Die Dirigentin Shiyeon Sung gilt in ihrer südkoreanischen Heimat als Pionierin am Pult. Letztes Jahr debütierte die international gefragte Musikerin beim Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks. Bei ihrem zweiten Gastdirigat überrascht sie mit einem außergewöhnlichen Programm, in dem sich farbenreiche Klänge zweier Komponisten des 20. Jahrhunderts verschränken.
Bildquelle: Astrid Ackermann
BR-KLASSIK: Sie waren letztes Jahr beim Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks und haben Ihr Debüt in einem Konzert der Reihe musica viva gegeben. Nun stehen Sie wieder am Pult des Orchesters. Hat Sie dieses schnelle Wiedersehen überrascht?
Shiyeon Sung: Ja, ich war sehr überrascht, aber sehr positiv überrascht. Ich habe mich wahnsinnig gefreut und empfinde es wirklich als eine große Ehre, in so einer kurzen Zeit mit diesen wunderbaren Musikerinnen und Musikern wieder zusammenarbeiten zu können. Eine Riesenüberraschung und eine große Freude.
BR-KLASSIK: Haben Sie ein Gefühl der größeren Vertrautheit, weil Sie jetzt das zweite Mal vor dem Orchester stehen?
Shiyeon Sung: Als Dirigentin empfinde ich immer eine gewisse Aufregung. Jeder Auftritt ist anders, jedes Programm ist anders und auf seine Weise spannend. Deshalb bin ich auch jetzt wieder freudig aufgeregt.
Es ist wunderschön, mit anderen Menschen zu musizieren.
BR-KLASSIK: In Ihrer Biographie ist zu finden, dass Sie als erste südkoreanische Dirigentin gelten, die mit international bedeutenden Orchestern zusammenarbeitet. Inwiefern sind Sie für Ihr Land eine Art Pionierin? Ist in Südkorea eine Dirigentin etwas Außergewöhnliches?
Shiyeon Sung: Als ich meine Karriere begonnen habe, war ich durchaus eine Pionierin, aber mittelweile gibt es mehrere südkoreanische Dirigentinnen, die auch international tätig sind. Ich habe einige Kolleginnen getroffen, die von mir anscheinend inspiriert wurden. Sie haben gesehen, dass ich als Frau am Pult stehe und dirigiere. Daraufhin haben sie sich entschieden, auch diesen Weg einzuschlagen. Das bewegt mich sehr. Dass ich sozusagen ein kollegialer Wegweiser sein darf, das ist eine schöne Sache.
BR-KLASSIK: Wie war denn Ihr Weg zum Dirigieren? Wie kamen Sie auf die Idee, Dirigentin zu werden?
Das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks | Bildquelle: BR Shiyeon Sung: Ach, das war eher ungeplant. Eigentlich wollte ich einfach eine gute Musikerin werden. Mein Instrument war das Klavier. Davon, Dirigentin zu werden, habe ich nicht im Entferntesten geträumt. Aber mein Professor an der Hochschule der Künste in Berlin hatte mich angeregt, meinen Blick nach außen zu öffnen und mich nicht nur mit dem Klavier – und insofern mit mir selbst – zu beschäftigen, sondern auch mit Orchestermusik. In der Berliner Philharmonie habe ich dann viele wunderbare Proben besucht, zum Beispiel mit den Dirigenten Claudio Abbado und Bernhard Haitink. Etwas später hat mich ein Schwarz-Weiß-Video von Furtwängler buchstäblich vom Hocker gerissen. Mich hat es so fasziniert zu sehen, wie ein Mensch seine Inspiration, seine strahlende Energie auf über 80 Leute im Orchester überträgt. Das war magisch. Und dann habe ich mich gefragt, ob ich das nicht auch machen möchte. Und ich habe es einfach ausprobiert. Es ist wunderschön, mit anderen Menschen zu musizieren, zu kommunizieren und nicht nur fünf, sechs Stunden am Tag am Klavier zu sitzen und zu üben. Und Gottseidank hat es geklappt.
Das Konzert wird am Freitag, 24. November, ab 20:05 Uhr live aus der Isarphilharmonie im Gasteig HP8 in München übertragen.
