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Geiger Andrea Cicalese Mit 18 an die Isarphilharmonie

Mit der Geige fing er an, weil ihm Klavier zu uninteressant war und das tiefe Cello ihm Angst machte. Am 27. Oktober gibt Andrea Cicalese sein Debüt in der Münchner Isarphilharmonie: mit dem Violinkonzert Nr. 1 von Max Bruch.

Bildquelle: Grenda Photography

Das Interview zum Anhören

BR-KLASSIK: Andrea, am 27. Oktober gibst du dein Debüt in der Isarphilharmonie in München. Wie fühlt sich das an?

Andrea Cicalese: Unglaublich! München fühlt sich für mich wie eine zweite Heimat an. Ich bin zwar in Italien geboren, aber eigentlich hier in München aufgewachsen. Es ist natürlich eine unglaubliche Ehre, das Bruch-Violinkonzert hier für mein Heimpublikum präsentieren zu dürfen! Ich freue mich sehr, dass es Leute gibt, die tatsächlich kommen und zuhören, was ich da zu sagen habe.

BR-KLASSIK: Es gibt Leute, die behaupten, München sei die italienischste Stadt Deutschlands. Wie siehst du das?

Andrea Cicalese: Also sagen wir so: München ist sehr italophil, aber das war's. (lacht)

Die Geige: Für Andrea Cicalese Liebe auf den ersten Blick

BR-KLASSIK: Kommen wir mal zu deinem Instrument. Warum Geige?

Andrea Cicalese: Ich habe tatsächlich erst mit dem Geige spielen angefangen, als ich nach München gezogen bin – meine ganze Ausbildung habe ich hier erhalten. Wir kannten damals eine italienische Familie in München, mit der wir uns immer getroffen haben. Und der Sohn dieser Familie hat Cello gespielt. Mein Vater spielt Klavier, aber das fand ich als Kind nicht so spannend: Du drückst eine Taste und es kommt ein Ton. Da fand ich das Cello viel faszinierender, weil man den Ton wirklich kreieren kann und ihm eine Struktur geben kann – man kann viel mehr Entscheidungen treffen. Das Einzige, was mich als Kind ein bisschen gestört hat, waren die tiefen Töne – die haben mir ein bisschen Angst gemacht. Und dann haben mich meine Eltern informiert, dass es ein ähnliches Instrument gibt, das man nur ein bisschen höher hält – und das heißt Geige. So ist das gekommen und seitdem habe ich immer weitergespielt.

BR-KLASSIK: Also war es Liebe auf den ersten Blick mit der Geige?

Andrea Cicalese: Ja, wirklich. Innerhalb von zwei Wochen habe ich entschieden, dass ich Geiger werden will. Und jetzt bin ich hier.

BR-KLASSIK: Du spielst ein Instrument von Guarneri del Gesù. Ich stelle mir vor, dass man damit extrem vorsichtig sein muss, weil diese Geige so wertvoll ist ...

Der Geiger Andrea Cicalese | Bildquelle: Andrea Cicalese Andrea Cicalese spielt eine Violine von Giuseppe Guarneri. | Bildquelle: Andrea Cicalese Andrea Cicalese: Es ist ein sehr ängstliches Leben (lacht). Aber die Geige ist versichert, es kann also nichts Großes passieren. Ich passe einfach auf und mache keinen Blödsinn damit. Das Problem ist eigentlich gar nicht der Wert, also das Geld, sondern eher: Wenn du eine Guarneri verlierst, verlierst du ein Stück Geschichte. Bei diesem Instrument fühlt es sich für mich an, als würde man plötzlich das gesamte Vokabular der deutschen Sprache injiziert bekommen. Dann hätte man alle Vokabeln, um alles auszudrücken, was man will. Die Kunst ist dann nur noch zu entscheiden, welche du brauchst. So ähnlich ist das bei der Guarneri mit den Klangfarben. Ich kann alles damit machen – ich muss nur hoffen, gute Entscheidungen zu treffen.

Wenn du eine Guarneri verlierst, verlierst du ein Stück Geschichte.
Andrea Cicalese

BR-KLASSIK: Also gibt dir die Guarneri wirklich mehr Möglichkeiten als die Geigen, die du davor hattest?

Andrea Cicalese: Auf jeden Fall. Es ist ein großer Unterschied. Ich glaube, jeder hört das.

Vor dem Konzert? Lieber keine Routinen!

BR-KLASSIK: Was ist denn dein Geheimtipp für eine gute Vorbereitung vor dem Konzert?

Andrea Cicalese: Ich habe ehrlich gesagt keine Routine. Ich habe jetzt im Sommer ein paar mehr Konzerte gespielt und festgestellt: Man kann sich meistens nicht an seine Routinen halten. Und dann wird man nervös, weil man bestimmte Routine-Sachen nicht geschafft hat. Also lieber keine Routine – einfach spielen.

Es fühlt sich an, als hätte ich auf der Bühne meine Seele geöffnet und einen Teil davon geteilt.
Andrea Cicalese

BR-KLASSIK: Und wie läuft das nach dem Konzert? Hast du Leute, mit denen du dich hinterher immer triffst, weil sie dir ein Feedback geben? Oder erst mal einen Schluck Wasser trinken, wenn du von der Bühne kommst?

