Gerade erst dirigierte Kent Nagano erstmals die Bamberger Symphoniker. Franken bleibt er geistig weiterhin verbunden: Für sein Forschungsprojekt zum Originalklang bei Wagners "Ring des Nibelungen" recherchiert er seit Jahren intensiv. BR-KLASSIK-Autorin Dorothea Hußlein hat mit ihm gesprochen.
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Kent Nagano und ich treffen uns zu diesem Gespräch nicht etwa in Hamburg, wo er seit 2015 Generalmusikdirektor der Hamburgischen Staatsoper und Chefdirigent des Philharmonischen Staatsorchesters Hamburg ist, noch in Berlin, dort war er lange Jahre Chef des Deutschen Symphonie-Orchesters. Auch nicht in München, der Stadt in der er von 2006 bis 2013 als Generalmusikdirektor der Bayerischen Staatsoper die Verantwortung getragen hat, sondern in Bamberg.
In der UNESCO-Weltkulturerbe-Stadt dirigiert Nagano, der nun auch Träger des Bundesverdienstordens ist, in zwei Konzerten erstmals die Bamberger Symphoniker. Für ihn ein langgehegter Wunsch. "Während meiner Zeit in München haben mir natürlich immer wieder Leute über die Bamberger Tradition und die Geschichte dieses Orchesters erzählt. An einem Tag haben wir damals sogar einen Ausflug nach Bamberg gemacht, sozusagen als Touristen. Das hat mich damals sehr stark visuell und kulturell beeindruckt und mir ist immer in Erinnerung geblieben, wie schön diese alte Stadt ist", sagt der Dirigent. Aus Termingründen habe es in den vergangenen 20 Jahren aber nie mit einer Zusammenarbeit geklappt. "Ich bedanke mich bei den Bamberger Symphonikern, dass sie so viel Geduld hatten und immer wieder nachgefragt haben, und dieses Mal hat es funktioniert."
Kent Nagano: im Bruckner-Jubiläumsjahr 2024 viel mit Bruckner unterwegs. | Bildquelle: BR In Bamberg hat Kent Nagano jetzt im Februar 2024 neben der Uraufführung von Toshio Hosokawas "Ceremoney" Bruckners 3. Symphonie in d-Moll dirigiert. Der österreichische Komponist steht in diesem Jahr anlässlich seines 200. Geburtstages im Mittelpunkt zahlreicher Konzerte und Veranstaltungen. Und mit Bruckners Symphonien ist Nagano in den nächsten Monaten viel unterwegs. Die Vierte präsentiert er mit dem historisch informierten Ensemble Concerto Köln im Juli erst in Duisburg und anschließend bei den Herrenchiemsee Festspielen, deren künstlerischer Schirmherr er ist. Unter seiner Leitung folgen dort mit dem Orchester der KlangVerwaltung noch Bruckners Sechste und die Neunte.
Zu Bruckners Lebzeiten galten insbesondere seine Symphonien als die großen Mysterien der romantischen Musik. Heute wird der Oberösterreicher als einer der innovativsten Tonschöpfer seiner Zeit geschätzt. Mit zwei unterschiedlichen Ensembles auf Herrenchiemsee Bruckner aufzuführen, ist für Kent Nagano ein ganz besonderes Erlebnis. "Ein Jubiläums-Jahr ist immer merkwürdig, denn es gibt keine Differenz zum Jahr vorher und dem, das folgen wird. Aber psychologisch ist es ein guter Moment, wo man eine Zäsur machen kann. Und sich die Frage stellen kann: Warum ist es nach Bruckners sehr schwierigem Anfang, den er als Komponist erlebt hat, jetzt ein richtiges Fundament unseres Repertoires geworden, das in verschiedenen Kulturen eine besondere Relevanz hat?" Die Frage nach dem Warum ist für den Dirigenten dabei der interessante Punkt dieses Jubiläums-Jahres.
Während der Herrenchiemsee Festspiele kombiniert Kent Nagano Buckners Symphonien mit Werken von Schumann und Mozart und Bruckners Neunte mit dem Siegfried-Idyll von Richard Wagner. Bereits im vergangenen Jahr dirigierte er dort Wagner. Eigentlich spielt in Naganos breit gefächertem Repertoire die zeitgenössische Musik eine besondere Rolle. Aber in den letzten Jahren hat sich der US-amerikanische Dirigent nicht nur um die Enträtselung der Musik Bruckners gekümmert, sondern er begeistert sich inzwischen auch für historisch informierte Aufführungspraxis.
Wir wollen nur versuchen zu erklären, was Wagner versucht hat zu zeigen.
