In der Figur der Kriemhild liegt viel mehr als bei Wagner, findet Komponist Enjott Schneider. Also hat er diesen alten Stoff noch einmal neu durchleuchtet. In Passau wurde sein "Sinfonisches Spiel zum Nibelungenlied" nun zur Eröffnung der "Europäischen Wochen" aufgeführt.
Bildquelle: Studio Weichselbaumer
Grausam ist sie, die Geschichte von Kriemhild, die am 29. Juni am Passauer Domplatz aufgeführt wurde. Es geht um Verrat, um Rache, Vergewaltigung, am Ende gibt es massenhaft Getötete. Die Festspiele Europäische Wochen Passau wollten das Nibelungenlied neu aufführen, das mittelalterliche Heldenepos in einer extra für Passau entwickelten Fassung. Die Wahl dieses Stoffs indes ist freilich kein Zufall, sagt der Intendant Carsten Gerhard. "Das Nibelungenlied ist mutmaßlich in Passau aufgeschrieben worden, vor etwa 800 Jahren als Auftrag des Passauer Fürstbischofs", erzählt er. Und so habe man sich gefragt, wie dieser Stoff musikalisch geklungen hätte, hätte der Passauer Fürstbischof ihn heute in Auftrag gegeben.
Herausgekommen ist ein "sinfonisches Spiel", auch die Beschreibung "Live-Hörspiel" findet sich im Programmheft. Der Auftrag dieser Neuvertonung, die 2023 uraufgeführt wurde, wurde an Enjott Schneider vergeben, der stark in der Welt der Filmmusik beheimatet ist. Er hat nun die Musik für Orchester, Chor, Erzähler und Sopransolo komponiert, setzt aber auch Live-Zuspielungen ein. So hört man etwa Pferdegetrappel, Krähen schreien oder Siegfrieds Drachentötung.
Mein Bestreben war Kriemhild als Hauptdarstellerin herauszuarbeiten.
Sopranistin Theresa Pilsl. | Bildquelle: Sebastian Ambrosius
Für das Libretto ist ebenfalls Enjott Schneider verantwortlich. "Mein Bestreben war, schlichtweg, Kriemhild als Hauptdarstellerin herauszuarbeiten", sagt er. Denn durch die Patriarchalisierung des Stoffes, etwa durch Wagner, sei Kriemhild "ja immer unter die Räder gekommen". Dabei sieht Schneider gerade bei dieser Figur eine "riesige psychologische Entwicklung: Vom kleinen Mädchen, das von Liebe träumt, ist sie zur Tyrannin geworden, die dann so viele Leute tötet."
Als Erzähler konnte Miroslav Nemec gewonnen werden, die Partie der Kriemhild hatte Theresa Pilsl übernommen.
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Es sind aber auch viele Laien aus Passau und der Umgebung dabei, das ist Teil des Konzepts, so Enjott Schneider: "Wir haben von Anfang an entschieden, dass die Bevölkerung mitmachen soll, so ähnlich wie in Oberammergau." Im Orchester und im Festspielchor hat man mit dem Chor der Klangverwaltung viele Profis. So entsteht eine für Schneider "wunderschöne Melange zwischen Profis und lokalen, örtlichen Kräften". Die Kriemhild sei dadurch "jetzt ganz toll verankert, und die Bevölkerung sieht es als ihr Nibelungenlied an".
Sendung: "Allegro" am 1. Juli 2024 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK
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