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Kritik – Wagners "Rheingold" in München Hausschwamm im Himmelsgebälk

Regie-Star Tobias Kratzer hatte im Vorfeld seiner "Rheingold"-Inszenierung an der Bayerischen Staatsoper angekündigt, er wolle sich weniger mit der Kapitalismuskritik beschäftigen, die die Wagner-Interpretation in den letzten Jahrzehnten prägte, als mit der Krise der Religionen. Plausibel, weil sich Richard Wagner selbst ständig an Glaubensfragen abgearbeitet hat und schließlich ein Faible für den Buddhismus entwickelte. Passten die Bilder zum Anspruch des Regisseurs?

Szene aus "Rheingold" an der Bayerischen Staatsoper, Regie: Tobias Kratzer (Premiere 27.10.2024) | Bildquelle: Bayerische Staatsoper/Wilfried Hösl

Bildquelle: Bayerische Staatsoper/Wilfried Hösl

Der Himmel ist schwer renovierungsbedürftig und die Götter müssen sich notgedrungen mit Gerüsten und Schaumstoffmatten abfinden. Sieht nicht so aus, als ob eine Wärmedämmung ansteht, eher frisst wohl der Hausschwamm am Gebälk, in diesem Fall der philosophische. Seit 200 Jahren nämlich sind deutsche Denker hauptsächlich damit beschäftigt, die Religion zum Einsturz zu bringen. Erst verkündete Ludwig Feuerbach, dass die Menschen gar nicht Gott, sondern sich selbst anbeten, dann erklärte Friedrich Nietzsche Gott für tot und noch später stellte sich im Existentialismus heraus, dass die Menschen nicht nur auf den Himmel, sondern auch auf die Hölle verzichten können, weil sie sich besser quälen als jeder andere.

Kratzer beleuchtet Religionsgeschichte

Szene aus "Rheingold" an der Bayerischen Staatsoper, Regie: Tobias Kratzer (Premiere 27.10.2024) | Bildquelle: dpa-Bildfunk Regisseur Tobias Kratzer setzt ich in seiner "Rheingold"-Inszenierung mit Religionskritik auseinander. | Bildquelle: dpa-Bildfunk Genug Grund also für Regisseur Tobias Kratzer, sich bei seiner Inszenierung von Richard Wagners "Rheingold" an der Bayerischen Staatsoper in München mit der jüngeren Religionsgeschichte auseinanderzusetzen. Wagner selbst glaubte bekanntlich an Erlösung, was auch als Auflösung im buddhistischen Sinne verstanden werden kann, erhoffte sich also die Befreiung von jeglichem Dasein, besser bekannt als Nicht-Sein. Aber wie lässt sich das bebildern? Ausstatter Rainer Sellmaier hatte einen gotischen Kirchenraum entworfen. Der goldene Altar ist mit schwarzen Plastikplanen abgedeckt, Betonsäcke liegen herum. Die Götter gehen mäßig eifrig an die Ausbesserungsarbeiten, schließlich haben sie eine Ewigkeit Zeit.

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Den kompletten Live-Mitschnitt der Premiere von Richard Wagners "Rheingold" an der Bayerischen Staatsoper können Sie in der BR Radio App anhören (verfügbar bis 3. November 2024).

Zwei Priester – die "Riesen" – kommen vorbei und bieten ihnen eine Marketing-Kampagne an. Die Unsterblichen sind vom Werbematerial zunächst begeistert, doch dann ist ihnen der Preis zu hoch. Sie nehmen die Sache lieber selbst in die Hand, hübschen den Altar und das Kirchenfenster mit der dekorativen germanischen Weltesche auf und werfen sich mittelalterliche Fantasy-Kostüme über: Die Anbetung kann beginnen! Der Einzige, der dabei stört, ist der kettenrauchende Feuergott Loge. Er trägt das existentialistische Schwarz und ist offenbar wild entschlossen, am Glauben zu zündeln. Womöglich steht da Albert Camus oder Jean-Paul Sartre auf der Bühne, einer dieser eiskalten Totengräber der Religion.

Jubel und Buhs für Regiekonzept

Szene aus "Rheingold" an der Bayerischen Staatsoper, Regie: Tobias Kratzer (Premiere 27.10.2024) | Bildquelle: Bayerische Staatsoper/Wilfried Hösl Alberich (Markus Brück) als nackter Schmerzensmann | Bildquelle: Bayerische Staatsoper/Wilfried Hösl Für dieses anspruchsvolle Regiekonzept gab es viel Jubel, aber auch deutliche Protestrufe. Tobias Kratzer kann seinen Anspruch nicht ganz einlösen, ist aber ein Meister der Details und der Anspielungen. Er lässt Alberich, den Mann, der sich dem Gold statt der Liebe verschreibt, zum Finale splitternackt als Schmerzensmann auftreten: So sieht er aus, der Kapitalist ohne Wertpapier-Depot – hilflos, ratlos, verzweifelt.

