Wir leben in einer patriarchalen Welt der Ungleichheit: Frauen verdienen im Schnitt 18 Prozent weniger pro Stunde als Männer, Frauen übernehmen den Großteil der Arbeit in Haushalt, Erziehung und Pflege, Frauen werden gesundheitlich schlechter versorgt, weil Männer in der Medizin die Norm sind. Auch als Kunst- und Kulturschaffende sind Frauen deutlich schlechter dran. Zwar wird das Bewusstsein dafür ganz langsam immer stärker – aber noch ist sehr viel Luft nach oben.
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Die Situation von Frauen im klassischen Musikbetrieb ist immer noch miserabel. Was für ein alter Hut! Aber – hilft ja nichts. Es folgen ein paar Zahlen, Daten, Fakten:
Stücke von Komponistinnen bei den Abonnementreihen deutscher Orchester: weniger als zwei Prozent. Dirigentinnen bei deutschen Orchestern: acht Prozent. Nur mal so zum Vergleich: Mehr als 30 Prozent der Studierenden in den Fächern Dirigieren und Komposition sind heute weiblich. Und Führungspositionen in Deutschland sind insgesamt immerhin auch zu ungefähr 30 Prozent in weiblicher Hand – nicht so im Musikbetrieb. Und was den Verdienst betrifft: Komponistinnen verdienen hier und heute im Schnitt 35 Prozent weniger als ihre Kollegen.
Das und mehr lässt sich nachlesen in der Kulturrat-Studie "Frauen in Kultur und Medien". Wie soll man da optimistisch bleiben? Vielleicht ist einfach die Zeit für klare, wütende Wort, unhappy ends, so wie sie die Österreicherin Olga Neuwirth in ihre Werke hineinkomponiert. Als erste Frau platzierte Neuwirth 2019 ein abendfüllendes Werk an der Wiener Staatsoper: ihre Oper "Orlando". Wow, nach 150 Jahren. Na ja, es gibt halt einfach mehr Männer, die komponieren. Oder? "Ich glaube, es gab nie zu wenig Komponistinnen", so Olga Neuwirth. "Die Musikgeschichte zeigt, dass Komponistinnen unterstellt wurde, sie könnten nicht abstrakt genug denken. Das ist ein Gedankengut aus einer sehr patriarchalen Gesellschaft."
Olga Neuwirth ist die erste Komponistin, die es mit einem abendfüllenden Werk an die Wiener Staatsoper geschafft hat. | Bildquelle: picture alliance/APA/picturedesk.com Neuwirth wurde dieses Jahr mit dem Ernst von Siemens Musikpreis ausgezeichnet, quasi der Nobelpreis für Musik. Preisgeld: 250.000 EUR. Neuwirth ist eine von vier Frauen, die den Preis jemals bekommen haben – neben 45 Männern. Es hängt am Goodwill der fast immer männlichen Stiftungsräte, Festivalleiter, Hochschulpräsidenten, wie weit eine Frau in den vorherrschenden Strukturen kommt. Dabei mangelt es nicht an Ideen, wie sich das ändern ließe. "Die Guerilla Girls haben in den 70er Jahren schon gesagt: Die Anschaffungsetats müssen gekürzt werden", meint die Kuratorin Adrienne Goehler, ehemalige Präsidentin der Hochschule für bildende Künste in Hamburg. "Wenn ihr keine Frauen findet, gibt’s eben kein Geld." Die Künstlerinnengruppe der Guerilla Girls haben das also schon vor 50 Jahren erkannt. Aber Geld regiert die Welt und wird von Männern verwaltet.
Auch wir als Medienmenschen haben einen Anteil an diesem unbefriedigenden Ist-Zustand der Ungleichheiten, erklärt die Musikwissenschaftlerin Elisabeth Treydte. In Komponistenportraits etwa würde hervorgehoben, wie viele Stücke die jeweiligen Komponisten geschrieben haben, wie produktiv sie seien, wie potent im Schreiben. Bei Komponistinnen hingegen neige man oft dazu zu unterscheiden: Sind das pädagogische Kompositionen, die einen didaktischen Auftrag erfüllen sollen, oder sind das "richtige" Kompositionen. "Ich bin überzeugt davon, dass wir dadurch bestimmte Wahrnehmungen manifestieren", so Treydte.
Weiß, männlich, Genie. Durchbeißen. Höherklettern. Ausstechen. Frauen da hinzucoachen, wo Männer sind, das scheint noch oft Strategie Nummer eins zu sein. Hanna Eimermacher ist Komponistin und hat es geschafft in die Riege der Frauen, die vom Komponieren leben können. Sie plädiert aber vielmehr dafür, dass Frauen ihren eigenen Platz in der Gesellschaft finden. "Wir tragen alle beide Prinzipien in uns, das männliche und das weibliche, aber das männliche Prinzip ist eben sehr viel stärker zur Zeit." Es müsse ein Raum entstehen, Dinge anders zu gestalten, ein Raum, der auf eine weibliche Art und Weise gefüllt werden darf, sagt sie.
Dinge anders gestalten. Damit ist gemeint, nicht einfach die Arbeitsweise der Männer zu imitieren, sondern einen eigenen Weg zu finden. Es anders zu machen, als männlich geprägte Strukturen es vorgeben. Diverser. Eine Menge Studien belegen, wie sehr wir alle davon profitieren, wenn wir Perspektiven verbreitern, uns innerlich weiten – wenn wir Macht abgeben und Arbeitswelten umgestalten.
Sendung: "Allegro" am 26. August 2022 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK
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