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Kritik – Uraufführung "Alma" an der Volksoper Wien Geisterbahn der Männer und der Traumata

Alma Mahler-Werfel, Ehefrau und Geliebte großer Männer, verhinderte Komponistin: Die Oper "Alma" von Ella Milch-Sheriff errang an der Volksoper Wien mit Annette Dasch in der Titelpartie, inszeniert von Ruth Brauer-Kvam und unter der musikalischen Leitung von Omer Meir Wellber, einen einhelligen Uraufführungserfolg.

Szene aus "Alma" (Volksoper
ien, Premiere 26.10.2024) | Bildquelle: Barbara Pálffy/Volksoper Wien

Bildquelle: Barbara Pálffy/Volksoper Wien

Eine Mischung aus Atelier und Remise beherrscht Falko Herolds Bühne in der Volksoper. Atelier ist es für die Bildhauerin Anna Mahler. Und eine Art Geisterbahnremise ist der Raum für Alma: Die Schienen im Halbrund erlauben ihr gleich einen mondänen ersten Auftritt. Annette Dasch, mit mehrteiligem Fatsuit unter dem Abendkleid als betrunkene Vettel ausstaffiert (Kostüme: Alfred Mayerhofer), klettert, mit einer Zigarette bewehrt, etwas mühselig aus einem hereinzuckelnden Klavier. Da hat sich der erste Skandal des Stücks schon ereignet: Alma glänzte auf dem Begräbnis ihrer Tochter Manon durch Abwesenheit. Aber Alma war niemals bei den Beerdigungen all ihrer verstorbenen Kinder anwesend. Später taucht das Personal ihrer Erinnerungen in solchen Geisterbahnwägen auf. Nein, es wird keine Komödie.

Alma, eine Sphinx ohne Geheimnis?

Szene aus "Alma" (Volksoper
ien, Premiere 26.10.2024) | Bildquelle: Barbara Pálffy/Volksoper Wien Annelie Sophie Müller als Anna, Annette Dasch als Alma Mahler-Gropius-Werfel und Lauren Urquhart als Manon, Tochter von Gropius | Bildquelle: Barbara Pálffy/Volksoper Wien Für Ernst Krenek, ganz kurze Zeit Annas Mann und somit Almas Schwiegersohn, war sie ein klarer Fall: "Ihr Stil war der von Wagners Brünnhilde, transportiert in die Atmosphäre der ‚Fledermaus‘". Alma Mahler-Werfel, wie sie sich verkürzt nach ihren beiden berühmtesten Ehegatten nannte: War sie wirklich eine solche Sphinx ohne Geheimnis? Ihre große Kunst, geliebt zu werden, die "Geliebte von vier Künsten" zu sein, wie es auch in Ido Ricklins Libretto heißt, verkörpert durch den Komponisten Gustav Mahler, den Architekten Walter Gropius, den Maler Oskar Kokoschka, den Schriftsteller Franz Werfel: War diese Kunst, wenn sie ihr denn ins Konzept passte und sich lohnte, hauptsächlich durch überdurchschnittliche erotische Freizügigkeit sowie auch unbedingte Verfügbarkeit geprägt? Selbst wenn sie sich immer wieder in ihren Tagebüchern und anderen Äußerungen über ihre Männer – außer über Mahler! – antisemitisch und auch anderweitig abschätzig geäußert hat?

Alma als tragisch scheiternde Mutter

So wie in "Alma" nach Ricklins Text und mit der Musik von Ella Milch-Sheriff wurde ihre Geschichte jedenfalls noch nicht erzählt, schon gar nicht als Oper: nämlich mit dem Fokus auf ihre Tragik als Mutter, eine Mutter, die an ihren Kindern schon lange gescheitert ist, bevor sie sie durch frühen Tod verliert – oder, wie in Annas Fall, mit dem Überleben der "falschen" Tochter auch nur schwer zurechtkommt.

