Der neue Chef der Innsbrucker Festwochen, der italienische Dirigent Ottavio Dantone, kündigte auf einer Pressekonferenz an, die Länge der dort gezeigten Barock-Opern an den heutigen Publikumsgeschmack anzupassen: "Kürzungen sind kein Verrat."
Bildquelle: picture alliance / EXPA / APA / picturedesk.com | EXPA
In Asien und den USA ist es ja nichts Ungewöhnliches, dass Opern zusammengestrichen werden, sogar vor Richard Wagner machen sie dort nicht halt, was hierzulande ein Sakrileg wäre. Im Barockfach dagegen gelten Kürzungen als lässlich, wenn die Liebhaber und Fachleute auch die Stirn runzeln.
Jetzt befeuerte der neue Intendant der Innsbrucker Festwochen die Debatte: Ottavio Dantone, der sich als Cembalist, Pianist und Dirigent einen Namen machte, sagte laut "Tiroler Tageszeitung": "Opern waren oft mehr als vier Stunden lang. Nicht zuletzt weil der Szenenumbau es notwendig machte und dafür Rezitative wiederholt werden mussten. Das braucht es inzwischen nicht mehr. Hier kann man kürzen, ohne die Vorlage zu verraten. Im Gegenteil: Man wird dadurch dem, was die Komponisten im Kopf oder Herzen hatten, gerechter."
Allessandro De Marchi - italienischer Dirigent und Cembalist | Bildquelle: (c) picture alliance/APA/picturedesk.com Vorgänger Alessandro De Marchi, der die Festwochen 14 Jahre lang leitete, galt dagegen als Fan von XXL-Versionen. Antonio Vivaldis "Olimpiade" (1734) wurde im vergangenen August mit zwei Pausen aufgeführt und nahm ca. vier Stunden in Anspruch. Geminiano Giacomellis "Cesare in Egitto" kam dagegen nur auf fast schon bescheidene drei Stunden Spieldauer. Und das alles ist gar nichts im Vergleich zu "Bayreuth Baroque", wo in der letzten Saison Georg Friedrich Händels "Flavio, Re de’Langobardi" gegeben wurde: Beginn der Vorstellung 19:30 Uhr, Ende gegen 23:40 Uhr! Mit Applaus dürfte da kaum jemand vor Mitternacht aus dem Markgräflichen Opernhaus gekommen sein. Insofern spricht manches für beherzte Striche.
Im Münchner Merkur hieß es denn auch nach der Innsbrucker Premiere von "Il Germanico" von Nicola Porpora im August 2015: "Die volle Länge, fünf Stunden inklusive zwei Pausen, riecht gewiss nach Zumutung. Und tatsächlich hätte man dem Team dringend jemanden gewünscht, der beherzt zum Rotstift greift." Das will sich Ottavio Dantone offenbar nicht zweimal sagen lassen. Er kündigte an, die Festwochen "durchzulüften" und die Fenster zu öffnen. Authentizität sei nicht gleichbedeutend mit einer "Fotokopie" von einer Barockoper, die Werke müssten vielmehr "konzeptionell und emotional" vermittelt werden.
Ob das ein Trend wird, muss sich noch erweisen. Immerhin hatte auch Dirigent Steffen Bücher vor einer Aufführung von Haydns Oratorium "Die Schöpfung“ in der Alten Oper in Frankfurt kürzlich in der Frankfurter Rundschau gesagt: "Wir werden dieses großartige Werk nicht von der ersten bis zur letzten Note auf die Bühne bringen, sondern behutsam kürzen. Man kann nicht in der Jetztzeit, wo sich die Schöpfung, unser Planet, so verletzlich und verletzt zeigt, die ‚Schöpfung‘ als sozusagen museales Werk unkommentiert aufführen."
Bei den Bregenzer Festspielen ist es sei eh und je Brauch, alle dort gespielten Opern auf zwei Stunden Länge "einzudampfen", weil es bei rund 7.000 Zuschauern rein logistisch keine Pausen geben kann und die Vorstellungen wegen der hochsommerlichen Lichtverhältnisse spät beginnen. Es kommt also auf die Umstände an, und im Publikum wird sich die Zahl der "Musikphilologen", die auf jede Note Wert legen, ohnehin in Grenzen halten, ob in Bregenz, Innsbruck oder anderen Festspielorten. In Bayreuth übrigens wurde die berühmte "Gralserzählung" zum Finale des "Lohengrin" angeblich nur 1936 in der ungestrichenen XXL-Fassung gegeben. Seitdem hat sich die Kürzung, die auch bei der Uraufführung 1850 in Weimar mit Genehmigung des Komponisten vorgenommen worden war, als 2Normalversion" durchgesetzt. Insofern ist zwischen "Fotokopie" und "Authentizität" von Opern viel Platz für angeregte Debatten.