Andrea Cicalese: Nachdem ich auf der Bühne war, fühle ich mich meistens sehr erschöpft und irgendwie leer. Es fühlt sich an, als hätte ich auf der Bühne meine Seele geöffnet und einen Teil davon geteilt. Ich habe danach nichts mehr zu sagen, weil ich auf der Bühne schon alles gesagt habe. Da muss ich mich immer erst mal hinsetzen. Manche Leute beschweren sich darüber – meine Managerin zum Beispiel. Sie sagt, dass ich schnell zu den Leuten hingehen und mit ihnen reden soll (lacht). Aber ich checke gar nichts nach einem Konzert.

Andrea Cicalese in der Isarphilharmonie München

Sonntag, 27. Oktober 2024, 15:30 Uhr 
Isarphilharmonie (Gasteig HP8)
Münchner Symphoniker, Ltg. Joseph Bastian
Solist: Andrea Cicalese, Violine
Werke von Mendelssohn Bartholdy, Bruch und Schumann
Weitere Infos zum Konzert

BR-KLASSIK: Gibt es irgendetwas, das du am Ablauf eines klassischen Konzerts verändern würdest, wenn du dürftest? Oder findest du es total super so?

Andrea Cicalese: Ich mag, wie klassische Konzerte ablaufen. Viele sagen, man soll mehr reden und das hat sicherlich auch seinen Charme. Aber wenn ich dann Leute sehe wie Horowitz, die auf die Bühne kommen – will ich dann wirklich, dass er vorher redet? Ich finde es schön, dass es dieses Mysterium vom Künstler gibt. Das ist natürlich kontrovers, aber ich finde das eigentlich schön.

Andrea Cicalese hat ein Faible für Melodik und Romantik

BR-KLASSIK: In der Konzertankündigung zu deinem Debüt in der Isarphilharmonie steht, dass du dir das Erste Violinkonzert von Max Bruch selbst ausgesucht hast. Warum?

Andrea Cicalese: Einfach weil ich das Konzert sehr schön finde, ehrlich gesagt. Ich habe mir gedacht: Wenn ich in München ein Konzert spiele, dann kann ich mich mit Bruchs Violinkonzert besonders gut präsentieren. Es ist sehr melodisch und romantisch. Ich denke, das sind meine Stärken und die würde ich gerne in München zeigen. Außerdem ist es ein sehr virtuoses Konzert und alles baut sich auf dem zweiten Satz auf. Er ist eine der himmlischsten Kompositionen, die je zustande gekommen sind. Deswegen finde ich es besonders rührend für mich, das Stück in der Isarphilharmonie spielen zu dürfen. Es gibt auch so viele Versionen davon. Deshalb fühle ich mich besonders geehrt, dass man sich anhören will, was ich dazu zu sagen habe.

Der zweite Satz in Bruchs Violinkonzert ist eine der himmlischsten Kompositionen, die je zustande gekommen sind.
Andrea Cicalese

BR-KLASSIK: Und nach der Isarphilharmonie: Was ist der nächste Saal, in dem du auf jeden Fall mal spielen willst?

Andrea Cicalese: Ich spiele im November in der Berliner Philharmonie. Das ist schon immer ein Traum gewesen. Ich komme mit dem Bayerischen Kammerorchester dahin und wir spielen Camille Saint-Saëns' "Introduktion und Rondo capriccioso". Das lerne ich gerade, ich habe es noch nie gespielt. Das ist wunderbar! Natürlich ist es auch ein Traum, irgendwann mal in der Carnegie Hall zu spielen. Ein persönlicher Traum ist auch das Teatro San Carlo in Neapel – die Stadt, aus der ich komme. Die Menschen in Neapel haben mir so viel gegeben und mir ermöglicht, zu der Person zu werden, die ich heute bin. Ich habe das Gefühl, es ist eine Möglichkeit, ihnen etwas zurückzugeben. Und das Einzige, was ich kann, ist Geige spielen, also muss ich das so machen.

Für Martha Argerich das Abi aufs Spiel gesetzt

BR-KLASSIK: Dann drücke ich dir die Daumen, dass das bald klappen wird. Du hast ja letztes Jahr Abitur gemacht. Wie lässt sich das mit einer aufstrebenden Musikerkarriere vereinen?

Andrea Cicalese und Martha Argerich | Bildquelle: Andrea Cicalese Treffen mit Martha Argerich: Der Geiger Andrea Cicalese kürzte dafür sogar seine Abiturprüfung ab. | Bildquelle: Andrea Cicalese Andrea Cicalese: Dazu habe ich tatsächlich eine ganz lustige Geschichte. Und zwar habe ich meine Mathe-Abiturprüfung frühzeitig beendet, weil ich die Chance hatte, Martha Argerich zu treffen und ihr vorzuspielen. Ich wusste, ich brauche 24 BE [BE = Bewertungseinheit], um einen Punkt zu bekommen und im ersten Prüfungsteil konnte man 25 BE erreichen. Ich hatte nicht die Zeit, die gesamte Prüfung zu schreiben – nach 50 Minuten musste ich los, um nach Leipzig zum Konzert von Sophie Pacini und Martha Argerich zu fahren. Also habe ich einfach nur den ersten Teil gelöst und gehofft, dass ich alles richtig habe (lacht). Der Plan ist tatsächlich aufgegangen. Sonst wäre ich durchs Abitur gefallen … Aber ich war vor dem Treffen mit Pacini und Argerich viel nervöser als vor dem Abi.

Sendung: "Allegro" am 25. Oktober 2024 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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