Kaum ein Festival auf der Welt dürfte eine so große Stardichte bieten wie die Salzburger Festspiele. Die aufgeführten Werke scheinen manchmal fast schon zweitrangig, wenn es darum geht, einen der zahlreichen prominenten Namen auf der Bühne oder im Konzert zu erleben. Und zum Glück gibt es immer wieder Stars, die diesen Vertrauensbeweis zu ihren Gunsten nutzen, um das Publikum zu überraschen und womöglich auch ein wenig aus der eigenen Komfortzone zu locken. Wie beispielsweise der Pianist András Schiff.
Bildquelle: SF/Marco Borrelli
Einer, der diesen Weg immer wieder gern einschlägt, ist Klaviervirtuose Sir András Schiff, dessen aktuelles Salzburger Klavierrecital schlicht als "Hommage à Leipzig" angekündigt war und selbst im Programmheft lediglich mit einer Listung von Komponistennamen aufwartete, genaue Werktitel jedoch tunlichst verschwieg. Stattdessen erwartete das Publikum eine ebenso konsequent, wie spontan wirkende musikalische Assoziationskette, die scheinbar aus dem Moment heraus entwickelt wurde und dank der Verortung in Leipzig dabei natürlich vor allem um das Kraftzentrum Johann Sebastian Bach kreiste. Jenen Komponisten, der vielen als das Alpha und das Omega der Musikgeschichte gilt.
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Ausgehend von der "Aria" aus den "Goldberg-Variationen", die natürlich keiner Vorstellung bedurfte, knüpfte Schiff in großen Saal des Mozarteums subtile und sinnige Verbindungen zu Komponisten, die von ihm inspiriert wurden und dem Leipziger Musikleben auf jeweils individuelle Art ebenfalls ihren Stempel aufdrückten. Oder hier zumindest auf ihren Tourneen Station machten. So wie Wolfgang Amadeus Mozart, der bei einem Programm für Salzburg immer gut macht, bei seinen Aufenthalten auf sächsischem Boden jedoch lediglich ein Werk zu Papier brachte. Die "Kleine Gigue" KV 574, die András Schiff in seiner launigen Ansprache ans Publikum als "Vorahnung der Zwölftonmusik" ankündigte, "nur schöner!" Und hier mit viel Spielwitz auf die letzte der französischen Suiten Bachs folgend, die vom Pianisten mit klarem Blick und lockerem Anschlag stilsicher serviert wurde.
Bildquelle: SF/Marco Borrelli Seine humorvolle Ader ließ Schiff auch danach immer wieder in den Zwischenmoderationen spüren, bei denen er dem gespannten Publikum nicht nur seine persönliche Verbindung zu den jeweiligen Stücken näherbrachte, sondern hin und wieder auch vorab kurze Motive anspielte, die bei ihrem späteren Auftauchen im Kontext mit wissendem Raunen im Saal erkannt wurden. So erlebte man ein ebenso packendes wie informativ gestaltetes Programm abseits aller Konzertrituale, die Schiff bewusst aufzubrechen versucht, um die Musik nahbarer zu machen. Eine Rechnung, die an diesem Abend voll und ganz aufging. Nicht zuletzt, weil er sich verbal ähnlich eloquent auszudrücken verstand wie in seinen virtuosen Darbietungen auf dem 1859 gebauten Hammerflügel aus der Werkstatt des Leipziger Klavierbauers Julius Blüthner. Ein Instrument, das für diesen Anlass ebenfalls sehr bewusst gewählt wurde, um das Publikum zu animieren, sich von modernen Hörgewohnheiten zu lösen.
Mit Klängen und Farben, die sich für Schiff von den heutigen kraftvollen Instrumenten nur schwer entlocken lassen. Eine These, die er sowohl bei der tiefgründigen "Drei Intermezzi" von Johannes Brahms mit überzeugenden Argumenten untermauerte als auch in einem seiner persönlichen Lieblingsstücke. Den "Davidsbündlertänzen" von Robert Schumann, mit denen er das Publikum beinahe atemlos in die Pause entließ. Wobei sich der Applaus hier dank Schiffs aufwühlender Lesart bereits zur Halbzeit der 18 Charakterstücke erstmals entlud.
In dieser Hinsicht war das Fehlen der Werktitel und Satzbezeichnung durchaus ein Risiko. Doch eines, das Schiff zugunsten der ihm dadurch gebotenen Freiheiten gerne in Kauf nahm. Und wer möchte es dem bis dahin stets konzentriert lauschenden Publikum verübeln? Denn auch dieser ehrlich empfundene Gefühlsausbruch passte irgendwie zur Stimmung des Abends, der eben keinem vor Monaten erdachten Muster folgte, sondern auch dem mit Ovationen gefeierten Solisten Gelegenheit zu spontanen Reaktionen gab. So wird man auch nie mit letzter Sicherheit wissen, ob das letzte Stück des offiziellen Programms tatsächlich von Anfang an als Gegenpol zu Mendelssohns intensiv durchlebten "Variations serieuses" geplant war, oder die "Sturm-Sonate" tatsächlich – wie angekündigt – eher vom heftigen Gewitter inspiriert wurde, das vor Konzertbeginn seine Regenwolken über der Stadt entladen hatte. So oder so, seine Wirkung verfehlte Beethovens Meisterwerk jedenfalls nicht.
Sendung: "Allegro" am 15. August 2023 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK
Kommentare (2)
Mittwoch, 16.August, 16:07 Uhr
Beate Schwärzler
...und dann noch die "Sturmsonate" von Beethoven,
- "aus dem Moment heraus ?"
Beschreibungen wie diese eines unglaublichen Klavier-Recitals,
Persönlichkeiten - mit Humor - wie die von Sir András Schiff,
lassen frische Luft durch Scharten in Mauern herein.
B e l e b e n .
Mit Dank Grüßt...
Mittwoch, 16.August, 14:49 Uhr
Barthelmeh Annegret
Konzertktitik A.Schiff
Ein so gereiften und exzellenter Pianist kann sich h auch ein "Imptomptu" in der Werkgestaltung leisten. Am Schluss wieder eine Runde Sache und ein exzellentes Ptogramm. Der Sturm passt immer.