Kommentare (4)
Montag, 04.Dezember, 21:14 Uhr
Jochen Brachmann
Da-capo-Kürzungen wären indiskutabel!
Als Musikwissenschaftler würde ich gerne wissen, inwiefern Herr Dantone Kürzungen vornehmen wird. Wird er Eingriffe in Da-capo-Arien vornehmen? Wird er den Da-capo Teil womöglich streichen? Oder wird er ganze Arien und Szenen streichen? Oder nur Rezitative kürzen? Wenn künftig Eingriffe in die Da-capo-Arien vorgenommen werden, indem die Da-capo-Teile gestrichen werden, werde ich meine dortige Förderer-Mitgliedschaft beenden. In der Musik des Barock gehören - als improvisatorisches Element - die Verzierungen in den Da-capo-Arien zum Vortrag untrennbar dazu. Das Da-capo mit Verzierungen wird im Barock erwartet. Es ist einer der wesentlichen Bestandteile der Werksubstanz - unabdingbar - und keine bloße Zutat! Und Barock-Opern dauern nun einmal etwas länger als vielleicht andere Opern. Aber das wissen die Besucher von Barock-Opern. Und man liebt es! Wagner-Opern werden auch nicht gekürzt, nur weil sie recht lange dauern.
Sonntag, 03.Dezember, 10:52 Uhr
Manfred Schlösser
Opernkürzungen
Guten Morgen,
wenn man Opern kürzt um dem Geschmack der Zuschauer gerecht zu werden halte ich es für absolut indiskutabel, wundern wird es mich nicht. Denn viele Menschen (jeglichen Alters!) schaffen es heute nicht einmal für 90 Minuten (von Wagner Opern ganz zu schweigen) einfach nur ganz entspannt dazusitzen und zuzuhören, bzw. zuzuschauen. Für ein Getränk in der Pause reicht die Zeit meistens nicht, da diese genutzt werden muss um das Smartphone zu "checken".
Mit freundlichem Gruß
Manfred Schlösser (67)
Samstag, 02.Dezember, 16:59 Uhr
Renate Schulze
Kürzung von Opern
Warum laufen wir dem Zeitgeist immer dicht hinterher. Damit wir immer schnell zum nächsten Event können. Geduld zur Kunst verkommt zur Unterhaltung.
Ja, wirkliche Kunst ist manchmal anstrengend. Wollen wir wirklich RTL Niveau, billig und schnell zu konsumieren?? Das wäre schade, aber wenn verloren gewirtschaftet, dann ist es fast unmöglich, es zurück zu gewinnen.
Bitte Götterdämmerung oder Tristan in voller Länge und dann etwas sitzen bleiben und besonnen aufstehen und seelig nach Hause gehen.
Donnerstag, 30.November, 21:35 Uhr
Janis Jeske
Das Einkürzen von Opern
Liebe BR-Klassik Redaktion,
Seit dem 19. Jahrhundert erleben wir in Deutschland, wie der Zuschauerraum während einer Vorstellung gänzlich verstummt und jede menschliche Regung, sei es ein Husten, mit bösen Blicken bedacht wird.
Es gibt quasi keine Möglichkeit während der Vorstellung, dem/der uninformierten Freund/in, wenigstens flüsternd z. B. mit der Handlung zu nachzuhelfen. Etwas gänzlich anderes im 17./18. Jhdt.: Wohlgemeint möchte ich die Opernhäuser dieser Zeit als große Kneipen bezeichnen, in denen es nichts verwerfliches war, auch menschlichen Bedürfnissen nachzugehen und der Adel sich nicht, wie gemeinhin kolportiert, ständig wie die Axt im Walde verhalten hat. War die Musik gut, wurde zugehört. Wenn nicht, Pech für den Komponisten. Ergo müsste nicht eingekürzt werden, wenn die Verhältnisse während der Vorstellung wenigstens etwas entspannter wären. Lasst die Leute mit GENUSS während der Vorstellung ihren Wein trinken, die junge Generation wird's danken.
MfG Janis (21)