Die Vergabe der Grammys – sie gilt alle Jahre wieder als wichtigstes Event der Musikbranche. Der ganzen Musikbranche? Was ist mit der Klassik? Über die diesjährigen Gewinner:innen und ihre Bedeutung für die internationale Szene – eine Spurensuche.
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Wie jedes Jahr dauerte die Fernsehshow in der Nacht des 4. Februars 2023 drei Stunden und erfüllte alle Erwartungen inklusive Überraschungsauftritt, der heuer von Céline Dion kam. Die an einer seltenen neurologischen Krankheit leidende kanadische Sängerin verkündete unter tosendem Applaus das beste Album des Jahres, mit dem dann auch gleich Musikgeschichte geschrieben wurde.
Der Filmmusik-Komponist John Williams nahm seinen 26. Grammy Award entgegen. | Bildquelle: picture alliance AP Photo Chris Pizzello Taylor Swift bekam mit "Midnights" die Auszeichnung zum vierten Mal. Und damit ein Mal mehr als zuvor ihre männlichen Kollegen Paul Simon, Frank Sinatra und Stevie Wonder. Mit dabei auch Billie Eilish, die ihren Gewinnersong "What Was I Made For?" aus dem "Barbie"-Film sang. Der 92-jährige John Williams, der seinen 26. Grammy Award entgegennahm für ein Thema aus "Indiana Jones und das Rad des Schicksals". Den Preis für die beste Filmmusik bekam Ludwig Göransson für den Soundtrack zu "Oppenheimer", der auch bei den Oscars nominiert ist.
Die meisten der Grammy-Gewinner bekommen eine weniger glamouröse Verleihung am Nachmittag. Insgesamt werden immerhin Auszeichnungen in 94 Kategorien verliehen – genreübergreifend. Schon im Vorfeld gab es Jubel über die weibliche Dominanz bei den Nominierten im Pop-Bereich: Allein sieben Frauen für das Album des Jahres. Gräbt man in Richtung Klassik, sieht es nicht mehr so vorbildlich aus. Hier haben klar die Männer die Nase vorne: Etwa nur eine Frau unter den fünf nominierten "Produzenten des Jahres", zwei Frauen untern den fünf nominierten Dirigent:innen. Elaine Martone hat bei den Klassik-Produzentinnen das Rennen gemacht, als bester Dirigent mit den Los Angeles Philharmonic wurde Gustavo Dudamel für die Interpretation von Adès "Dante" ausgezeichnet.
Dirigent Yannick Nézét-Séguin konnte sich über seinen 4. Grammy Award freuen. | Bildquelle: © Hans van der Woerd Weiter gab es einen Grammy für die Aufsehen erregende Met-Aufzeichnung der Oper "Champion" von Terence Blanchard über einen schwulen, schwarzen Boxer – unter Yannick Nézet-Séguin, der damit auch schon seinen vierten Grammy bekam. Die Auszeichnung "Best Choral Performance" ging nach Finnland an das Uusinta Ensemble mit ihrem Dirigenten Nils Schweckendie und dem Helsinki Chamber Choir für ihre Aufnahme "Saariaho: Reconnaissance“. Beste Solo-Künstlerin wurde Yuja Wang für ihr Album "The American Project".
Was die Klassik angeht, sind die Grenzen der Internationalität klar gezogen. Der Fokus liegt auf amerikanischen Künstlerinnen und Klangkörpern. An europäischen Ensembles ist man nur bedingt interessiert. Natürlich ist das aus hiesiger Sicht enttäuschend. Aber die Grammys sind eine amerikanische Angelegenheit. Gegründet im Jahr 1959, wird der Grammy jedes Jahr von der privaten Organisation Recording Academy in Los Angeles vergeben. Und so sehr man sich in den letzten Jahren um mehr Diversität bemühte, der Blick über den großen Teich gehörte nicht unbedingt dazu.
Musikunternehmen und andere Fachleute, die bei der Recording Academy gelistet sind, können online Aufnahmen einreichen. Wichtig ist, dass die Aufzeichnungen zwischen Oktober des vorletzten Jahres und Oktober des letzten Jahres veröffentlicht wurden.
In jeder Kategorie werden von einer Jury fünf Kandidatinnen und Kandidaten nominiert und vorab verkündet. Bei Stimmengleichheit können es auch mehr oder weniger sein. Im Januar wird eine Liste mit allen Nominierungen veröffentlicht. Die endgültigen Preisträger werden erst bei der offiziellen Verleihungszeremonie Anfang Februar bekanntgegeben.
Die Pianistin Yuja Wang bekam einen Grammy für ihr Album "The American Project". | Bildquelle: Goran Nitschke So wie die Oscars haben sich die Grammys in den letzten Jahren darum bemüht, den gesellschaftspolitischen Veränderungen Rechnung zu tragen. 2020 kündigte man eine große Reform an, wollte mehr Frauen, mehr ethnische Gruppen. Die Recording Academy teilte mit, von den mehr als 2.300 eingeladenen Musikerinnen und Musikern sowie Mitarbeitenden der Musikindustrie seien nun die Hälfte weiblich, und ein Drittel aus einer unterrepräsentierten ethnischen Gruppe. Von den derzeit rund 13.000 Mitgliedern sollten nach Angaben der Academy je rund ein Viertel weiblich sein und unterrepräsentierten ethnischen Gruppen angehören. Überprüfen lässt sich das nicht, die Zusammensetzung der Jury ist nicht öffentlich einsehbar.
Dass die Recording Academy mit der Zeit gehen will, kann man auch an den in den letzten Jahren neu aufgenommenen Kategorien ablesen: 2023 kam die Auszeichnung für den besten Soundtrack für Videospiele dazu – dieses Jahr ging sie an Stephen Barton und Grody Haab für ihre Komposition zu "Star Wars Jedi: Survivor". Heuer neu gab es u.a. das beste Alternative Jazz Album, das die in Berlin geborene US-amerikanische Musikerin und Komponistin Meshell Ndegeocello einheimste.
Jessie Montgomery gewann einen Grammy für die beste zeitgenössische klassische Komposition. | Bildquelle: Jiyang Chen Photography Wer die Klassik, die E-Musik, sucht, muss bei den Listen der Kategorien übrigens geduldig scrollen: Die Klassik-Kategorien liegen auf den hintersten Preisplätzen. Und trotzdem: Ob dieser Preis für die Klassik relevant ist, kommt auf die Perspektive an. Ganz klar: Aus deutscher Sicht zählt der Preis der deutschen Schallplattenkritik unvergleichlich mehr. Und sogar der OPUS KLASSIK, der ähnlich wie die Grammys ein Musikindustrie-Preis ist, also einen kommerziellen Hintergrund hat. Wer aber über den eigenen Tellerrand blicken will, sollte die Klassik-Grammys auf dem Schirm behalten. Denn vielleicht lässt sich am Ende etwas entdecken, was bei uns sonst kaum Beachtung findet. Wie die Gewinnerin für den Grammy für die beste zeitgenössische klassische Komposition, die New Yorkerin Jessie Montgomery, die sich in ihrer Musik auf Umgangssprache und soziale Gerechtigkeit konzentriert.
Sendung: "Leporello" am 5. Januar 2024 ab 16:05 Uhr auf BR-KLASSIK
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