Am 27. Januar jährt sich die Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau zum 80. Mal. Einige wenige Überlebende sind für diesen Gedenktag nach Polen gereist, um im Museum des ehemaligen Lagers Reden zu halten. Wie entmenschlicht und stumpf das Denken der Nazis war, spiegelt sich auch in den Orchestern wider, die es in einigen KZs gab: eine perfide Form der Folter. Auch das Mädchenorchester von Auschwitz war so eine "Kapelle", gegründet 1943.
Bildquelle: © Gustav Mahler Foundation
Sie spielten, wenn ein SS-Offizier Geburtstag hatte. Sie spielten, wenn ranghoher Besuch nach Auschwitz kam: Vor allem Märsche und Schlager schätzten die deutschen Nazis, diese Musik gehörte zum Fundament ihrer "moralisch überlegenen und heroischen Kulturnation". Gespielt wurde aber auch während des Lageralltags. Und weil mit Musik alles besser geht, musste das Orchester weitere Aufgaben erfüllen. Die Jüdin Esther Bejarano war dabei: "Die Funktion vom Mädchenorchester in Auschwitz war natürlich die, dass wir am Tor stehen und spielen mussten, wenn die Arbeitskolonnen ausmarschierten. Diese armen Leute, die mussten im Gleichschritt 'Marsch, Marsch' nach unserer Musik gehen. Und das war wirklich furchtbar."
Das Tor des Konzentrationslagers Auschwitz II Birkenau | Bildquelle: Beata Zawrzel/picture alliance/NurPhoto Das Mädchenorchester in Auschwitz wurde von der SS gegründet. Als Leiterin wurde eine polnische Katholikin, "die Tschaikowska", eingesetzt, die entschied, wer mitspielen durfte. Für die Musikerinnen bedeutete dies bessere Haftbedingungen und Schutz vor harter körperlicher Arbeit. Zofia Tschaikowska nutzte ihre Position nie aus. Esther Bejarano erinnert sich: "Was kannst du denn spielen? Ich sagte: Klavier. Daraufhin hieß es: Nee, Klavier haben wir nicht." Man bot ihr an: "Wenn du Akkordeon spielen kannst, prüfe ich dich. Du hast Glück, du musst den deutschen Schlager bei den Frauen spielen, Bellamy." Bejarano lernte dank ihres guten Gehörs das Akkordeonspielen buchstäblich auf Knopfdruck und wurde ins Orchester aufgenommen.
Wir haben zueinander gehört und das hat absolut zum Überleben geholfen.
Anita Lasker-Wallfisch mit ihrem Enkel, dem Cellisten Simon Wallfisch | Bildquelle: © picture alliance/BREUEL-BILD Auch die politische Gefangene Anita Lasker-Wallfisch wurde ins Orchester aufgenommen. "Ich spielte Cello, und das war wichtiger als jedes andere Instrument, denn es gab dort kein Cello." Es hieß: "Gott, das ist fantastisch – ein Cello, endlich haben wir tiefe Noten." Mit der Geigerin Alma Rosé, die in Wien bereits das Ensemble "Wiener Walzermädel" geleitet hatte, erhielt das Orchester eine exzellente Leiterin. Auch sie: Jüdin und Häftling in Auschwitz. "Das war die Tochter von Arnold Rosé, der war jahrelang Konzertmeister bei den Wiener Philharmonikern gewesen. Und ihr Onkel war Gustav Mahler. Ich meine, die kam aus einem musikalischen Background, der geradezu kolossal war."
Entsprechend hoch war der künstlerische Anspruch von Alma Rosé. Sie schien die katastrophalen Bedingungen auszublenden und wollte vor allem musizieren, erinnert sich Anita Lasker-Wallfisch. "Die war wahnsinnig streng und wir sind getriezt worden wie verrückt. Aus nichts musste die da irgendwas machen." Damit war allerdings die Orchestermanagerin, also die politische Gefangene Zofia Tschaikowska, nicht einverstanden. "Die wollte kein gutes Orchester für die SS machen. Die hat gesagt, wir machen nur das Nötigste."
Esther Bejarano | Bildquelle: picture alliance / SvenSimon | Malte Ossowski/SVEN SIMON Für Esther Bejarano und alle anderen Musikerinnen begann im Jahr 1944 die schlimmste Zeit. Auf Befehl der SS mussten die Frauen zur Ankunft der Züge spielen, deren Gleise direkt zur Gaskammer führten. Die SS schickte diese Jüdinnen und Juden mit deutscher Marschmusik in den Tod. "Wir wussten, dass die ins Gas gehen. Aber die Leute wussten das natürlich nicht. Die haben uns zugewunken. Und wir standen da mit Tränen in den Augen, weil nicht helfen konnten. Wir konnten auch nicht aufhören zu spielen, weil hinter uns die SS mit ihren Gewehren stand." Von den 40 bis 50 Frauen, die im Mädchenorchester von Auschwitz spielten, haben vermutlich 20 bis 30 das KZ überlebt. Esther Bejarano trat als politische Aktivistin gegen Nazis und Sängerin in Erscheinung. Anita Lasker-Wallfisch wurde Cellistin und begründete das English Chamber Orchestra.
Alles was bleibt ist Hoffnung. Die Hoffnung, dass womöglich letzten Endes der Verstand siegt.
Sendung: "Allegro" am 27. Januar ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK
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