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Lesen Sie ein ausführliches Interview mit Regisseur Tobias Kratzer und ein Interview mit Dirigent Vladimir Jurowski zum neuen "Ring" an der Bayerischen Staatsoper.

Jurowski überzeugt mit glasklarer, kühler Deutung

Dirigent Vladimir Jurowski wurde zwar freundlich beklatscht, ist jedoch kein Liebling des Münchner Publikums. Dabei ist er ein herausragender Theatermusiker: Er zähmt das Bayerische Staatsorchester, das ständig zeigen will, was es kann. Er reduziert Tempo und Lautstärke, damit die Sänger Raum bekommen für ihre Geschichte, für ihren Text. Das war Musikdrama im besten Sinne, eben gerade keine "Oper". Klar, Jurowski ist Verstandesmensch, kein Charismatiker und noch weniger Pathetiker. Doch seine glasklare, kühle Deutung überzeugt.

Niveau bei den Sängern schwankend

Szene aus "Rheingold" an der Bayerischen Staatsoper, Regie: Tobias Kratzer (Premiere 27.10.2024) | Bildquelle: Bayerische Staatsoper/Wilfried Hösl Nicolas Brownlee als Göttervater Wotan begeisterte an der Bayerischen Staatsoper. | Bildquelle: Bayerische Staatsoper/Wilfried Hösl Unter den Solisten begeisterten vor allem Nicolas Brownlee als gravitätisch-schlitzohriger Wotan und Sean Panikkar als scheinbar verbindlicher und dienstbereiter Loge, der es mit seiner ätzenden Ironie locker mit Friedrich Nietzsche aufnehmen kann. Ein eindrucksvolles Rollenporträt! Das gilt auch für Markus Brück als Alberich, der berührend intensiv eine Art Kreuzweg des Bösen abschreitet. Insgesamt war das sängerische Niveau im Ensemble schwankend, dafür war es schauspielerisch ein großformatiger Abend. Ein "Rheingold", das neugierig macht auf die weiteren "Ring"-Teile. Womöglich sind die Götter nicht mehr zu retten, aber wenn die Menschen nur noch an sich selbst glauben, dürfte es anstrengend werden.

Sendung: "Allegro" am 28. Oktober 2024 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK

Kommentare (3)

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Montag, 28.Oktober, 09:16 Uhr

fristra

Ein (Kratzer)abend, der noch lange nachwirken wird

Wir können unser Glück noch kaum fassen, in dieser Premiere gewesen zu sein. Denn in dieser aufrüttelnden Premiere musste man gewesen sein.
Rührte uns damals die Generalprobe zu seinem Tannhäuser in Bayreuth schon wie ein Donnerschlag, ist es diesmal nicht viel anders, nur komplizierter. Dieses Rheingold muss man wohl erst mehrere Male gesehen haben, um seine tiefere Symbolik zu erfassen.
Besonders anrührend - und als "Abschreiten eines Kreuzweg des Bösen" treffend wie selten beschrieben - war die Entäußerung des großartigen Alberich bis zum Letzten, ein Ecce Homo der fürchterlichsten Art für einen Sterblichen. Großartig! Unglaublich stark auch die Interpretation des Loge.
Wir versuchen noch zu verstehen, was wir da gestern, auch an großartiger Musik aus dem Graben, gehört und gesehen haben.
Bezeichnend für das manchmal in seinen Beifallsäußerungen unterkühlte Münchner Publikum der Jubelsturm gleich nach Ende. Fast drei Jahre bis zur finalen Gödä, nach diesem Abend eine Folter.

Montag, 28.Oktober, 08:37 Uhr

Gerald Bast

Ker macht Neugierig

Nach dem Thannhäuser in Bayreuth macht mich Kratzer neugierig auf meine Lieblingsoper. Und wenn ich die Kritik lese, umso mehr, weil es tatsächlich mal eine neue Interpretation des Themas ist. Durchdachter als der aktuelle Ring in Bayreuth scheint es mir allemal zu sein. Aber diese Messlatte ist ja nicht sehr hoch. :)

Ob es gleich Nacktszenen sein müssen, oder ob es wie in Berlin in der Deutschen Oper auch ein Feinripp- Ring getan hätte ist eine Geschmacksfrage. Aber immerhin ist es ja temperiert im Opernhaus, da muss der Künstler nicht frieren.

Montag, 28.Oktober, 08:26 Uhr

Stockmar Helga

Rheingold

Ich durfte eine fulminante Rheingoldpremiere erleben! Protagonisten und Regie haben meine Erwartung übertroffen! Auch musikalisch ein wunderschöner Abend! Dem gesamten Team wünsche ich weiterhin einen sehr guten Wirkungsgrad!

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