Zurück in die Vergangenheit

Das Stationendrama in fünf Akten bewegt sich dabei originellerweise in die Vergangenheit zurück: 1935 stirbt Manon, Almas Tochter mit Walter Gropius, mit 18 Jahren an Polio. – Während ihrer Ehe mit Gropius wird Alma von Franz Werfel schwanger; rücksichtsloser Sex mit ihm führt zu 1918 zu einer Frühgeburt: Der kleine Martin ist schwer beeinträchtigt und stirbt noch im ersten Lebensjahr. – 1912 hat Alma, Mahlers junge Witwe, eine Affäre mit Oskar Kokoschka. Als sie ein gemeinsames Kind abtreiben lässt, hinterlässt das tiefe Wunden bei beiden. – Die kleine Maria Mahler stirbt 1907 in Maiernigg am Wörthersee an Diphterie …

Ursprungswunde Komponierverbot

Das ist insofern ein Theatercoup, als der vom 41-jährigen Mahler salbadernd angeordnete Verzicht seiner 22-jährigen Braut auf jede kompositorische Tätigkeit dann im letzten, fünften Akt und die Feuerbestattung ihrer Partituren, vollzogen im Kreise ihrer späteren toten Kinder, als Coclusion, als ihr erster, wahrer Verlust im Leben dargestellt wird. Dieses initiale Trauma der jungen Frau, so suggeriert "Alma", ruft als düsterer Schatten erst all ihre anderen Traumata hervor und stellt sie in einen Zusammenhang. Abgeschwächte Echos eines solchen Verhältnisses hat auch die kürzlich 70 gewordene Ella Milch-Sheriff erlebt, mit ihrem zwanzig Jahre älteren Mann Noam Sheriff (1935–2018), einem der berühmtesten Komponisten Israels: Er hat ihr das Komponieren zwar niemals zu verbieten versucht, musste aber erst mit einigen Schmerzen über sich selbst hinauswachsen, um mit ihren eigenständigen Erfolgen zurecht zu kommen.

Männer als Episodisten

Szene aus "Alma" (Volksoper
ien, Premiere 26.10.2024) | Bildquelle: Barbara Pálffy/Volksoper Wien Josef Wagner als Gustav Mahler und Annette Dasch als Alma Mahler-Gropius-Werfel | Bildquelle: Barbara Pálffy/Volksoper Wien Ohne diesen Fokus auf das verbotene Künstlerinnentum wäre die ja trotzdem biografisch orientierte Oper wohl Gefahr gelaufen, in erster Linie von den Männern zu handeln. So aber lässt sich auch erahnen, dass Alma sich vor allem als Frau und Geliebte hat selbst verwirklichen und spüren können. Das macht die Herren der Schöpfung, die allesamt schöpferische Herren waren und sein durften, durchaus zu Episodisten – und als solche dürfen sie tendenziell auch etwas blass bleiben. Alle tragen sie übrigens, als Almas Verflossene, den Staub von einst auf den Schultern. Die schönste Idee aber ist, Gropius als entrückten Tänzer darzustellen: Florian Hurler vollführt also im Hintergrund auf klare Linien bedachte Choreografien und scheint mit den Händen Gebäude hochzuziehen, während Werfel in Almas Leben tritt: Timothy Fallon wird da gleich von Papierblättern umweht – und erfüllt danach das Klischee des mit beherztem Heldenmut hohe Töne krähenden, eher kleinen und rundlichen Tenors, das auf Werfel rein äußerlich passen mag.

Alma, die ewig Ungreifbare

Dabei schreckt die Regisseurin Ruth Brauer-Kvam hier wie ganz allgemein in ihrer durchwegs stimmungsvoll-sachdienlichen Inszenierung auch vor einem sexuellen Realismus nicht zurück, der freilich gleichzeitig konterkariert wird durch den von Akt zu Akt immer weiter abgespeckten Fatsuit der Dasch: Auch als "nackte" junge Frau trägt sie einen für heutige Bühnenbegriffe altmodischen, hautfarbenen Body. Diese Schutzhülle ist aber zugleich Symbol dafür, dass weder ihre Männer noch wir als Publikum Alma wirklich und vollgültig nahekommen können. Auch und schon gar nicht Mahler (Josef Wagner), der sich entweder ganz seiner Musik widmet oder der kleinen "Putzi": Gruselig, dass Alma, in postnataler Depression nach "Guckis" Geburt, eifersüchtig auf die Liebe Mahlers zur älteren Tochter reagiert – und diese dann vergleichsweise rasch und unbemerkt stirbt. Sie ist allerdings als einziges der Kinder nicht auch als Gesangsrolle gestaltet, sondern wird nur von einer Statistin dargestellt. Zuvor gebärdet sich Manon (Lauren Urquart) wie eine "Hoffmann"-Olympia als Kunstwesen, und Christopher Ainslie verleiht dem kleinen Martin mit kindlichen Countertenorklängen zerbrechliche Gestalt.