Anton Barakhovsky, Violine
Sebastian Klinger, Violoncello
Maurice Ravel: "Boléro"
György Ligeti: "Concert Românesc"
Maurice Ravel: "Tzigane"
Györgi Ligeti: Violoncellokonzert
Maurice Ravel: "Ma mère l'oye"
Shiyeon Sung, Leitung
Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks
BR-KLASSIK: Sie haben Ihren Lebensmittelpunkt inzwischen nach Berlin verlagert, da Sie viel in Europa gastieren. Mit Blick auf Korea: Welchen Stellenwert hat dort die klassische Musik? Einen ähnlichen wie hierzulande?
Shiyeon Sung: Ich würde sagen, nicht ganz ähnlich. Es hat sich mit der Zeit entwickelt. Wir haben einige Stars, auch junge Solisten – und die haben neues Publikum für die klassische Musikszene gebracht. Aber wir haben in Korea längst nicht so viel Alltagspublikum wie hier in Deutschland. Dafür ist die Leidenschaft sehr, sehr intensiv. Für ein gutes Konzert in Seoul reisen die Musikliebhaber schon mal 400 Kilometer an. Dahinter steckt eine unglaubliche Passion für klassische Musik.
BR-KLASSIK: Sie geben Konzerte in den USA, in Europa und sind mit südkoreanischen Orchestern wie der Korea National Opera und dem Seoul Philharmonic Orchestra verbunden. Inwiefern profitieren Sie von dieser kulturellen Vielfalt, die Sie auf diese Weise erleben?
Shiyeon Sung: Zu Beginn meiner Karriere hatte ich mit den unterschiedlichen Musikkulturen und Arbeitsweisen durchaus Schwierigkeiten. In Asien arbeitet man ein bisschen anders als in Europa. Zum Beispiel in der Art und Weise, wie man mit den Musikerinnen und Musikern im Orchester spricht, wie man sich in den Proben verhält.
BR-KLASSIK: Wie kann man sich das "Anders" konkret vorstellen?
Shiyeon Sung: Mit europäischen Orchestern spreche ich viel offener und eigentlich auch auf der gleichen Ebene. Die Kommunikation ist einfacher und schafft eine entspanntere Atmosphäre. Ich liebe das.
Das ergibt eine Magie wie im Traum.
BR-KLASSIK: Das Konzertprogramm verzahnt mit dem "Bolero", dem "Concerto romanesc", der virtuosen Violinkomposition "Tzigane", einem avantgardistisch-geräuschhaften Cellokonzert und der Suite "Ma mère l’Oye" Werke des ungarischen Komponisten György Ligeti und des Franzosen Maurice Ravel. Beide gelten als Vertreter des 20. Jahrhunderts. Wo sehen Sie Verbindungen, die sich im gespielten Repertoire ergeben?
Shiyeon Sung: Auf den ersten Blick vielleicht nicht. Doch beide Komponisten sind für mich Erneuerer, die neue Wege gehen. Ligeti hat ab den 1960er-Jahren die Mikropolyphonie entdeckt und daraufhin sehr viele wunderschöne Stücke geschrieben, die bis heute unsere Musik auch prägen. Maurice Ravel offenbarte zum Beispiel in seinem Boléro, wie man aus einer ganz schüchternen Melodie eine ungeheure Spannung aufbaue und sich eine kreative Idee aus dem Nichts von Null auf Hundert steigern kann. Beide haben sich auf Farben und Formen konzentriert, darin haben sie für mich eine gewisse Basisähnlichkeit.
Mit europäischen Orchestern spreche ich viel offener.
BR-KLASSIK: Und wohin geht für Sie die musikalische Reise in diesem Konzert?
Shiyeon Sung: Sicherlich ist es unkonventionell und fast amüsant, das Konzert mit dem Boléro zu beginnen. Der wird normalerweise als letztes Stück gespielt. Bei uns tauchen wir nach Ravels Orchesterexperiment in die schillernde, bunte Farbenwelt von Ligeti ein und kehren schließlich ins Märchenhafte von Ravel zurück. Das ergibt eine Magie wie im Traum, die uns Hoffnung schenkt. Wir erleben zunächst diese Spannungen, die sich am Ende sehr positiv und weich und warm auflösen. Dieses gute Gefühl möchte ich dem Publikum mitgeben.
Sendung: "Leporello" am 22. November 2023 ab 16:05 Uhr auf BR-KLASSIK
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