Das Motto der Salzburger Festspiele 2023 lautet: "Die Zeit ist aus den Fugen". Burgtheaterchef Martin Kušej lässt seine Antihelden in der Neuinszenierung von Mozarts "Le Nozze di Figaro" in einer Tristesse spielen, die an einen Heizungskeller erinnert. Ein Vorbericht.
Bildquelle: Salzburger Festspiele I Matthias Horn
Einst hat der junge und rettungslos verliebte Graf Almaviva seine Rosina aus den Fängen eines alten Zausels befreit, zu sich auf sein Schloss geholt und geheiratet. Nach doch schon einigen Ehejahren ist der Lack der jungen Liebe ein bisschen ab. Man hat sich arrangiert. Und der Graf geht diversen amourösen Abenteuern nach. Sehr zum Missfallen seines Untergebenen Figaro.
Einzelkämpfer auf der Suche nach dem schnellen Kick.
Lobpreis der Liebe, unerfüllte Sehnsucht, heimliches Begehren, Jähzorn, zarte Hoffnung, abgrundtiefe Trauer – alles drin in Mozarts "Figaro". Und in den Menschen, die darüber singen. Als Tableau vivant empfangen uns die elf Hauptakteure, blicken starr aneinander vorbei oder ins Publikum … und erwachen am Schluss der Ouvertüre plötzlich zum Leben.
Die Premiere ist am Donnerstag, 27. Juli 2023 um 18:00 Uhr im Haus für Mozart. Die musikalische Leitung übernimmt Raphaël Pichon.
Einen Mitschnitt der Premiere sendet BR-KLASSIK am 7. August um 20:05 im Radio.
Verzweiflung.Leere. Auf der Suche | Bildquelle: Salzburger Festspiele / Matthias Horn
Und während die Musik einen turbulenten Tag vorwegnimmt, bröckelt die Fassade – und wir sehen, dass sich in manch einer Damenhandtasche nicht nur das Puderdöschen, sondern auch der Flachmann versteckt hat. Viel Einsamkeit macht Regisseur Martin Kušej bei seinem "Figaro"-Personal aus: "Das sind Einzelkämpfer, die einerseits auf der Suche sind nach dem schnellen Kick, einer schnellen Erotik, nach Sexualität." Und dann sieht der Regisseur noch die andere Seite: "Da sind die verlorenen Seelen, die durch die Bars ziehen oder durch die Großstadt und dort versuchen, Gleichgesinnte zu finden."
Eine gut bestückte und gut frequentierte Bar hat auch das Schloss von Graf und Gräfin Almaviva. Ganz in Gold gehalten, ist sie noch das eleganteste Etablissement des nicht mehr allzu herrschaftlichen Anwesens. Der große Rest? Nun ja. Vom Interieur hat man wohl einiges verkaufen müssen, und statt auf zierlichen "Louis XVI –Fauteuils" sitzt man zum Plaudern auch mal gern auf Müllsäcken.
Bildquelle: Guido Werner Von jeher gilt Mozarts "Figaro" als heiterer, eher unbeschwerter Bruder der vier Jahre jüngeren "Così fan tutte", die immer wieder als existenzbedrohende Beinahe-Tragödie inszeniert wird. Doch viel aufgedrehten Buffo-Spaß darf man sich bei Kušejs "Figaro" nicht erhoffen. Dafür ist wohl vielleicht zu viel passiert zwischen den Figuren – an Verletzungen, Übergriffen, Vernachlässigung. Und manchmal blitzt sie auf: die Reue, über das, was verkehrt gelaufen ist. Bariton Andrè Schuen, der den Grafen singt, ist froh um diese "andere" Seite, sonst sei er aggressiv, Macho, Alphamann. In diesen Szenen läge eine wichtige Facette:
Das sind auch die Momente, die mir als Figur schon wichtig sind, weil man als Graf sonst schnell eindimensional wird.
Wobei in der aktuellen Salzburger Produktion auch die Gegenseite, sagen wir mal so, "nichts anbrennen lässt". Die Liebe zwischen Graf und Gräfin ist fragil und die Eitelkeit des Grafen steht jeder tiefgehende Liebe in dieser Beziehung im Weg, interpretiert der Darsteller selbst.
Etwas Anderes wollen, als man geben kann, tief fühlen und sich selber im Weg stehen, nicht formulieren können, was einem wichtig ist – keiner hat diesen Spagat musikalisch so hingekriegt wie Mozart. Regisseur Martin Kusej: "Ich höre bei Mozart natürlich immer einerseits die Utopie, das Ideal; eine Art Sehnsucht, die da besungen wird. Und gleichzeitig ist es immer eine Musik, die brüchig ist, die unterschwellig andere Sachen erzählt. Aber darin liegt für mich genau die Spannung bei dieser Oper."
Kommentare (0)