Aktuell forscht er speziell dem Originalklang Richard Wagners beim "Ring des Nibelungen" nach. "Dieses Projekt läuft jetzt etwa acht, neun Jahre und war immer als ein künstlerisch-wissenschaftliches Projekt angelegt – mit dem Ziel, nicht nur Bücher zu publizieren, sondern die Musik auch praktisch zu erproben", so Kent Nagano. Es sollte eine Recherche werden, die es der nachfolgenden Generation ermöglicht, näher an die Quelle zu kommen. Praxis und Wissenschaft sollten in einen Dialog treten. Am Anfang war es eine Gruppe von europäischen Musikwissenschaftlern, vorwiegend von der Hochschule für Musik und Tanz Köln, der Uni Halle und der Uni Bayreuth. Concerto Köln war als Klangpartner gleich dabei. Daraus wurde "eine richtige detektivische Arbeit".
Kent Nagano betreibt aufwendige Quellenforschung zum Originalklang Richard Wagners. | Bildquelle: Sergio Veranes Bei Wagners "Ring", aber wohl bei all seinen musiktheatralischen Werken, bleibt viel Interpretationsspielraum. Schon, weil Wagners Schriften, beispielsweise zu seinem Gesangsideal, unterschiedliche und teils widersprüchliche Ansichten und Schwerpunkte aufzeigen. Heute kann niemand mehr sagen, wie das Werk damals geklungen hat. Seit über neun Jahren beschäftigt sich Kent Nagano inzwischen mit den historischen Quellen. "Ich würde nicht sagen, dass ich über neun Jahre in einer Bibliothek verbracht habe, aber doch regelmäßig. Hauptziel der Recherche ist natürlich Bayreuth. Leider hatte ich keine Zeit, persönlich dorthin zu gehen. Aber ich habe Fotografien der Manuskripte gesehen und habe auch die Urtextfassung und einige Autografe in meinen Händen gehabt, sodass ich das wirklich examinieren konnte."
Wagners Originale zu sehen, hat Kent Nagano besonders berührt. Und so entstand im Rahmen dieses Projektes die Idee, das Ganze zu erweitern. "The Wagner Cycles" ist ein Projekt der Dresdner Musikfestspiele. Deren Orchester ist, wie Kent Nagano sagt, sehr interessiert an historisch informierter Aufführungspraxis und dafür besonders sensibilisiert – genauso wie das Ensemble Concerto Köln. Durch diese vielseitige Zusammenarbeit konnte die Recherche zur musikalischen Geschichte des "Rings" noch erweitert werden.
Bis 2026, dem 150. Geburtstag der Bayreuther Uraufführung soll der "Ring" peu à peu konzertant erklingen. Nach "Rheingold" im letzten Jahr folgte am 9. März die Premiere der "Walküre" in Prag. Es folgt Amsterdam, dann am 24. März Köln und anschließend weitere Aufführungen in Hamburg, Luzern und Dresden. "Es ist konzertant, weil unsere Recherche teilweise davon beeinflusst ist, was wir über die Original-Inszenierung und die Bühnenbilder wissen. Wir fokussieren uns nicht nur auf den Instrumentalstil, sondern besonders auf den Vokal-Stil. Denn es ist eine Herausforderung, die Stimmen herauszufinden, die Wagner für seine Rollen ursprünglich konzipiert hat", so Kent Nagano. "Wir haben viele Informationen darüber, wie Wagner reagiert, wenn er mit dem vokalen Resultat unzufrieden war. Er hat sehr viel über Diktion geschrieben, in welcher Art Deutsch gesprochen werden soll und auch viel darüber, wie die Vokalkünstler auf seine Musik reagieren sollen. Aber Vokal-Künstlerinnen und -Künstler zu finden, die die Geduld und die technische Kapazität haben, das alles zu realisieren, ist eine richtige Herausforderung."
Eine richtige detektivische Arbeit.
Kent Nagano betont, dass seine Arbeit keine Rechthaberei sein soll: "Unsere Recherche beharrt nicht darauf zu behaupten: So soll Wagner gespielt und gesungen werden. Das ist nicht der Grund dieser Arbeit. Wir wollen nur versuchen zu erklären, was Wagner versucht hat zu zeigen. Wir sagen nicht, das ist die echte Art seine Musik zu spielen. Das werden wir niemals tun." Noch bis 2025 ist Kent Nagano Generalmusikdirektor der Hamburgischen Staatsoper und Chefdirigent des Philharmonischen Staatsorchesters Hamburg. Danach übernimmt Omer Meir Welber. In diesem Sommer dirigiert Nagano die Eröffnungspremiere der Münchner Opernfestspiele: György Ligetis Oper "Le Grand Macabre".
Mehr über das Wagner-Projekt "The Wagner Cycles" und seinen persönlichen Blick als internationaler Dirigent auf den Musikbetrieb und das Leben verrät Kent Nagano in der Sendung "KlassikPlus" am 22. März ab 19.05 Uhr auf BR-KLASSIK
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