Die Bayreuther Festspiele starten mit einer Neuproduktion von Richard Wagners "Tristan und Isolde". Dramaturg Andri Hardmeier erklärt, warum für die aktuelle Inszenierung die Vorgeschichte der Titelhelden so bedeutend ist.
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BR-KLASSIK: Herr Hardmeier, Richard Wagner hat einmal selbst gesagt, dass ihn nur mittelmäßige Aufführungen des "Tristan" retten würden, denn die richtig guten machen die Leute verrückt ...
Andri Hardmeier: Was Wagner da ja anspricht, ist, dass es im "Tristan" um solche emotionalen Tiefen geht, in der Musik und insbesondere bei den Protagonisten, dass es tatsächlich manchmal kaum auszuhalten ist.
BR-KLASSIK: Würden Sie diese Oper als eine Droge beschreiben?
Andri Hardmeier: Eine Droge? Weiß ich nicht. Aber sicher etwas, dem man sich nicht entziehen kann. Etwas Rauschhaftes.
BR-KLASSIK: Bei "Tristan und Isolde" findet schon im Vorfeld eine ganz wichtige Geschichte statt. Wie essenziell ist das für die Inszenierung?
Andri Hardmeier: Das ist absolut wesentlich, um "Tristan und Isolde" zu verstehen, weil es fast keine äußere Handlung gibt – wenn man von den letzten Szenen der drei Akte absieht, wo die Welt wieder einbricht. Ansonsten hat die Handlung hauptsächlich im Vorfeld stattgefunden. Es geht eher darum, sich mit dieser auseinanderzusetzen. Insofern war der Blick in die Vorgeschichte für uns ganz wesentlich.
BR-KLASSIK: Die Liebesgeschichte von "Tristan und Isolde" beginnt ja denkbar schlecht. Isolde verliebt sich im Grunde in den Mörder ihres Verlobten. Ein furchtbares Szenario.
Andri Hardmeier: Ja, obwohl für uns die Vorgeschichte noch viel früher beginnt. Die Charaktere dieser beiden Figuren definieren sich ganz stark auch aus ihrer Kindheitsgeschichte, aus den ganzen Ansprüchen, die an sie in ihrem ganzen Leben herangetragen worden sind. Nur so versteht man eben diesen Moment des Sich-Verliebens, auf den Sie ansprechen. Tristan ist als Waisenkind aufgewachsen, sein Vater wurde noch vor seiner Geburt ermordet, seine Mutter ist bei der Geburt gestorben. Er ist als Held erzogen worden, wurde der Liebling aller. Gleichzeitig ist er aber, und das steht schon in der mittelalterlichen Vorlage von Gottfried von Straßburg, ein durch und durch depressiver Charakter gewesen, der quasi das ganze Glück um sich herum hatte, aber nie wirklich glücklich sein konnte.
In der Vorgeschichte geht er als Tantris zu Isolde, um von ihr geheilt zu werden, weil er sich mit dem Gift von Morolds Schwert verwundet hat. In dem Moment, wo er da liegt und Isolde erkennt, dass dieser Tantris ihr Erzfeind Tristan ist und sie das Schwert erhebt, um den Mord an ihrem Verlobten zu rächen, in dem Moment, wo sich die beiden in die Augen schauen, da passiert etwas bei beiden. Das ist nicht einfach Liebe auf den ersten Blick, sondern da geht ganz viel ab in den beiden Persönlichkeiten, weil sie wohl zum ersten Mal das Gefühl haben, von jemandem als das erkannt zu werden, was sie wirklich sind, und nicht in der Rolle, in der sie sich normalerweise behaupten müssen: entweder als der hehre Held oder als die Prinzessin, die eigentlich nur aus politischen Gründen verschachert wird. Auf diesen einen Moment spielt Isolde auch im ersten Akt an, wenn sie sagt: 'Er sah mir in die Augen'. Das war dieser eine Moment, an den die beiden wieder herankommen wollen.