Alma als Sexpuppe

Szene aus "Alma" (Volksoper
ien, Premiere 26.10.2024) | Bildquelle: Barbara Pálffy/Volksoper Wien Martin Winkler als Oskar Kokoschka | Bildquelle: Barbara Pálffy/Volksoper Wien Einzig Kokoschka in Gestalt des Baritons Martin Winkler strahlt unter Almas Liebes- und Heiratspartnern etwas Dämonisches, Kreatürliches aus, was sich auch in seiner zwischen SM-Gelüsten und gespielter Infantilität pendelnden Sexualität ausdrückt. Der dritte Akt mit ihm liegt direkt vor der Pause, da zieht auch die Komponistin Ella Milch-Sheriff alle dramatischen Register, und Omer Meir Wellber am Pult lässt sich das auch nicht zweimal sagen und fährt mit dem Orchester der Volksoper sämtliche brutalen Kräfte auf: Nach dem quälenden Hin und Her mit dem Ungeborenen, das mit meterlanger Nabelschnur über die Bühne stapft und sich mit Koloratursoprantönen vergeblich gegen die Abtreibung wehrt (Hila Baggio), kommt es zum großen Exzess. Kokoschka besteigt seine Alma-Puppe, eine Fetisch-Spezialanfertigung, die er sich hat machen lassen und die hier ins Überdimensionale gesteigert ist.

Musikalische Anklänge und Zitate

Milch-Sheriffs Musik ist von jenem modernen Zuschnitt, bei dem sich Stimmungen und stilistische Schattierungen mühelos aus dem jeweiligen dramatischen Zusammenhang erklären. Der Manon-Akt basiert auf à la Schostakowitsch verbeulten Walzerklängen, der Werfel-Akt hat viel mit Tangorhythmen zu tun, im Kokoschka-Akt kommt es immer wieder zu Marschgrotesken. Dabei nützt sie immer wieder musikalische Anverwandlungen, die wie Zitate wirken mögen, aber keine sind – etwa bei der Heurigenmusik am Anfang –, bis hin zu tatsächlichen Übernahmen. Die nehmen dann bei Mahler etwas überhand, mit der Dritten Symphonie etwa: Das sind nicht die stärksten Passagen einer in Summe aber fraglos bühnenwirksamen, gut gebauten Partitur mit sangbaren Solopartien – wenn auch dort und da kleine Striche für einen strafferen Ablauf sorgen könnten, ohne dass dabei Wesentliches verloren ginge in den gut zweieinhalb Stunden mit Pause, die der Abend währt.

Annette Dasch legt sich als Alma ins Zeug

Szene aus "Alma" (Volksoper
ien, Premiere 26.10.2024) | Bildquelle: Barbara Pálffy/Volksoper Wien Annette Dasch als Alma Mahler-Gropius-Werfel, Annelie Sophie Müller als Anna (Tochter von Mahler), Martin Winkler als Oskar Kokoschka | Bildquelle: Barbara Pálffy/Volksoper Wien Annette Dasch als Alma: Das ist eine mögliche, wenn auch keine ganz zwingende Besetzung, weder darstellerisch noch rein stimmlich. Aber sie wirft alles in die Waagschale, was sie zur Verfügung hat und vollbringt eine achtbare Leistung in dieser in jeder Hinsicht fordernden Partie, deren zugrundeliegender Charakter letztlich doch ein Rätsel bleibt. Zur Stimme der Menschlichkeit wird neben ihr die Mezzosopranistin Annelie Sophie Müller als Anna, ein Opfer des Muttermonsters und zugleich ansatzweise ihre Therapeutin.

Am Ende steht die überlebensgroße Mahler-Büste, an der Anna den ganzen Abend über gearbeitet hat, ganz allein im Rampenlicht: Geht es doch wieder nur um den genialen Mann? Nein. Anna hängt ihr Almas Ketten um – und zeigt dieser Mahler nicht weibliche Züge? Einhelliger Jubel.

Sendung: "Allegro" am 28. Oktober 2024 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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