schicksalsschläge noch Krankheit können die vielseitig Kreative beim "Sich-Selbst-Immer-Neu-Erfinden" stoppen. "Ich habe 2001 auf einer Live-CD ein Lied mit dem Titel 'I'm Gonna Live Till I Die' gesungen und das ist eigentlich das Motto meines Lebens."