Mehr Komponistinnen, mehr Inklusion und auch die politische und gesellschaftliche Relevanz von Musik in den Vordergrund stellen - das sind die Pläne des neuen Chefdirigenten der Münchner Symphoniker. Diese Woche tritt Joseph Bastian seinen neuen Posten offiziell mit einem Konzert im Prinzregententheater an.
Bildquelle: © Andrej Grilc
BR-KLASSIK: Joseph Bastian, "Energie" ist das offizielle Motto Ihrer ersten Spielzeit bei den Münchner Symphonikern. Es geht darum, das Orchester als Kraftwerk zu entfalten – nach außen. Aber was ist denn Ihr inneres Motto, mit dem Sie ihre erste Spielzeit als Chefdirigent beginnen?
Joseph Bastian: Also Energie ist natürlich überhaupt ein Motto, was immer passt für ein Orchester - als Kraftwerk müssen wir alle kleinen Teilchen, alle Musikerinnen und Musiker zusammenfügen zur Einheit. Und das ist auch das, was mich praktisch von innen heraus motiviert und wie ich auch funktioniere. Und ich habe ein kleines Nebenmotto für mich: Komponistinnen. Das ist ein großes Thema, was viele Leute beschäftigt, was mich besonders beschäftigt und dem man hier in Bayern und in München, überall eigentlich auf der Welt, noch viel zu wenig Beachtung schenkt. Deswegen werden viele Komponistinnen gezeigt und gespielt, um zu zeigen, dass deren Rolle in der Musikgeschichte tatsächlich kleingeredet worden ist, klein gemacht worden ist. Und dass sie nicht deswegen gespielt werden sollten, weil sie Frauen gewesen sind oder Frauen sind, sondern einfach, dass ihre Musik fantastische Musik ist, die im Repertoire von jedem Orchester stehen sollte, genauso wie Mahler, Mozart, Haydn oder Beethoven.
BR-KLASSIK: Die letzten 20 Jahre lang war immer das Mantra in der Programmplanung: Verjüngung, wir brauchen ein neues Publikum. Education-Projekte sind wie Pilze aus dem Boden geschossen. Jetzt liegt der Fokus eher auf kultureller Diversität und auf Inklusion. Was haben Sie da mit den Münchner Symphonikern vor?
Bildquelle: Astrid Ackermann Joseph Bastian: Also, Education bleibt natürlich trotzdem ein fester Bestandteil des Orchesters. Die Münchner Symphoniker sind als Orchester wahrscheinlich das Orchester, was am meisten in diese Richtung macht, nicht nur als kleine Kammermusikgruppen, sondern als ganzes Orchester: Kinder kommen in die Proben, es werden Konzerte für Kinder gemacht. Für mich war ein besonderes Anliegen in der ersten Spielzeit, ein Projekt zu starten, wo tatsächlich Inklusion ganz im Zentrum steht. Wir haben mit den Kammerspielen hier in München ein Projekt nächstes Jahr. Und auch mit der LMU, also mit einem Lehrstuhl für inklusive Pädagogik, haben wir ein Projekt, was noch nicht ganz hundertprozentig steht - aber es sieht sehr gut aus, dass es stattfinden kann. Dass man endlich auch mal Inklusion in den Konzertsälen stattfinden lässt, auf der Bühne, hinter der Bühne und auch im Publikum. Wir haben da ein erstes Projekt, wo Down-Syndrom im Fokus steht. Und wir werden versuchen, das in den nächsten vier Jahren durchzudeklinieren mit anderen Formen der Behinderung und der Beeinträchtigung.
BR-KLASSIK: Sie sind ja zunächst Profimusiker im Orchester gewesen, Sie haben 14 Jahre lang als Bassposaunist gespielt hier beim Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks. Dann haben Sie das Dirigieren erst mal so ein bisschen heimlich für sich erobert - und sind jetzt Chefdirigent bei den Münchner Symphonikern. Davor haben Sie schon das Abaco-Orchester geleitet. Ich könnte mir vorstellen, dass es einige Stimmen gibt, die sagen: Super, jetzt haben wir endlich einen Maestro am Pult, der aus unseren Reihen kommt, der weiß, was es bedeutet, Konzerte abzuliefern, Höchstleistungen zu erbringen, immer wieder unter verschiedenen Dirigenten zu arbeiten. Die ganzen Proben auch durchzustehen, immer dabei zu sein. Ich könnte mir vorstellen, dass die Musikerinnen und Musiker im Orchester Sie eher als Kollege sehen.
Joseph Bastian als Bassposaunist beim BRSO | Bildquelle: Archiv des Bayerischen Rundfunks Joseph Bastian: Ich sehe meine Rolle als Dirigent genau so. Das ist für mich kein Nachteil, wenn ich als Kollege gesehen werde. Es gibt natürlich eine ganz klare Hierarchie, wenn man im Orchester ist. Der Dirigent ist halt der Vorgesetzte, wenn man so möchte. Aber meine Rolle ist nicht die Rolle eines Diktators oder eines Dirigenten im alten Stil, der sagt, wie es gemacht wird und fertig – und dann wird nicht darüber diskutiert. Ich möchte, dass es immer eine Kooperation bleibt. Wenn ich in der Führungsrolle akzeptiert werde, ist es umso schöner, wenn ich dazu noch als Kollege wahrgenommen werde.