BR-KLASSIK: Dann sind es die beiden Menschen, die im Fokus Ihrer Inszenierung stehen. Diese große Liebesgeschichte?
Andri Hardmeier: Es geht es bei uns ganz sicher nicht um die romantische Liebe der beiden, sondern darum, dass sie etwas erlebt haben in diesem einen Moment des Sich-in-die-Augen-schauens. All das, was sie definiert hat, ist in diesem Moment obsolet geworden. Das kann man als Liebe bezeichnen. Wir arbeiten hier überhaupt nicht gegen die Liebe, sondern wir sehen eigentlich diese drei Akte oder diese innere Handlung als den permanenten Versuch, an diesen Punkt heranzukommen und zu realisieren, dass es das vielleicht in dieser Welt tatsächlich nicht gibt.
BR-KLASSIK: Welche Rolle spielt der Liebestrank in Ihrer Inszenierung?
Andri Hardmeier: Eine ganz große Rolle. Die Frage stellt sich natürlich in jeder Inszenierung: Wie geht man damit um? Der Liebestrank ist ja etwas, was in der mittelalterlichen Vorlage absolut Sinn macht. Bei Gottfried von Straßburg war der Liebestrank für Isolde und Marke gedacht, damit da eine gute Ehe draus wird. Dummerweise haben dann Tristan und Isolde ihn zuvor getrunken, weil sie einfach Durst hatten. So einfach ist es tatsächlich in der ursprünglichen Geschichte von Gottfried von Straßburg. Bei Wagner ist es irgendwie komplett anders. Das steckt ja schon in der Musik, schon im Vorspiel. Insbesondere Isolde wäre nicht so dermaßen aufgewühlt in diesem ersten Aufzug, wenn nicht davor etwas Unglaubliches, Unfassbares im wahrsten Sinne des Wortes stattgefunden hätte. Insofern fragt man sich natürlich: Wozu brauchen die überhaupt einen Zaubertrank? Wir sind nicht die ersten, die sich mit dieser Frage auseinandersetzen. Auch Thomas Mann hat schon gesagt, dass sie genauso gut auch hätten Wasser trinken können.
Wir glauben, es geht vielmehr um diesen einen Moment, in dem Isolde Tristan dazu bringt, den Todestrank zu trinken oder trinken zu wollen. Es geht gar nicht darum, ob sie den wirklich trinken oder nicht, sondern es geht darum, diesen einen Moment aus der Vorgeschichte wiederherzustellen, wo Tantris verwundet liegt und Isolde mit dem Schwert über ihm steht. In gewisser Weise hat sie ihn in ihrer Macht, und Tristan tritt komplett aus seiner Heldenrolle heraus. Genau diesen Moment erreicht Isolde, indem sie Tristan den Todestrank gibt. Darum geht es, um die Entscheidung, gemeinsam diesen Trank trinken zu wollen und sich in dem Moment in die Augen zu schauen. Um an den Punkt, den sie sich so sehnlichst wünschen, heranzukommen.
Es ist eine sehr erfüllende Zusammenarbeit.
BR-KLASSIK: Wie funktionieren Sie als Regieteam miteinander?
Andri Hardmeier: Es ist eine sehr erfüllende und vor allem sehr enge Zusammenarbeit. So wie es sich eigentlich jeder Dramaturg wünscht. Oder ich mir zumindest. Ich bin bei jeder Probe, auch bei jeder Beleuchtungsprobe. Wir arbeiten sehr, sehr eng miteinander.
BR-KLASSIK überträgt die Eröffnungspremiere von "Tristan und Isolde" am 25. Juli ab 15:57 Uhr live in allen ARD-Kulturwellen und ab 16:00 Uhr im Video-Livestream. Eine TV-Aufzeichnung der Premiere ist am Samstag, 27. Juli, um 20:15 Uhr in 3sat zu sehen.
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