BR-KLASSIK: Sie stellen sich jetzt im Münchner Prinzregententheater vor als neuer Chefdirigent und zwar gleich mit einem ganz großen Werk, der neunten Sinfonie von Dimitri Schostakowitsch. Ist das Ihr Wunsch-Werk gewesen, um zu sagen: Hallo, ich bin der Neue!
Joseph Bastian: Eigentlich nicht. Denn dieses Programm stand schon fest, bevor das Orchester das Votum für mich abgegeben hat. Wir hatten die Planung schon angefangen, bevor der Krieg in der Ukraine angefangen hat und haben die Programmplanung dann nach dem 24. Februar abeschlossen. Im Fokus das Klavierkonzert mit Frank Dupree von Kapustin, der Jazzmusik in der Sowjetunion geschrieben hat. Und wir dachten, es passt sehr gut: Jemand, der Musik macht, die man eigentlich nicht machen durfte, die nicht selbstverständlich war in der Sowjetunion. Und das passt wunderbar zu Schostakowitschs neunter Sinfonie, die die große Siegessinfonie hätte werden sollen und die einfach eine Persiflage davon geworden ist. Da haben wir zwei Leute, die wirklich gegen das System gearbeitet haben. Und dazu Erwin Schulhoff - im ersten Teil vor dem Kapustin - mit Jazzmusik, auch ein Komponist, der praktisch alles falsch gemacht hat, was man falsch machen konnte in Österreich und in Deutschland vor dem Zweiten Weltkrieg und dadurch auch im KZ gelandet ist und dort gestorben ist. Wir finden, diese drei Stücke passen wirklich sehr gut zueinander und auch zur heutigen Zeit. Und dazwischen ein kleines Stück von Aaron Copland: Das ist in Gedenken an die Kämpfer in der Ukraine, "A letter from home" von Copland, es beschreibt, wie ein amerikanischer Soldat damals in Europa einen Brief von Zuhause bekommt. Heutzutage wäre es eine SMS, eine WhatsApp-Nachricht, wenn er von der Front zurückkommt, um kurz mal mit zu Hause zu kommunizieren.
Musik kann auch etwas Politisches ausdrücken.
Um auf Ihre Frage zurückzukommen: Das war eben nicht mein Wunschprogramm, aber es ist tatsächlich in dieser Spielzeit mein Lieblingsprogramm geworden, wegen dieser Vielfalt und weil es zeigt, dass man mit Musik nicht nur Musik machen kann, sondern auch etwas Politisches ausdrücken kann. Man muss das nicht tun. Man kann diese Stücke einfach als geniale Werke wahrnehmen. Oder diese politische und gesellschaftliche Perspektive einnehmen. Und das ist für mich die Rolle, die die Musik haben sollte – einerseits als Kunst aber auch mit einer relevanten Rolle in der Gesellschaft.
Sendung: "Leporello" am 17. April 2023 ab 16:05 Uhr auf BR-KLASSIK
Kommentare (3)
Mittwoch, 19.April, 08:42 Uhr
SchorschMeier
Der komponierende Malermeister
Komponisten wie "Maler, Mozart"....alles klar, weitere Kommentierung überflüssig...Hauptsache politisch korrekt. Ich finde auch, es sollte bei der Auswahl der Komponisten das Handwerk stärker berücksichtigt werden...
Dienstag, 18.April, 22:48 Uhr
Theodor
Liest hier irgendjemand Korrektur?
Der Komponist schreibt sich "Mahler", nicht "Maler".
Ich hoffe mal, dass das ein Flüchtigkeitsfehler war... Danke für den Hinweis, ist korrigiert (Anm .d. Redaktion)
Dienstag, 18.April, 22:45 Uhr
Theodor
Politisch korret, aber sachlich falsch
"Deswegen werden viele Komponistinnen gezeigt und gespielt, um zu zeigen, dass deren Rolle in der Musikgeschichte tatsächlich kleingeredet worden ist, klein gemacht worden ist. Und dass sie nicht deswegen gespielt werden sollten, weil sie Frauen gewesen sind oder Frauen sind, sondern einfach, dass ihre Musik fantastische Musik ist, die im Repertoire von jedem Orchester stehen sollte, genauso wie Maler, Mozart, Haydn oder Beethoven."
Ohne konkret zu werden, welche Komponistinnen bzw. deren Werke er denn meint, liegt der Verdacht nahe, dass hier von Bastian aus reinem Opportunismus "politisch korrete" (i.e. sachlich falsche) Behauptungen aufgestellt werden.
Wenn ich bedenke, welches Gewese seit Jahrzehnten um die doch völlig mittelmäßigen Werke einer Clara Schumann gemacht wird, habe ich den Verdacht, dass es diese "fantastische Musik" der Komponistinnen schlichtweg nicht gibt. Am Willen, Frauen in den Vordergrund zu stellen, mangelt es doch absolut nicht, es fehlen die Werke.